Platz 2 - Patrick Naef, Emirates

Der Überflieger

26.11.2009
Von 
Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.
Patrick Naef hat die IT bei Emirates so umgebaut, dass mehr Projekte als je zuvor abheben - bei gleichzeitigem Sinkflug der Mitarbeiterzahl. Auch liebgewonnene Berater sind draußen.

München. Flughafen. Zwei Männer in Anzug umarmen sich. Klopf, klopf auf die Schulter. "Meld dich, wenn du mal wieder in der Schweiz bist", sagt der Airline-CIO. "Mach ich auf jeden Fall", antwortet sein Berater. Dann entschwindet der eine in sein Terminal. Der andere winkt ihm nach. Beide Herren sind glücklich verheiratet - nicht miteinander. Beide kennen sich nur aus einem IT-Projekt. Ist das normal?

"Ja, klar", sagt Patrick Naef, CIO von Emirates und Geschäftsführer der IT-Tochter Mercator: "Ich arbeite doch viel lieber mit Freunden zusammen als mit reinen Geschäftspartnern." Also sorgt der Schweizer dafür, dass aus Kollegen und Geschäftspartnern Freunde werden. Klappt nicht mit allen. Dafür sind British Airways, Singapore Airways, Quantas und die anderen 100 Kunden dann doch zu viele. Auch zu allen Zulieferern und zu den 1700 Mitarbeitern kann Naef nicht so engen Kontakt halten, wie er gerne möchte. Aber von seinen Direct Reports sagt der CIO, er kenne jeden einzelnen so gut, dass er auch mit ihm in Urlaub fahren würde: "Wenn ich das nicht sagen könnte, dann würd´ was nicht stimmen."

So war das nicht immer. Das Vertrauen unter den IT-Kollegen bei Emirates hatte 2006 einen Tiefpunkt erreicht. 0,5 Prozent aller Abflüge verzögerten sich damals aufgrund von IT-Pannen. Ein Wildwuchs aus Hard- und Software bremste den Flugplan ebenso regelmäßig aus wie die Mitarbeiter sich gegenseitig: 106 Unix-Systeme von vier verschiedenen Herstellern, 550 Netzkomponenten, 650 Windows-Systeme mit 15 verschiedenen Betriebssystem-Varianten, 447 Oracle-Datenbanken, 236 Middleware-Applikationen und 28 verschiedene Software-Development-Tools. Eine IT-Landschaft, wie sie eben entsteht, wenn eine Firma in Dubai-Manier wuchert. Dabei hatten alle IT-Mitarbeiter ihr Bestes gegeben.

Um das Wachstum zu bewältigen, hat Emirates in den Boomjahren nicht besonders auf IT-Kosten geachtet. Wozu auch? 1,8 Prozent vom Umsatz hat die Airline 2006 für ihre IT ausgegeben. Keine Summe, für die man Chancen verpassen will. Naef sagt das so: "Wenn Sie wachsen können, wie Emirates in den letzten Jahren gewachsen ist, wollen Sie nicht über IT nachdenken, oder?" Viel mehr Schmerzen als die 1,8 Prozent bereiteten der Airline denn auch die Ausfälle bei den Abflügen und die bittere Erkenntnis, dass die Grenze des Wachstums erreicht, wenn nicht Ordnung ins System einkehren würde. Was macht man in so einem Fall? Man hole einen Schweizer.

Naef kam von der SIG Group aus Schaffhausen am Rhein, allen Schweizer Reservisten wohlbekannt, weil die Firma früher einmal das Gewehr für den Schlafzimmerschrank gebaut hat. Für Naef war diese Karrierestation im produzierenden Gewerbe allerdings eher eine Ausnahme. Nach seinem Studium der Informatik an der ETH Zürich begann er seine Karriere im Finanzsektor, bei der Bank Julius Bär, bei Zurich Financial Services und später als CTO bei Beyoo. Dann kam der Sprung auf den CIO-Posten bei einer anderen Schweizer Traditionsfirma: Naef ging zur Swissair, als diese noch nicht im Verbund mit der Lufthansa-Flotte flog. Nebenbei absolvierte er den Executive MBA in Business Engineering, Universität St. Gallen.

Also eigentlich eine Idealbesetzung für Emirates. Doch auch die besten IT-Fachleute scheitern, wenn folgende Faktoren zusammenkommen: fehlende IT-Governance, keine Strategie, keine Architekturpläne, ungenügende Standards und keine Priorisierung der IT-Ausgaben. "Hinzu kamen Personal- und Kulturprobleme", sagt der CIO: "Stark hierarchische Angstkultur, ausgeprägtes Gärtchendenken, Schuldzuweisungskultur, hohe Fluktuation, fehlende Offenheit, Kommunikation und Fairness." Naef würde das Wort nicht gebrauchen, weil es vulgär ist und nicht zu seiner Grundgelassenheit passt, aber manch anderer CIO hätte die Situation kurz zusammengefasst mit: "Alles Sch…".

Von bösen und guten KPIs: IT pro Sitzkilometer

CW: Der Anteil der IT-Kosten am Umsatz betrug bei Ihrem Amtsantritt 1,8 Prozent. Sie haben ihn dann innerhalb von zwei Jahren auf 1,4 Prozent gedrückt, werden aber in diesem Jahr wieder bei mindestens 1,8 Prozent ankommen. Woran liegt’s?

Naef: Bei den Airlines ist der Umsatz überall eingebrochen. Da können Sie in der IT noch so wirtschaftlich arbeiten, der Prozentsatz geht trotzdem hoch.

CW: Gibt es Kennzahlen, die die Leistung Ihrer IT besser bewerten?

Naef: Die IT-Kosten pro Anzahl der angebotenen Sitzkilometer ist mittlerweile auf 0,56 Cent gesunken. Letztes Jahr waren das noch 0,6 Cent, also gut acht Prozent mehr.

CW: Klingt ein bisschen abstrakt. Haben Sie Zahlen, unter denen sich ein normaler Passagier mehr vorstellen kann?

Naef: Die durch IT verursachten Flugverspätungen sind von 0,5 Prozent aller Abflüge im Jahr 2006 auf 0,38 Prozent für 2008 gefallen. Für das laufende Geschäftsjahr betragen sie bis jetzt sogar nur 0,14 Prozent - bei steigender Komplexität und neuen Destinationen im Streckennetz. Ich bin da aber noch nicht zufrieden. Ich denke, wir sind jetzt schon unter dem Industrieschnitt, aber für Emirates als Qualitäts-Airline ist das noch nicht genug."

CW: An welchen branchenübergreifenden Kennzahlen orientieren Sie sich?

Naef: Die Anzahl der Severity-1- und -2-Incidents ist von über 300 im ersten Quartal 2006 auf 24 im ersten Quartal 2009 gefallen. Im letzten Quartal ereichten wir das erste Mal eine einstellige Zahl mit nur acht Incidents. Oder anders gesprochen: Die Meantime between Failures (MTBF) für unsere Systeme ist von zehn im ersten Quartal 2007 auf einen Wert von 218 im zweiten Quartal 2009 angestiegen.

CW: Da Mercator als IT-Dienstleister von Emirates auch am Drittmarkt aktiv ist, werden Sie da nicht einfach am Gewinn gemessen?

Naef: Das ist natürlich die einfachste Zahl. Der Umsatz des Drittmarktgeschäfts ist von 27 Millionen Dollar im Jahr 2005 auf 39 Millionen im Jahr 2008 angestiegen. Das ist ein Plus von 44 Prozent bei gleichbleibender Profitmarge. Für die konzerninternen Aktivitäten agieren wir aber als reines Cost Center.

CW: 2006 hat Emirates in der IT 16 Großprojekte umgesetzt. 2008 waren es schon 27. Unter anderem haben Sie die IT Infrastruktur für ein neues Terminal am Flughafen Dubai aufgestellt, das neue Hauptquartier der Emirates Group mit über 3000 Arbeitsplätzen versorgt und fünf Hotels in Dubai mit IT bestückt. Welches war ihr Lieblingsprojekt?

Naef: Für das Kabinenpersonal haben wir eine Anwendung auf dem Tablet-PC entwickelt, ein mächtiges CRM-Tool, auf dem alle Informationen über die Passagiere an Bord abrufbar sind und auch ergänzt werden können. Die Mitarbeiter verwalten damit Umbuchungen, Upgrades oder den eigenen Dienstplan über WLAN und GPRS. Das können Sie sich auch im Film auf cio.de angucken. Außerdem haben wir ein Innovationslabor mit Microsoft eingerichtet. In der Emirates Lounge laufen jetzt die ersten Anwendungen außerhalb der USA auf Microsofts Surface Computer. Fluggäste können sich dabei Destinationen und Flugpläne anschauen. Das klappt auch gut, die fünf Tische sind eigentlich immer voll. Aber es wird schwierig, dafür einen guten Business Case zu rechnen.