Meinung zur Produktivität mittels Informationstechnologie

Der Traum von Produktivitätssteigerung durch IT

21.10.2016
Von 


Dr. Wilfried Lyhs ist Geschäftsführer von Hilderts & Partner Consultants GmbH in Berlin, das CIOs als Berater, Interim- und Projektmanager unterstützt. Als promovierter Physiker hat er Organisationen für Softwareentwicklung geführt und große IT- und Automationsprojekte erfolgreich geführt. Während seiner Zeit als global CIO wurde Wilfried Lyhs mehrmals für seine Leistungen bei der Restrukturierung von IT und insbesondere der IT-Kostenverrechnung ausgezeichnet. Er hat zu vielen Themen der IT Vorträge gehalten und Veröffentlichungen erstellt.

Möglichkeit 3: Wir machen beim Einsatz von IT etwas falsch

Die Statistiken zeigen auf, dass der Zuwachs der internationalen IT-Budgets in der Größe von 2-4 Prozent nicht zu der Zunahme der Produktivität von weniger als 1 Prozent in den letzten Jahren passt. Es reicht offensichtlich nicht aus, Mitarbeitern einen PC an den Arbeitsplatz zu stellen und diesen zu vernetzen aber ansonsten die Arbeitsweise der vergangenen Jahrzehnte beizubehalten. Merkwürdigerweise beschweren sich die Mitarbeiter der o.g. Studie nicht darüber, dass

  • sie mit mächtigen Programmen arbeiten müssen, die nur schwer zu bedienen sind, und von denen sie nur einen Bruchteil der (bezahlten) Funktionen benutzen,

  • sie die für ihre Arbeit relevanten Informationen teilweise selber zusammentragen und pflegen müssen,

  • die Qualitätssicherung und Konsistenthaltung "ihrer Daten" viel Zeit in Anspruch nimmt und letztlich dennoch scheitert,

  • keine Wissensdatenbank zur Verfügung steht, die in Zweifelsfragen schnell Auskunft gibt,

  • keine Prozessdokumentation existiert, die Unklarheiten im weiteren Prozessablauf beseitigt,

  • Tätigkeiten im Unternehmen mehrfach ausgeübt werden, weil es keine Automation gibt und die Kollegen, die doppelt arbeiten, nichts von ihren Gemeinsamkeiten wissen, aber auch deswegen, weil die populäre Softwarewelt, allen voran Microsoft Office, diese Einzelkämpferarbeitsweise fördert.

An den Antworten erkennt man, dass die Befragten ihre Arbeitsweise an sich nicht hinterfragen und kein Problembewusstsein mit ihrem Tun haben. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahrzehnten bei der Nutzung von IT am Arbeitsplatz wenig grundlegend geändert.
User wollen per BYOD ihren eigenen Rechner für berufliche Dinge nutzen, mit dem Erfolg, dass der Unterschied zwischen Arbeit und Privatem noch mehr verschwimmt: Beschäftigung anstatt Produktivität, Überflutung mit Belanglosem anstatt Konzentration auf das Wesentliche.

Untersuchungen von Speicherherstellern weisen darauf hin, dass in Unternehmen etwa zwei Drittel der Daten "Dark" sind, das heißt nicht genutzt werden. Vom verbliebenen Drittel sind 19 Prozent ROT (Redundant, Obsolete und Trivial). Bleiben ledigleich 15 Prozent unternehmenskritische Daten. Mit dem Argument, dass Speicher nichts mehr kostet, sind in Unternehmen Datenmessis am Werk, die sich nicht von ihren Daten trennen wollen. Es wird Aufwand betrieben, ohne dass die Daten helfen könnten, die Produktivität zu steigern.

Anwender und Planer geben in Umfragen gerne an, dass sie sich vorrangig um ihre Prozesse kümmern müssen, um Industrie-4.0-fähig zu werden (69 Prozent), und eine bessere Kapazitätsauslastung (57 Prozent) bei verringerten Produktionskosten (44 Prozent) erzielen wollen. Genau das sind die Ansätze zur Produktivitätssteigerung, wie in einer Bitkom-Umfrage genannt, die offensichtlich bislang vernachlässigt worden sind.

Fazit

Wir werden es nicht schaffen, die Produktivität mit Hilfe von IT zu verbessern

  • wenn wir nicht gleichzeitig versuchen, die Nachteile der IT einzugrenzen oder besser noch zu eliminieren,

  • wenn wir nicht berücksichtigen, dass Investitionen in IT einen möglichst hohen Wertbeitrag haben müssen, um nicht zu verpuffen und

  • wenn wir nicht ab und an die IT-Organisation darauf hin überprüfen, ob sie das Geschäft noch optimal unterstützt.

CDOs sollten ihre Prozesse unter die Lupe nehmen und die Flaschenhälse, Blocker, Medienbrüche und Zeitverschwender finden. IT-Governance sollte auf ihrer To-do-Liste stehen.
Für CIOs heißt es, das kollaborative Arbeiten auf gemeinsamen Daten mit den dazugehörigen Workflows zu fördern. Nicht wiederverwendbare und nicht qualitätssicherbare Excel-Sheets und Powerpoints sollten der Vergangenheit angehören. CIOs sollten sich um Unternehmensdatenmodelle kümmern und unstrukturierte Daten in strukturierte verwandeln.
Die Aufgabe der CEOs ist es, sich um das Wissen im Unternehmen zu kümmern und es zu managen. Außerdem fällt die Motivation der Mitarbeiter, wieder produktiv zu arbeiten und sich nicht mit der selbsterzeugter Flut von Scheininformationen zu beschäftigen, in ihr Aufgabengebiet.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass wir, die Industriegesellschaften, offensichtlich ein klassisches Inkompatibilitätsproblem haben. Das Manager-Magazin titelte schon im Oktober vergangenen Jahres mit "Industrie 4.0, Mitarbeiter 2.0, Management 1.0". Um in diesem Fall bessere Interoperabilität herzustellen, müssen zwei Upgrades durchgeführt werden. Downgrades zur Industrie 3.0 gar auf das Niveau des Managements 1.0 sind nicht zulässig.