Drei Anwendungsszenarien für die Satellitenkommunikation

Der Umweg über den Orbit lohnt sich nur selten

02.02.2001
MÜNCHEN - Ins Trudeln geratene Dienste wie Iridium, ICO und Globalstar haben sich als schlechte Botschafter der Satellitentechnik erwiesen. Diese defizitären Milliardenprojekte unterstreichen eindrucksvoll, dass die orbitale Kommunikation nicht zum Massenmarkt taugt, sondern lediglich für ganz spezielle Anwendungen geeignet ist. Drei Beispiele zeigen, wo sich der satellitengestützte Informationstransfer lohnt und auszahlt. CW-Bericht, Joachim Hackmann

Wer braucht heute noch die Satellitenübertragung? Für die mobile Kommunikation gibt es die terrestrischen Handy-Netze, die schnellen Daten- und Informationstransfers besorgen weltweit verlegte Glasfasernetze in Verbindung mit neuen und schnellen Zugangstechniken wie Richtfunk, Digital Subscriber Line (DSL), Powerline und Kabel-TV-Netze. Keine Frage, die Deregulierung der TK-Märkte in Europa hat die Satellitennetzbetreiber unter Druck gesetzt, nicht aber vom Markt verdrängt.

Was die Satellitentechnik auf lange Zeit noch unentbehrlich macht, sind die Schwächen der terrestrischen Netze, und da wäre als erstes die geografische Verfügbarkeit zu nennen. Mit den politischen Umwälzungen Anfang der 90er Jahre und dem Fall der hermetisch abgeriegelten Grenzen gen Osten zog es viele westliche Unternehmen in die Staaten des ehemaligen Ostblocks. Dort fanden sie zwar Absatzmärkte, Arbeitskräfte und Fertigungskapazitäten, jedoch keine TK-Infrastruktur.

"Die Entscheidung für die Satellitenkommunikation ist mangels Alternativen gefallen", erklärt Dieter Neubert, Leiter der IT-Abteilung beim Modelleisenbahnhersteller Märklin in Göppingen. 1993 ließ sich das Unternehmen im ungarischen Györ mit einer Produktionsstätte für Gleise und Zubehör nieder. Leider hatte diese Investition einen kleinen Haken: Es war Märklin unmöglich, eine TK-Verbindung zur ungarischen Niederlassung herzustellen: "Bis Budapest wären wir noch gekommen, doch nach Györ gab es keine Leitungen ", schildert Neubert die damalige Situation. Weder der nationale noch ein internationaler Carrier bot entsprechende Dienste an.

Der einzig gangbare Weg, um den rund 20 magyarischen Kollegen an ihren 3270-Terminals die SNA-gestütze Kommunikation mit dem zentralen Großrechner in Göppingen zur Produktionsplanung und Auftragsbestätigung zu ermöglichen, war der Umweg über den Orbit. Die Telekom-Tochter Detesat stattete die entfernte Niederlassung wie auch die Zentrale mit Satelliten-Sende- und -Empfangseinheiten aus - fertig war eine 64-Kbit/s-Standleitung, die für Märklins damalige Zwecke völlig ausreichte.

Seit dieser Zeit hat sich jedoch einiges geändert. Viele osteuropäische Staaten haben die TK-Märkte für ausländische Carrier geöffnet, in der Folge verbesserte sich die Versorgung mit Kommunikationsdiensten. Mittlerweile ist auch Györ an das weltweite terrestrische TK-Netz angeschlossen. Und auch bei Märklin haben sich die Anforderungen verschoben.

Zu den damals ausschließlich transferierten SNA-Datenströmen der 3270-Terminals gesellen sich heute IP- und IPX-Pakete hinzu - und damit kommt die Satallitentechnik nicht mehr ohne weiteres zurecht.

Als problematisch erweist sich der lange Weg, den die Daten bis zu ihrem Ziel zurücklegen müssen. Bei dem von Märklin genutzten und von Detesat betriebenen geostationären Trabantennetz ist jeder Transfer mit einer Verzögerungszeit von 400 Millisekunden belastet. "Sobald im IP-Betrieb Handshake-Verfahren abgewickelt wurden, erreichten die Antwortzeiten eine unakzeptable Dimension", erläutert Neubert. Der Nettodatendurchsatz sank in einen einstelligen Kbit/s-Bereich.

Als Konsequenz legte Märklin das Kapitel Satellitentechnik im Oktober 2000 ad acta und betreibt nun eine Datendirektverbindung mit 64 Kbit/s nach Györ. Dass die Bandbreite für die Anforderungen des Modelleisenbahnherstellers ausreichend dimensioniert ist, haben die Erfahrungen mit anderen Niederlassungen gezeigt, die - wie nun auch die ungarische Dependance - mit SAP-Clients über eine 64-Kbit/s-Leitung auf die zentrale IT in Göppingen zugreifen.

Satellitenkommunikation ist bei Märklin GeschichteMärklins Schwenk von der satellitengestützten zur festnetzbasierten Datenkommunikation ist exemplarisch. Mit dem Ausbau der TK-Infrastruktur in den osteuropäischen Staaten ergeben sich für Unternehmen mit Niederlassungen in diesen Regionen neue Alternativen, in der Folge verlieren die Satellitennetzbetreiber ihre Exklusivität bei der Kommunikationsversorgung. Doch es gibt Gebiete auf dem Globus, die sich nicht durch im Boden verlegte Kabel mit TK-Diensten versorgen lassen, und das sind die Weltmeere.

Die für die Schifffahrt ausgelegte Satellitentechnik hat eine lange Tradition - der Inmarsat-Dienst steht etwa schon seit den 70er Jahren den Handelsflotten etwa zur Navigation und Kommunikation mit den Reedereien zur Verfügung. "Die Satellitentechnik für logistische und nautische Zwecke ist Standard, darüber rede ich nicht mehr", erläuterte Lothar Wenz, Leiter Informationstechnologie bei Hapag Lloyd Kreuzfahrten, Hamburg, "mein Thema lautet: Wie kann ich diese Technik zur Kundenbindung nutzen und mir neues Potenzial erschließen?"

Neben einer Drei- und einer Vier-Mast-Barke für die Weltmeere unterhält die Kreuzfahrt-Gesellschaft die vier Luxusliner MS Columbus, MS Hanseatic, MS Bremen und MS Europa. Das Flaggschiff des Hauses, die MS Europa, beherbergt ein "leistungsstarkes Rechenzentrum und ist mit rund 250 Multimedia-Terminals ausgestattet, die wiederum mit einem Gbit/s-LAN vernetzt wurden", beschreibt Wenz die Bordinstallation.

Die Multimedia-Terminals nehmen die Passagiere zunächst als Fernsehgerät wahr. Erst auf den zweiten Blick entpuppen sie sich als Informationsquellen, denn sie liefern den Urlaubern auf dem schiffseigenen Server gespeicherte Spielfilme und digitalisierte Trailer über anstehende Landausflüge sowie aktuelle Nachrichten, Börsendaten und Wetterkarten. Schließlich, und hier kommt wieder die Satellitenübertragung ins Spiel, können die Passagiere darüber im Web surfen sowie Mails versenden und empfangen.

Gerade die Möglichkeit, an Bord das Web zu erkunden, ein digitalisiertes Bild vom Kapitänsdinner in die Heimat zu verschicken oder per Mail Kontakt zu den Verwandten zu suchen, entpuppt sich als ein von der Kreuzfahrt-Klientel gern angenommener Service. Doch Wenz geht es nicht allein um die Unterhaltung der Kundschaft, er hat auch den eigenen Mehrwert im Blick: "Über die Satellitenverbindung und die Internet-Techniken erlaube ich den Passagieren die direkte Interaktion mit Hapag Lloyd."

Broadcasting ist nach wie vor ein AlleinstellungsmerkmalEin Kunde, dem es auf dem Schiff gefalle, könnte etwa von dort aus mit dem Wunsch an die Reederei herantreten, den Aufenthalt an Bord über den eigentlich gebuchten Termin hinaus zu verlängern. Die Zentrale in Hamburg würde dann die erforderlichen Umbuchungen inklusive Rückflug organisieren.

Noch nicht alle seine Wünsche hat Wenz bislang verwirklicht. So soll demnächst ein Portal entstehen, über das Kunden vor der Einschiffung die schwimmenden Hotels erkunden können, auf dem sich aber auch die Reisebüros präsentieren und Buchungen vornehmen. Zudem würde Wenz gern eine Art Multicasting-Dienst einrichten, bei dem die Schiffe mit IP-Adressen versehen werden und sich Empfangsgruppen bilden lassen. Das erweist sich jedoch als schwierig, weil die Schiffe sehr verteilt über die Weltmeere kreuzen.

Handelt es sich nicht gerade um einen solchen Sonderfall, ist die Fähigkeit zum Multi- und Broadcasting nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal der Satellitennetze gegenüber den terrestrischen Datenwegen. Zwar gibt es Bestrebungen, Standards für das Versenden von IP-Paketen über das Festnetz an Teilnehmergruppen zu entwickeln, doch bislang existieren keine einsatzbereiten Verfahren. Für Unternehmen, die den Broadcast-Betrieb zwingend für ihr Geschäftsmodell benötigen, gibt es daher zurzeit keine Alternative zur Satellitenkommunikation.

Dem erst 1999 gegründeten und in Unterföhring bei München ansässigen Medienunternehmen United Screens blieb daher keine andere Wahl, als seine Informationen über den Orbit zu seinen Endgeräten zu senden. Die Gründer dieses Unternehmens haben sich eine neue Werbeplattform für die Konsumgüterwirtschaft erdacht, die bereits an mehr als 400 Shell-Tankstellen installiert ist. Auf einem 42-Zoll-Plasma-Display, das hinter den Kassen installiert ist, präsentiert der Dienstleister neben den Werbespots seinen Kunden auch regionalisierte Stau- und Wettermeldungen. Zudem liefert die Installation den Tankstellenkunden ständig aktualisierte Nachrichten aus Sport, Politik und Wirtschaft in einem Laufband.

Sämtliche Informationen sendet United Screens über die Kapazitäten von Hughes Network Systems. Der Provider wiederum greift auf die Satelliteninfrastruktur von Eutelsat zurück. Die von der Empfangseinheit entgegengenommenen Daten speichert das United-Screens-System auf einem lokalen Server, der Spots, Nachrichten, Stau- und Wettermeldung in einer definierten Playlist abspielt.

"Die Satellitentechnik ist zurzeit das Mittel der Wahl, weil wir in kurzer Zeit eine enorme Teilnehmergruppe mit großen Datenmengen versorgen können", erläutert Ralf Klasen, Mitbegründer und einer der Geschäftsführer von United Screens. Ausschlaggebend für einen trabantengestützten Informationstransfer war die Menge der Standorte sowie die Geschwindigkeit, die diese Technik in diesem speziellen Umfeld liefern kann. Kurzfristig gebuchte oder geänderte Werbespots lassen sich via Satellit innerhalb kürzester Zeit an eine Vielzahl von Stationen übermitteln. "Dennoch betreiben wir keinen reinen Broadcast-Dienst, denn zum einen versorgen wir auch die Autobahntankstellen von Tank und Rast mit Multimedia-Informationen, zum anderen werden regionale Werbeeinblendungen nicht deutschlandweit verteilt", schränkt Klasen ein.

Ganz auf das terrestrische Netz kann United Screens jedoch nicht verzichten. Jede Station ist über eine ISDN-Leitung mit der Zentrale verbunden. Über das Festnetz laufen Statusmeldungen im Kontrollzentrum ein, zudem übernimmt der Betreiber die Kontrolle und Verwaltung der Installation, "denn der Kassenwart soll mit diesem System nicht behelligt werden", erläutert Klasen.

Die gesamte, von dem Medienunternehmen entwickelte Installation ist grundsätzlich aber so gestaltet, dass der Umstieg auf andere Übertragungsmedien jederzeit möglich ist. Ohne weiteres lässt sich etwa der Provider wechseln, um über eine andere Satelliteninstallation zu senden. Sollte sich zudem eines Tages herausstellen, dass auch über terrestrische Netze Möglichkeiten zum schnellen und breitbandigen Broad- und Multicasting bestehen, wäre die Abkehr von der orbitalen Datenübermittlung ohne weiteres umzusetzen.

Schnee auf der Schüssel kappt jede VerbindungDie Satellitennetzbetreiber stehen also in einem permanenten Rückzugsgefecht. Mit dem Ausbau der terrestrischen TK-Netze und neuen Techniken wie UMTS, Powerline oder DSL wird die orbitale Datenkommunikation mehr und mehr in Nischenmärkte abgedrängt. Daran ändern auch Projekte wie Iridium, Globalstar und Teledesic nichts, denn bislang hat noch keiner der neuen, mit vielen Milliarden Dollar Investitionen aufgebauten Dienste den Beweis seiner Marktreife antreten können.

Zudem entpuppt sich das häufig angeführte Argument der Ausfallsicherheit der Satellitenstrecken in der Praxis als Mär. "In den ersten Jahren gab es kaum Probleme, doch in den vergangenen zwei Jahren häuften sich die Systemausfälle", berichtet Märklin-Manager Neubert. Des Öfteren habe man die Modems austauschen müssen, insgesamt summierten sich die Ausfallzeiten im letzten Jahr des Satellitenbetriebs bei dem Modelleisenbahnbauer auf rund drei Tage. Zudem beeinträchtigte schlechtes Wetter die zuverlässige Kommunikation mit der Außenstelle in Györ. Besonders Schneefälle seien problematisch, so Neubert: "Es hat Tage gegeben, da mussten unsere Mitarbeiter im Stundenrhythmus raus, um die Satellitenschüssel vom Schnee zu befreien."