Der technologischen Wandel sichert Abeitsplätze

14.10.1977

Mit Josef Stingl, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, sprach CW-Redakteur EImar Elmauer

- Herr Präsident, wie beurteilt die Bundesanstalt für Arbeit die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, welche sind die kritischen Branchen und wie sieht dort die Entwicklung aus?

Die Zahl der Arbeitslosen hat im September um 5,4 Prozent auf 911200 abgenommen. Von entscheidendem Einfluß für die weitere Entwicklung dieser Größen wird die Intensität sein, mit der sich die Konjunktur- und Wachstumsprogramme der Bundesregierung auf dem Arbeitsmarkt auswirken. Was die unterschiedlichen Branchen betrifft, so ist aufs Ganze gesehen die Arbeitsmarktlage im sekundären Sektor (verarbeitendes Gewerbe einschließlich Bau) weiter etwas günstiger als im tertiären Sektor.

- Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit im Fertigungsbereich, im Verwaltungsbereich und im Bürobereich? Wohin laufen die Trends?

In jüngster Zeit hat sich die Situation in den Büro- und Verwaltungsberufen sowie bei den Warenkaufleuten wieder etwas verbessert. Im September nahm die Arbeitslosenzahl in diesen Berufen um 18 900 oder 7,2 Prozent ab. Diese Besserung dürfte auch auf die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Arbeitsämter zurückgehen, bei denen der Bereich "Büro und Verwaltung" nunmehr einen Schwerpunkt bildet. Nicht ganz so günstig verlief im September die Entwicklung auf dem gewerblichen Sektor. In den Bauberufen nahm die Arbeitslosenzahl um 2000 oder 6,4 Prozent ab, in den Metall- und Elektrikerberufen um 5400 oder 4,1 Prozent. Die verhaltene Entwicklung bei den gewerblichen Berufen ist seit einigen Monaten zu beobachten. Ich hoffe, daß die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung auch in diesen Bereichen Entlastung bringen werden.

- Herr Präsident, in der Diskussion um Arbeitsmarktprobleme ist der Begriff "strukturelle Arbeitslosigkeit" sehr oft Argumentationshebel, was ist darunter zu verstehen?

Strukturelle Arbeitslosigkeit wird verschieden definiert. Wir sagen, strukturelle Arbeitslosigkeit ist dann feststellbar, wenn die Arbeitskraftstruktur von der Arbeitsplatzstruktur abweicht. Wenn also, sagen wir mal, jetzt die 250 000 offenen Stellen in der Bundesrepublik auf gar keinen Fall aus dieser Zahl von 900 000 Arbeitslosen besetzbar sind.

- Was aber nicht der Fall ist?

Nein, denn von den offenen Stellen, die uns angezeigt werden, werden 60 Prozent innerhalb des Monats, in dem sie angezeigt werden, neu besetzt. Trotzdem muß man sagen, daß sich mit der Dauer der Rezession strukturelle Verwerfungen ergeben: Eine solche Rezession beseitigt eben eine Reihe Grenzbetriebe, auf dem Arbeitsmarkt verschiebt sich das Qualifikationsniveau der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte.

- Nun ist aber die Zahl der offenen Stellen gegenwärtig insgesamt gering. Wie sieht es denn mit den Beschäftigten aus, die, wenn sie arbeitslos werden, arbeitslos bleiben, weil keine Arbeitsplätze angeboten werden? Welche Branchen sind von schnellen Kündigungen betroffen?

Am häufigsten sind die Arbeitsverhältnisse 1976 in den Branchen Gaststätten- und Beherbergungs-Betriebe gelöst worden. Dort wurde fast jedes zweite Arbeitsverhältnis gelöst. Im Ausbau und Bauhilfsgewerbe sowie im Bauhauptgewerbe wurde jedes vierte Arbeitsverhältnis gelöst. Überdurchschnittlich betroffen von Arbeitslosigkeit sind noch die Branchen Leder, Schuhverarbeitung und der Handel. Durchschnittlich betroffen sind die Kunststoffverarbeitung, die Holzbearbeitung und die Nahrungs- und Genußmittelbetriebe. Hier wurde jedes achte Arbeitsverhältnis gelöst. Am wenigsten wurden Beschäftige aus den Branchen Energie-, Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung und aus dem Kredit- und Versicherungsgewerbe arbeitslos.

- Wie sieht es in der EDV aus?

Die Beschäftigten in den Branchen Elektrotechnik mit Büromaschinen und EDV sowie Feinmechanik und Optik und im Maschinenbau sind unterdurchschnittlich betroffen. Hier wurde nur jeder zwölfte arbeitslos.

- Lassen sie mich noch einmal den Begriff "strukturelle Arbeitslosigkeit" verwenden und fragen: Welche Branchen sind künftig am stärksten von ihr betroffen?

Aus den genannten Beispielen sieht man, daß die Gefährdung von Arbeitsplätzen nicht mit den herkömmlichen Vorstellungen der Gefährdung durch Strukturwandel in Einklang zu bringen ist. Gerade weil häufig beim "strukturellen Wandel" keine Anpassungsmöglichkeiten vorhanden sind, kann es Gefährdungen geben. Gefährdet sind in Zukunft die Branchen, die sich neuen Entwicklungen nur langsam anpassen.

- Welche Branchen sind durch technologischen Wandel ihrer Produktionsmethoden gefährdet?

Die Beispiele zeigen, daß technologischer Wandel die Arbeitsplätze auch sichert. Denn unter den am geringsten betroffenen Branchen befinden sich auch diejenigen, die sich Innovationen in der Produktion und in der Verwaltung nutzbar machten. Zu diesen Innovationen gehört der Computer, die EDV und neuerdings der Mikroprozessor. Ein Indiz für die Gefährdung einer Branche sind für uns die Zugänge an Arbeitslosen aus dieser Branche. Sonstige Entwicklungen, wie technisier Fortschritt, Produktivitätsänderungen und Nachfrageänderungen wirken sich nie so eindeutig und direkt auf Arbeitsplätze aus.

- Sie erwähnten den Mikroprozessor, der gegenwärtig oft drastisch aIs "Jobkiller" verurteilt wird. Ist er's?

Der Mikroprozessor gefährdet keine Arbeitsplätze. Der Mikroprozeß ist ein Element der industriellen Produktion wie jedes andere, über dessen Einsatz und dessen Verwertung von Menschen entschieden wird. Einem Element kann nicht die Wirkung, arbeitsplatzvernichtend zu sein, zugeschrieben werden.

- Im graphischen Gewerbe, in den Druckereien herrscht gegenwärtig die Angst, durch computerunterstützte Verfahren werde es hohe Arbeitslosigkeit geben. Sehen Sie das auch so?

Mit Sicherheit kommt es zu strukturellen Verschiebungen in der Beschäftigung. Nur glaube ich nicht, daß es deshalb besonders viel Arbeitslose geben wird, zumal auch die Tarifpartner darüber verhandeln, wie sie daran vorbeikommen. Ich glaube nun nicht, daß man in Deutschland das Beispiel nachahmt und den Heizer auf der E-Lok mitfahren läßt. Man wird schon vernünftige Regelungen dafür finden.

- Ist strukturelle Arbeitslosigkeit aber doch auch ein Produkt der Innovation?

Strukturelle Arbeitslosigkeit kann natürlich aus Innovationen entstehen. Wir haben strukturelle Arbeitslosigkeit beispielsweise in der Rezession 66/67 im Bergbau gehabt. Natürlich gibt es durch Innovationen in der Beschäftigungsstruktur Veränderungen. Das muß aber nicht zur Arbeitslosigkeit führen, und Untersuchungen unseres Institutes zeigen, daß sie nicht immer zur Arbeitslosigkeit führt. Der größte Teil wird innerbetrieblich bereinigt. Und wenn ich mich recht erinnere, dann hat unser Institut eine Untersuchung durchgeführt, wonach es im Jahr 2000 etwa 15 Prozent neue Arbeitsplätze gibt, die wir heute noch gar nicht kennen. Auch ein Produkt der Innovation.