Erwin Königs über den Wandel der Software AG

"Der Tool-Markt ist für uns nicht mehr interessant"

19.10.2001
Noch immer erwirtschaftet die Software AG den Großteil der Einnahmen mit der Datenbank "Adabas" und Produkten um die Programmiersprache "Natural". Doch die neuen Hoffnungsträger heißen XML und Total Business Integration(TBI). Unternehmenschef Erwin Königs erläutert im Gespräch mit CW-Redakteur Wolfgang Herrmann die veränderte strategische Ausrichtung der Darmstädter Softwareschmiede.

CW: Die Software AG hat über Jahre eine Drei-Säulen-Strategie verfolgt: Datenbanken, Middleware, Entwicklungs-Tools. In jüngster Zeit sprechen Sie immer häufiger von Produkten für Enterprise Application Integration (EAI); die "Entire-X"-Familie wird Zug um Zug ausgebaut. Gibt es eine Verschiebung in Richtung Middleware?

KÖNIGS: Wir engagieren uns stärker im Middleware-Markt, das ist richtig. Zudem hat sich der Markt für Entwicklungswerkzeuge verändert. Die Tools bilden keine eigene Säule mehr.

CW: Heißt das, sie haben an strategischer Bedeutung verloren?

KÖNIGS: Keineswegs. Ich würde aber heute eher von einer Zwei-Säulen-Strategie sprechen. Einen separaten Markt für Tools gibt es nicht mehr. Zum einen sind kaum noch Hersteller präsent, die ausschließlich Entwicklungswerkzeuge anbieten. Zum anderen geht es diesen Unternehmen nicht besonders gut. Der Tool-Markt ist, wenn man das Preisgefüge betrachtet, ziemlich kaputt und für uns nicht mehr interessant. Wir gehen jetzt einen anderen Weg und integrieren solche Werkzeuge in andere Produkte. Unser Java-Entwicklungs-Tool "Bolero" beispielsweise bieten wir als Bestandteil der Datenbank "Tamino" an.

CW: Enterprise Application Integration (EAI) ist ein Wachstumsmarkt. Die Software AG propagiert in diesem Zusammenhang nun schon die nächste Entwicklungsstufe Total Business Integration (TBI), also die Integration von Anwendungen über Unternehmensgrenzen hinaus. Ihr EAI-System Entire X bezeichnen Sie mittlerweile als TBI-Server. Viele Unternehmen kämpfen aber noch immer mit der Integration der internen Applikationen und Plattformen. Sind Sie mit diesen Plänen Ihren Kunden nicht zwei Schritte voraus?

KÖNIGS: In dieser Branche sind Analysten, Hersteller und auch die Medien den Kunden ja immer ein Stück voraus. Das ist in diesem Fall nicht anders. Nicht wir, sondern Analysten wie Gartner haben den Begriff TBI erfunden. Die Idee, Middleware, also EAI-Technik, über Unternehmensgrenzen hinaus weiterzuentwickeln, ist gut.

CW: Die Frage ist doch, ob IT-Verantwortliche sich damit beschäftigen können.

KÖNIGS: Die Unternehmen erkennen die Notwendigkeit für solche Projekte schon heute; die erforderliche Technologie ist vorhanden. Es wird aber noch etwas dauern, bis entsprechende XML-Anwendungen auch überall genutzt werden. Wir sind mit unseren zwei Standbeinen EAI und XML-Know-how gut aufgestellt, um den TBI-Markt zu bedienen. XML als die globale Austauschsprache wird eine der tragenden Säulen von TBI werden.

CW: Die XML-Datenbank Tamino gilt als der große Hoffnungsträger in Ihrem Portfolio. Doch obwohl das Produkt nun seit Anfang 2000 auf dem Markt ist, hört man relativ wenig über konkrete XML-Projekte in Unternehmen. Wie hat sich der Absatz entwickelt?

KÖNIGS: Tamino hat sich von Beginn an sehr erfreulich entwickelt: Im vergangenen Jahr haben wir 17,5 Millionen Euro Umsatz mit Tamino-Lizenzen erzielt. Wir verzeichnen in der ersten Hälfte dieses Jahres eine Wachstumsrate von gut 50 Prozent.

CW: Ausgehend von einer relativ niedrigen Basis...

KÖNIGS: Richtig. Das ist noch ein kleiner Markt.

CW: Welche Kunden setzen heute Tamino ein?

KÖNIGS: Wir haben mehr als 300 Tamino-Kunden weltweit. Darunter sind große und bekannte Firmen genauso wie Startups oder die öffentliche Verwaltung. Beispiele sind Daimler-Chrysler, die Schweizer Post mit Yellowworld, US-amerikanische Behörden oder auch Banken und Versicherungen in Europa.

CW: Wie viele Tamino-Installationen gibt es in Deutschland?

KÖNIGS: Derzeit etwa 80 bis 90.

CW: Klassische Datenbankanbieter wie IBM, Oracle oder Informix wollen ebenfalls vom entstehenden XML-Markt profitieren. Schon jetzt ist es beispielsweise möglich, XML-Objekte mittels XML-Extender auch über relationale Datenbanken zu verwalten. Erwächst daraus nicht eine Bedrohung für Tamino?

KÖNIGS: Nur bedingt. Mit solchen Umwegen lässt sich das Potenzial von XML nicht voll ausschöpfen. Eine native XML-Datenbank wie Tamino schlägt ein relationales Datenbanksystem mit XML-Erweiterungen um den Faktor zehn oder mehr. Das wird für Großanwender wie etwa Banken künftig ein gewichtiges Argument. Wenn im nächsten Jahr mehr XML-basierte Anwendungen auf dem Markt verfügbar sind, wird sich die Situation zudem grundlegend ändern: Die Applikationen, die heute geschrieben werden, nutzen natives XML; damit lassen sich die Hilfskonstruktionen relationaler Systeme nur noch schwer realisieren. Sobald Daten in Zeilen und Spalten zerlegt werden wie im relationalen Modell, gehen der zusammenhängende Content und die Integrität des Dokuments verloren.

CW: Was bedeutet das in der Praxis?

KÖNIGS: Ein Beispiel ist die kalifornische Steuerbehörde (California State Board of Equalization = BOE). Sie nutzt Tamino, um die Anträge von Steuerpflichtigen zu verarbeiten und zu speichern. Das BOE ist verpflichtet, die elektronischen Steuererklärungen über zehn Jahre und mehr unverändert aufzubewahren. Die Daten müssen als zusammenhängendes Dokument gespeichert werden und nicht aufgeteilt in Zeilen und Spalten. Mit der ursprünglich dafür vorgesehenen relationalen Datenbank war das nicht möglich.

CW: Wann rechnen Sie mit dem kommerziellen Durchbruch von XML?

KÖNIGS: Ich gehe davon aus, dass sich XML bis Mitte 2002 durchgesetzt haben wird. Heute ist die Technik drei Jahre alt, und es zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie Anfang der achtziger Jahre für die Abfragesprache SQL. Zunächst schaffen einige Pioniere die Grundlagen, danach kommen erste Unternehmen ins Spiel, die darauf basierend Lösungen entwickeln. Im nächsten Schritt braucht der Markt ein paar Kunden, die den Mut haben, solche Projekte in Angriff zu nehmen. Das ist die Phase, in der XML heute steht.

CW: Ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit XML sind Web-Services. Mit Tamino unterstützen sie dazu benötigte Standards wie Soap, UDDI oder WSDL. Welche Anwendungsszenarien können Sie sich für Web-Services in Verbindung mit Tamino vorstellen?

KÖNIGS: Das ist in diesem Stadium relativ schwierig. Die Idee, Applikationen immer nur dann abzurufen, wenn man sie gerade braucht - unabhängig vom Endgerät -, ist hochinteressant. Ich glaube aber, dass die Umsetzung noch eine Weile auf sich warten lässt.

CW: Sie haben mobile Anwendungen auf XML-Basis als einen Zukunftsmarkt für die Software AG genannt. Im Markt für WAP-Services haben sich die meisten Prognosen nicht bewahrheitet, für kommende UMTS-Anwendungen haben Analysten die Vorhersagen deutlich nach unten korrigiert. Die viel beschworene Killerapplikation ist nicht in Sicht. Wo sehen Sie gewinnversprechende Anwendungen?

KÖNIGS: Gegenwärtig ist eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Der Aufbau der UMTS-Infrastruktur kostet viel Geld. Die Industrie wird damit wohl noch die nächsten vier bis fünf Jahre beschäftigt sein. Ich glaube, wir werden die nötige Infrastruktur im Jahr 2004 verfügbar haben. In der Zwischenzeit ist alles im Bereich Field Services, also Außendienst jeder Art, potenziell für Mobile Services geeignet.