EDV-Ausbildung: Ein ganzes Bündel von Problemen:

"Der Umgang mit Computern wird tabuisiert"

21.12.1979

Provoziert, etwas zu sagen, "was ich schon lange einmal in der Öffentlichkeit anbringen wollte", fühlt sich Professor Thomas H. Adenauer von einigen Auslassungen, die in der COMPUTERWOCHE, Nummer 46 vom 16. November 1979, zum Thema "EDV-Ausbildung" zu lesen waren. In seinen hier folgenden Unmutsäußerungen schließt er sich dem allgemeinen Lamento an, macht aber - hier als einziger - "das dauernd wiederholte öffentliche Bedauern über angeblichen schulischen Leistungsdruck" mit verantwortlich für "wirklichkeitsfremde, prinzipiell passive Bewußtseinslagen geistigen Verhaltens Jugendlicher" und im Zusammenhang damit für ihr mangelndes intellektuelles Rüstzeug zur EDV: "In der Datenverarbeitung handelt es sich nämlich um eine Art geistiger Betätigung, die allgemeines Schweifen nicht gestattet." Ganz unbefriedigend erscheint Adenauer sowohl die inhaltliche Situation im Bereich der kaufmännischen Ausbildung an Schulen und Hochschulen als auch der Stellenwert, der der Weitergabe von EDV-Grundkenntnissen in den Stundenplänen aller Schulen eingeräumt wird. "Es ist fast unmöglich, in so kurzer Zeit nur das Notwendigste fundiert zu vermitteln."

In der COMPUTERWOCHE befassen Sie sich mit einem Thema, das mir als Gegenstand meines Hauptberufes zunehmend Kopfzerbrechen macht, mit der Ausbildung in den datenverarbeitenden Berufen.

Es handelt sich, wie Sie auch zeigen, um ein ganzes Bündel von Problemen. So, ist es nicht damit getan, auf das Auseinanderklaffen von Bedarf und Nachschub ausgebildeter Datenverarbeiter hinzuweisen. Denn wie wollte man den Bedarf definieren, reichen doch die datenverarbeitenden Berufe in ganz unterschiedlichen Profilen der Qualifikationsanforderungen von den Berufsfeldern der Hardware-Entwicklung über die sehr großen, sich in ihrer Breite und Tiefe immer noch ausdehnenden Gebiete der Anwendungsentwicklung, über die ebenfalls immer größeren Gebiete der System-Software-Entwicklung bis hin zu den Berufen, die sich aus dem Betreiben von zentralen und dezentralen Datenverarbeitungssystemen und deren Wartung entwickelt haben.

700 Hochschulabsolventen: Zu niedrig gegriffen

Es mag schon sein, daß sich, wirft man alles in einen Topf, daraus ein Gesamtjahresbedarf von 40 000 Fachkräften errechnet. Man kann aber diesem Bedarf 4 nicht die 700 Wirtschaftsinformatiker gegenüberstellen, die jährlich mit Hochschulqualifikation und ganz bestimmten, meist auf kaufmännische Anwendungsentwicklung gerichteten Berufsvorstellungen die Hochschulen verlassen. In der Zahl von 700 kann wohl kaum das Ausbildungspotential des technischingenieurmäßigen Bereichs mit eingerechnet sein, das andererseits in der Bedarfsschätzung von 40 000 mit berücksichtigt sein muß.

Allein an meiner, recht kleinen, sehr feinen wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Fachhochschule Rheinland-Pfalz spezialisieren sich von den insgesamt rund 400 Studenten jährlich mindestens 40 auf Organisation und Datenverarbeitung. Sie beherrschen mindestens zwei Programmiersprachen, haben mindestens ein Anwendungsgebiet vertieft bearbeitet, und es sind ihnen alle wesentlichen Betriebsweisen automatischer Informationsversorgung konkret bekannt.

Da ich mehrere Fachhochschulen kenne, zum Beispiel die in Pforzheim, in denen wesentlich größere Zahlen von Studenten mit einer ähnlichen, wenn nicht noch höheren Masse an konkreter Praxisorientierung akademisch ausgebildet werden, scheint mir die Angabe von jährlich nur 700 einschlägig ausgebildeten Hochschulabsolventen ein wenig zu niedrig gegriffen. Es kommt hinzu, daß es inzwischen nach meiner Beobachtung auch mehrere Universitäten gibt, die praxisorientierte Wirtschaftsinformatik betreiben. Nicht mitgerechnet sind ferner die zum Teil beachtlichen Ausbildungsleistungen der technisch orientierten Fachbereiche der Fachhochschulen und Technischen Hochschulen und einiger zu Recht renommierter privater Ausbildungseinrichtungen. Wenn hier ein besonderer Hinweis erlaubt ist, dann vielleicht mit der Frage, ob für das unendlich große Anwendungsgebiet der Prozeßsteuerung in der Ausbildung schon quantitativ und qualitativ genug getan wird.

Diskussionswürdiger: Inhaltliche Überlegungen

Hochschulpolitisch sehr viel diskussionswürdiger als die Klage über zu geringe absolute Ausbildungskapazitäten scheinen mir einige inhaltliche Überlegungen zu sein. Obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt zugleich in der Ausbildung und der Datenverarbeitungspraxis tätig, bin ich nämlich keineswegs sicher, daß sowohl Ablauforganisatoren der kaufmännischen Anwendungsbereiche als auch die Entwickler der Automation technischer Prozesse zweckmäßigerweise eine reine Datenverarbeitungsausbildung haben sollten. Es spricht nach meiner Meinung manches, wenn nicht mehr dafür, erst über die zu organisierende Materie vertieft auszubilden und erst danach zusätzlich weitere Datenverarbeitungskenntnisse zu liefern.

Ganz unbefriedigend will mir inhaltlich die Situation im Bereich der allgemeinen kaufmännischen Ausbildung aller Qualifikationsstufen erscheinen, sowohl in den Berufsschulen als auch in den Universitäten als auch in den Fachhochschulen. Denn: Durch die sinkende Nutzenschwelle automatischer Informationsversorgung und die sich immer noch verbreiternden Computer-Anwendungsmöglichkeiten in den Firmen aller Größenklassen werden den Fachabteilungen der Unternehmen zunehmend Instrumentarien zur Selbstversorgung mit Daten an die Hand gegeben. Deswegen kommt in Zukunft der Vermittlung von Datenverarbeitungsgrundkenntnissen in ausnahmslos allen kaufmännischen Ausbildungsgängen noch größere Bedeutung als schon in der Vergangenheit zu.

Zu diesem Zweck wäre es von unschätzbarem Wert, der Beschäftigung mit Computern an den allgemeinbildenden Schulen ihre Assoziation mit Mathematik zu nehmen. In der kaufmännischen Computer-Anwendung, der auch in Zukunft neben der Anwendung in der Prozeßsteuerung von allen Anwendungsarten die mit Abstand größte Bedeutung zukommt, spielt die Mathematik so gut wie keine Rolle. An den allgemeinbildenden Schulen aber, wo die Beschäftigung mit dem Computer einen an sich erfreulichen Aufschwung nimmt, ist die Computerei fast überall in den Mathematikunterricht integriert. Das hat die äußerst bedauerliche Folge, daß der Umgang mit Computern wirklichkeitsfern eingeordnet und, was später in der Berufsausbildung sehr hinderlich ist, völlig unnötig tabuisiert wird, wer in Mathematik schwach ist, wendet sich nämlich völlig zu Unrecht von dem Fach "Automation/ Datenverarbeitung" ab, das mit Mathematik überhaupt nichts zu tun hat und nach wie vor beruflich glänzende Perspektiven bietet.

In der Berufsausbildung tragen die Lehrenden an einem nicht zu unterschätzenden Problem. Durch die Entwicklungsgeschwindigkeit ist es nämlich gar nicht so leicht, die Berufswirklichkeit der Datenverarbeitungsanwendung angemessen in die Lehre umzusetzen. Besonders hinderlich aber ist der beklagenswerte Mangel an Bereitschaft, in den Lehrplänen der Datenverarbeitung auch nur annähernd die ihr in der kaufmännischen Berufsausübung zukommende Bedeutung einzuräumen. Da werden ohne Bedenken in allgemein berufsorientierter wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung Wochenstunden für Arbeitsrecht, Wochenstunden für Zivilprozeßrecht (natürlich neben Zivil- und Handelsrecht), Wochenstunden für Statistik, Wochenstunden für Mathematik, zugleich aber nur ganze zwei Wochenstunden für Organisation und Datenverarbeitung vorgesehen. Es ist fast unmöglich, in so kurzer Zeit praktisch wenig vorgebildeten angehenden Kaufleuten auch nur das Notwendigste fundiert zu vermitteln.

Studenten: Müssen sich erstaunt die Augen reiben

Es wäre zudem hilfreich, wenn den jungen Leuten in den allgemeinbildenden Schulen ein besseres intellektuelles Rüstzeug mitgegeben würde. In der Datenverarbeitung handelt es sich nämlich um eine Art der geistigen Betätigung, die allgemeines Schweifen nicht gestattet. Bei einem Teil der zunehmend nur noch schulisch vorbereiteten Studenten ist ein Anwachsen der Schwierigkeit zu beobachten, Konkretes aufzunehmen, zu behalten und in Anwendung umzusetzen. Es mangelt keineswegs an gutem Willen, oft nicht an Fleiß, aber auch nicht an der Neigung, allgemeine Darlegungen eingängiger und genereller Art bereit - und für kaufmännisches Wissen zu halten. Die Fähigkeit hingegen konkreten, aktiven, selbständigen intellektuellen Betätigens - in der Datenverarbeitung unerläßlich - besteht nicht im nötigten Umfang.

Kaum einer der Studenten hat die beklagenswerte Passivierung des Studierverhaltens selbst zu vertreten. Zuviel Fernsehen von Kindestagen an, Permissivität der erzieherischen Umgebung, geringe Forderungen an das Durchsetzungsvermögen, das dauernd wiederholte öffentliche Bedauern über angeblichen schulischen Leistungsdruck fördern auf die Dauer wirklichkeitsfremde prinzipielle passive Bewußtseinslagen geistigen Verhaltens Jugendlicher. Der Verdacht läßt sich nicht ausräumen, daß manche Schulen ihre Schüler, vermeintlich human handelnd, in Wahrheit aber in verantwortungsloser Weise durch zu günstige Benotung systematisch zu viel zu optimistischer Selbsteinschätzung verleiten.

Die Westdeutsche Rektorenkonferenz würde gerne die Zulassung zum Hochschulstudium von dem Absolvieren hochschulverantworteter Prüfungen abhängig machen. Ein frommer Wunsch, spätestens dann, wenn, wie der Bundeskanzler schon vor Jahren voraussagte, in absehbarer Zeit die Hochschulen den Schülern der geburtenschwachen Jahrgänge goldgedruckte Einladungen auf handgeschöpftem Bütten ins Haus schicken, um sie als Studenten zu gewinnen.

Die Datenverarbeitung als substantiell wesentlicher Teil der kaufmännischen Gesamtausbildung läßt es nicht zu, den Abstraktiosgrad der Lehre anzuheben Das Fach muß konkretes Berufsfachwissen vermitteln und den Studenten Wissen, Anwendungsfertigkeit und Verständnis heischend wieder abverlangen.

*Thomas H. Adenauer ist Diplom-Kaufmann und Professor an der Fachhochschule Rheinland-Pfalz, Abteilung Mainz II, Wirtschaftswissenschaften