Der Unix-Zug ist abgefahren

06.04.1990

Ob wir uns die Ansicht des Unix-Software-Unternehmers Thomas Garmhausen zu eigen machen, IBMs Bekenntnis zu offenen Systemen sei "doppeldeutig und halbherzig" (Thema der Woche), oder ob wir der Argumentation des DV-Chefs beim Deutschen Patentamt, Herbert Kellner, folgen, der IBM bliebe gar nichts anderes übrig, als auf den fahrenden Unix-Zug aufzuspringen, ob wir also die Rolle des Mainframe-Monopolisten als aktiv oder eher abwartend einschätzen, darauf kommt es letztlich nicht an: Der Unix-Zug ist längst abgefahren. Bleibt zu fragen, ob Richtung und Tempo stimmen.

Doch zuvor noch eine Einlassung, was Big Blue betrifft: Die Macht jener IBM-Verkäufer, die mittelständischen Unternehmen ohne DV-Vergangenheit eine AS/400 hinstellen, ist beneidenswert. Bei den "Drei Buchstaben" fühlen sich Erstanwender und Firmen, die sich von Service-Rechenzentren abnabeln, trefflich aufgehoben. Neid schwingt denn auch mit, wenn etwa Nixdorf-Vertriebsleute gegen die IBM-Salespraktiken wettern. Jahrelang haben sie es nicht anders gemacht. Pech für Nixdorf: In diesem Geschäft, das vom Blendwerk lebt, darf man sich keinen Schwächeanfall erlauben.

Freilich ist die Scheingeborgenheit, die die Zugehörigkeit zur IBM-Schrägstrich-Gemeinde bietet, die aber auch Abhängigkeit von IBM bedeutet, ein geringes Übel, verglichen mit den Wechselbädern, denen man als Anwender eines total inkompatiblen MDT-Systems (Beispiel: Nixdorf 8870) zunehmend ausgesetzt ist. Faustregel: Nur ausnahmsweise darf eine Investitionsentscheidung im DV-Bereich eine "Liebesangelegenheit" sein. Ein "proprietärer" Fehltritt ist eben nur dann verzeihlich, wenn die Auserwählte IBM heißt.

Ob die IBM damit glücklich sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Und damit wären wir beim Kernpunkt: Für die Nicht-IBM-Anbieter ist mit der Einführung "offener Systeme" die Aussicht auf "Markt" verbunden - das ja zu "Unix", als Synonym für Demokratie in der DV, wird zur -Überlebensfrage. Es geht also gar nicht mehr um das Was, sondern nur noch um das Wie. Das "proprietäre System" - gemeint ist eine DV-Industrie, die den Kunden ausnimmt wie eine Weihnachtsgans -, dieses System hat abgewirtschaftet.

Das hat Konsequenzen für die Anwender: Mit jedem Tag wächst die Zahl der Unix-Systeme und der Programme, die für Unix-Systeme angeboten werden. Und längst ist die kommerzielle DV kein weißer Fleck auf der Unix-Landkarte mehr. Zwar sagt das noch nichts über die Qualität der Unix-Produkte aus; gewiß ist auch am Skill, am Ausbildungsstand der im Unix-Markt tätigen Softwerker einiges auszusetzen. Doch das sind Kinderkrankheiten. Wichtiger allerdings: Auf der proprietären Schiene läuft gar nichts mehr.