OS/2-Trends/

Der Unterschied zu Microsofts Architecture und Markitecture

31.05.1996

CW: Was sind Vorteile von OS/2 gegenüber Windows NT, die für Anwenderunternehmen wichtig sind?

Giangarra: Das hängt ganz davon ab, wie das System genutzt wird. Als File- und Print-Server ist OS/2 schneller, das ist bewiesen. Zudem unterstützt OS/2 mehr Drucker als NT, denn die meisten Windows-Gerätetreiber sind nicht für NT, sondern für Windows 95 geschrieben. In der Systemumgebung bei Unternehmen ist wichtig, daß man mit OS/2 das gleiche System für Client und Server hat. Wenn man aus NT einen Client ableitet, entsteht ein in vieler Hinsicht unzulängliches System. NT unterstützt keine mobilen Rechner. Ihm fehlen Basisfunktionen wie Power-Management und Support für PC-Card-Geräte. Wenn man NT im Netz einsetzt, verliert es seine Sicherheit. Die Security-Klassifikation - Microsoft erwähnt das nicht so gern - bezieht sich auf NT als Stand-alone-Workstation, nicht als vernetzter Arbeitsplatz und nicht als Server.

CW: OS/2 ist bisher vor allem bei Banken und Versicherungen verbreitet.

Giangarra: In den USA laufen auch fast alle ATM-Maschinen unter OS/2. Die Gründe für diese Wahl sind, daß es weniger Ressourcen verbraucht - auf der gleichen Hardware benötigt man weniger Arbeitsspeicher und Plattenkapazität - und daß es sich länger bewährt hat als NT. Ein weiterer Grund ist der IBM-Support. Insbesondere für Unternehmen hat IBM den Support auf erstklassiges Niveau gehoben.Außerdem gibt es in Banken nicht nur Intel-Systeme sie haben /390- und AS/400-Systeme und auch Unix-Server. Eine der Stärken von IBM ist es, solche heterogenen Umgebungen zu unterstützen, verteilte Datenbanken zu realisieren mit Produkten wie DB2 und CICS. Ein gutes Beispiel, wie eine heterogene Umgebung aussehen kann, bieten die Olympischen Spiele. In der gesamten Lösung ist übrigens kein Microsoft-Produkt enthalten.

CW: Aber die Vorhersagen gehen dahin, daß Unix und NT sich den Server-Markt in einigen Jahren etwa gleichmäßig teilen werden.

Giangarra: Ich wäre nicht hier, wenn ich der Meinung wäre, wir hätten schon alles verloren. Wir sind uns bewußt, daß wir uns in einem harten Kampf befinden. Aber wir wissen auch, daß viele Kunden auf unserer Seite sind. Unser größter Gegner ist im Moment die Zeit. Wir haben ein gutes Produkt das größte Problem besteht darin, die benötigten Funktionen rechtzeitig bereitzustellen. In vielerlei Hinsicht liefert OS/2 bereits mehr Features als NT, aber NT hat auch einige Dinge, über die OS/2 bisher nicht verfügt. Doch das werden wir beheben. Merlin kommt in der zweiten Hälfte dieses Jahres.

CW: Denken Sie beispielsweise an den Sicherheitsgrad, den NT bietet?

Giangarra: Wie gesagt, bezieht sich die NT-Security auf eine Stand-alone-Workstation. Wenn man OS/2 Merlin mit den Security Enabling Services, die es enthalten wird, zusammen mit einem Verwaltungsprogramm einsetzt, erhält man die gleiche Sicherheitsfähigkeit wie NT: Stand-alone Workstation C2 Security. Microsoft hat sich das zertifizieren lassen wir haben das bisher nicht getan, aber die Funktionen werden bald da sein.

CW: Wie sehen Sie die Konkurrenz durch Windows 95?

Giangarra: Ich denke, daß niemand ernsthaft in Erwägung ziehen kann, Windows 95 in einer Unternehmensumgebung zu implementieren. Die es tun, werden darunter noch leiden, glaube ich. Denn Windows 95 ist ein sehr wenig gesichertes Betriebssystem. Einer der Kompromisse, die Microsoft bei Windows 95 gemacht hat, ist folgender: Um Performance zu erreichen, die Memory-Anforderungen zu reduzieren und das Produkt einigermaßen rechtzeitig auf den Markt zu bringen, wurde die Entscheidung getroffen, daß Windows 95 keinen Schutz zwischen Betriebssystem und Anwendungen haben wird.

CW: Das Betriebssystem ist also ungeschützt? Können Sie das genauer erklären?

Giangarra: Jeder Mikrocomputer hat wenigstens zwei Zustände: Kernel- oder Supervisor-State einerseits und auf der anderen Seite den Protected-State, meistens User-State genannt, in Intel-Begriffen Ring 0 und Ring 3. Intel hat noch die Middle-States Ring 1 und 2 dazwischen. Aber die Betriebssysteme benutzen in der Regel Ring 0 und 3: vollständig geschützt oder vollständig ungeschützt.Eine Applikation unter OS/2 läuft immer als geschützte Applikation. Das heißt: Wenn sie versucht, etwas zu tun, zu dem eigentlich nur der Kernel berechtigt ist, sorgt der Chip dafür, daß der Prozeß abgefangen wird. So schützt sich das Betriebssystem. Windows 95 macht das nicht.

Der US-Journalist Andrew Schulman hat eine einfache Applikation in C geschrieben, die auf dem Windows-95-Kernel arbeitet. Mit einem Zufallsgenerator greift das Programm eine Adresse aus dem Kernel und schreibt Nullen hinein. Nach 30 Writes stirbt das System komplett.

Natürlich machen User das normalerweise nicht aber eine Applikation kann Fehler haben. So könnte es zum Beispiel passieren, daß eine Anwendung auf unternehmenskritische Daten schreibt, die gerade ans Betriebssystem geschickt worden sind, damit sie in einem TCP/IP-Pufferspeicher abgelegt werden. In Windows 95 ist das leicht möglich.

CW: Welchen Sinn hat Windows 95?

Giangarra: Windows 95 hat einen ganz einfachen Zweck. Es sollte Leute dazu bewegen, 32-Bit-Multithreaded-Windows-Applikationen zu schreiben. Denn Microsoft steckte mit Windows 3.1 in einer Sackgasse und suchte einen Weg heraus. Der Run auf Anwendungsentwicklung für NT fand nicht statt. Durch Windows 95 werden Windows-Entwickler gezwungen, über 32-Bit-Multithreading nachzudenken.Doch ein großer Teil der Windows-95-Applikationen ist noch für Windows 3.1 geschrieben, einige für Win 32S. Die 32-Bit-Applikationen sind aber meistens so geschrieben, daß sie die Möglichkeiten dieser anspruchsvollen Struktur gar nicht ausnutzen. 32-Bit-Memory-Management, gutes Tasking und Multithreading zu programmieren, neue Interfaces zu nutzen, ist eine komplexe Aufgabe.

CW: Treiber scheinen immer noch ein Problem zu sein bei OS/2. Kann dem Anwender zugemutet werden, daß er sich die Treiber teilweise selbst aus dem Internet besorgen muß oder gar Geld dafür zu zahlen hat?

Giangarra: Für OS/2 gibt es, wie bereits gesagt, mehr Treiber als für NT in manchen Bereichen stehen sicherlich mehr Treiber für Windows 95 als für OS/2 zur Verfügung. Gegenüber Windows 95 liegt OS/2 vor allem bei Low-end-Druckern zurück, das kommt aber häufig nur davon, daß wir nicht rechtzeitig über vorhandene Lösungen informiert sind. Zugegeben, OS/2 fehlen einige Treiber.Daher tun wir zwei Dinge: Erstens wird Merlin mehr Treiber enthalten, zweitens liefern wir zu Merlin eine Disk, das Device Driver Pac, in dem wir Treiber von überall sammeln. Daß man für Treiber zu zahlen hat, kenne ich nur von solchen, die besondere Performance bieten. Aber das gibt es nicht nur bei OS/2, sondern bei anderen Plattformen genauso.

CW: Wie sehen Sie die Situation bei mobilen Systemen?

Giangarra: Heute kann ich Warp - Merlin ist noch nicht getunt, so daß ich darüber noch nicht sprechen kann - effektiv auf einem 8-MB-Computer einsetzen. Wenn ich mehr Speicher hinzufüge, dann will ich ihn für mächtige Applikationen wie Lotus Notes oder TCP/IP-Support nutzen und möchte nicht, daß das Betriebssystem den Arbeitsspeicher beansprucht. NT als Basissystem kann ich auf einem PC mit 8 MB nicht laufen lassen. Es verfügt nicht über das für den mobilen Einsatz elementare Power-Management und besitzt, soweit ich weiß, auch keinen Support für PC-Cards. Windows 95 hingegen enthält wesentliche Funktionen für den mobilen Einsatz, nur muß man sich darüber klar sein, daß man sich in einer ungeschützten Umgebung bewegt.

CW: Wie funktioniert die Applikationsentwicklung mit dem sogenannten DAPIE-Interface, das APIs für die Portierung von Windows-95-Programmen nach OS/2 zur Verfügung stellt?

Giangarra: Inzwischen nennen wir solche Schnittstellen DevAPIs, Developer APIs. Ich war vor zwei Wochen ein paar Tage bei Lotus. Sie nutzen diese APIs sehr erfolgreich, um "Smartsuite" schnell auf OS/2 zu portieren.

CW: Aber Smartsuite ist seit einiger Zeit auf Windows 95 verfügbar, nicht jedoch auf OS/2.

Giangarra: Das hat damit zu tun, daß Lotus uns gleichzeitig hilft, die API-Library zu testen und weiterzuentwickeln.

CW: Wie lang würde die Smartsuite-Portierung dauern, wenn das nicht der Fall wäre?

Giangarra: Es hängt davon ab, was die Applikation macht. Lotus setzt stark auf Object Linking and Embedding, OLE. Und die DevAPIs unterstützen im Moment OLE nicht. So müssen die Lotus-Entwickler diesen Code ändern. Außerdem wurde mir erklärt, daß sie einiges zu tun hatten, um Mängel von Windows 95 auszugleichen. So mußten sie an einigen Stellen, weil Windows 95 sie dazu zwang, Schleifen fürs Timing verwenden. Diesen Code konnten sie nicht durch den C-Set-Compiler laufen lassen, da sich bis zu zehn Millionen leere Do-Schleifen ergaben. Der IBM-Compiler optimierte sie heraus. Solche Sachen müssen sie mit Makros in Ordnung bringen. Doch das sind kleine Probleme, die wichtigste Frage ist, in welchem Maß OLE genutzt wird. Wo das nicht der Fall ist, wie bei der MGI-Applikation "Photo Suite", wird in sehr kurzer Zeit konvertiert. Eine simple Rekompilierung, die innerhalb von zwei Wochen von einer Person durchgeführt wurde.

CW: Wie steht es um den OLE-Support?

Giangarra: Diese APIs werden in den DevAPIs von Merlin nicht unterstützt. Für Entwickler gibt es zwei Möglichkeiten: Sie können entweder ihren eigenen OLE-Support verwenden oder die Compound-Documents-Technik "Opendoc" nutzen. Opendoc wird ein elementarer Bestandteil von Merlin sein und mit den DevAPIs zur Verfügung gestellt.

CW: Welche Vorteile bietet Opendoc?

Giangarra: Opendoc liefert eine robustere und funktionalere Umgebung für Linking and Embedding. Es ist ein echtes Container-Objekt-Modell.

CW: Wird es etwas Vergleichbares zu WinOS/2, der Betriebsumgebung für Windows-3.x-Programme, auch für Windows 95 geben?

Giangarra: Nicht in Merlin. Wir werden aber besseren Win-32S-Support bieten. Zur Zeit liegt er zwischen 1.1 und 1.2, wir werden ihn mindestens auf Level 1.3 heben.

CW: Die Skepsis über die Zukunft von OS/2 nahm zu, als IBM die Entwicklung von OS/2 für Power-PC stoppte. Warum haben Sie nicht so etwas wie eine Microkernel-Architektur, über die Microsoft zu verfügen scheint, um NT schnell auf neue Plattformen portieren zu können?

Giangarra: Zunächst einmal hat Microsoft kein Microkernel-Design. Sie nennen nur ein Stück ihres Kernels Microkernel. Wir haben hingegen einen Microkernel fast so wie eine Microcode-Schicht genutzt, auf die wir dann Client-Server-Strukturen aufgesetzt haben. Microsoft hat HAL, den Hardware Abstraction Layer. Was die Microkernel nennen, ist nur ein kleiner Teil ihres Kernels, der Rest des Kernels heißt Executive - sie haben ihm also einen neuen Namen gegeben.

CW: Und was bedeutet das?

Giangarra: Bei Microsoft findet die ganze Sache im Kernel- oder Supervisor-State statt. In einer echten Microkernel-Architektur, wie wir sie mit dem Power-PC realisiert haben, läuft nur ein kleiner Basisteil im Kernel-State, alles andere sind Client-Server-Transaktionen. Microsoft hat NT mit HAL nahezu portabel gemacht, alle Portabilitätsveränderungen hinsichtlich Memory-Management sind aber noch im Executive. So hat Microsoft, als NT auf Power-PC portiert wurde, nicht nur HAL geändert, sondern auch den Executive, weil das Memory-Management des Chips anders ist. Das ist einer der Unterschiede zwischen Microsoft-Architecture und -Markitecture.

CW: Und wie steht es nun um die OS/2-Portierung für den Power-PC?

Giangarra: Was wir bei unserer Microkernel-basierten Arbeit auf dem Power-PC gemacht haben, war meiner Ansicht nach der beste Weg, um OS/2 für den Power-PC portabel zu machen. Doch unsere Kunden haben uns gesagt, daß sie es nicht brauchen, daß sie mit der Intel-Welt zufrieden sind. Das Produkt ist fertig, aber es gibt keine Nachfrage nach OS/2 für Power-PC.

CW: Wie sieht es mit Alpha aus?

Giangarra: Auch hier besteht keine Nachfrage. Wie viele Anwender kaufen NT für Alpha? Können Sie in einen Shop in Ihrer Nähe gehen, einen Alpha-Rechner mit NT und einem kompletten Satz von Applikationen kaufen? Mit unserer Power-PC-Portierung haben wir eine Technologie geschaffen, die wir jederzeit nutzen können, wenn wir sie brauchen, beispielsweise für 64-Bit-Portierung. Ein Teil der Technologie, die wir für Power-PC entwickelt haben, stellen wir in Service-Pacs zur Verfügung, weiteres ist in Merlin eingegangen.

Kurz & bündig

IBM setzt alles dran, Entwickler und Anwender von der Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen um OS/2 und dessen Zukunftssicherheit zu überzeugen. Zum letzten Kongreß der deutschen Anwender flog das Unternehmen die Topmanager und entwickler dieses Systems ein, um Bedenken auszuräumen und die Vorteile gegenüber Windows NT und 95 zu demonstrieren. Danach habe OS/2 all das, was die Konkurrenz-Betriebssysteme allenfalls im Vokabular des Microsoft-Marketings besitze. Es sei sogar so angelegt, daß es sich in einfacher Weise für künftige Anforderungen und Umgebungen erweitern ließe.

*Friedrich Koopmann arbeitet als freier DV-Fachjournalist in München.