Nur Scharlatane versprechen Integrationslösungen ohne Probleme:

Der steinige Weg zur erfolgreichen Integration

30.09.1988

MÜNCHEN - Die Schlagwörter CIM und Integration haben in den letzten Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Konzept herbeigeführt. Inzwischen gibt es bereits eine beträchliche Anzahl von Betrieben, die Integrationslösungen anwenden. Die meisten Anwender mußten ihre Form der Integration an bestehende Unternehmensstrukturen und an eine laufende Fertigung anpassen. Um die richtige Lösung zu bekommen, muß ein Unternehmen sehr genau wissen, was es tatsächlich will. Völlige Transparenz aller betrieblichen Abläufe und Informationsflüsse sind die unabdingbare Voraussetzung für ein Pflichtenheft, in dem die Unternehmensziele adäquat zum Ausdruck kommen. Anwender, die hier gründlich vorgehen, minimieren die Schwierigkeiten bei der Installation und optimieren ihre künftigen Gewinnchancen.

Seit 1986 bietet der Dortmunder Pumpenhersteller Wilo seinen Kunden einen 24-Stunden-Service an. In dieser Frist wird der Auftrag angenommen, der Rechner sucht die nötigen Teile aus dem Lager oder gibt ihre Produktion in Auftrag und koordiniert dann die Fertigung. Ein solcher Ablauf von der Bestellung bis zur Auslieferung wäre ohne CIM in dieser kurzen Zeitspanne undenkbar. Der Weg zu dieser Integration war nicht einfache und in Dortmund ist man noch keineswegs am Ziel aller Wünsche. Doch der 24-Stunden-Service ist ein ermutigender Erfolg von Integration.

Nur eineinhalb Jahre hat das Management der Wilo-Werke bis zur ersten praktischen CIM-Anwendung Mitte 1986 gebraucht. Andere Newcomer auf dem Gebiet, wie die Tübinger Werkzeugfabrik Montanwerke Walter, haben sich doppelt soviel Zeit gelassen. Die Trumpf AG in Ditzingen benötigte ebenfalls drei Jahre Entwicklungszeit für ihr eigenes CIM-Konzept.

In diesem Zeitraum müssen alle Grunddaten eines Unternehmens erfaßt und für die Datenverarbeitung aufbereitet werden. Peinlich genau werden die Mitarbeiter über ihre Tätigkeiten befragt. Solange nicht sämtliche Betriebsabläufe bis in das kleinste Detail offenliegen, sind die Ziele einer Integration nicht sinnvoll zu formulieren. Ungenau erstellte Pflichtenhefte führen zum Kauf ungenügender Soft- und Hardware.

"Wir hatten damals noch zuwenig Erfahrung. Heute würde ich auf eine sehr viel gründlichere Analyse des Ist-Zustandes achten", begründet Raimund Bräuniger, Bereichsleiter Produktion bei Wilo, die Notwendigkeit von zeitaufwendigen Nachbesserungen. "Immer wieder galt es, Softwarefehler bei der Verwaltung von Lagerdaten zu beheben. Die erhoffte Verdoppelung des Lagerumschlags binnen eines Jahres ist deshalb nur zu etwa zwei Dritteln gelungen."

Manfred Miksa, Organisationsleiter der Aluminium Walzwerke in Singen, bestätigt die Wichtigkeit der Erfassung von Grunddaten. Das Unternehmen hat 1979/80 mit der Integration der Datenbestände als Kern der Gesamtlösung begonnen. Über ein Jahr dauerten Konzeption und Konstruktion der Datenbank, obwohl das Singener Walzwerk schon seit 1945 Datenverarbeitung - wenn auch damals noch nicht elektronisch - betreibt. Zwar haben sich dort die Erwartungen an die CIM-Strategie bereits zu über 80 Prozent erfüllt, doch Manfred Miksa räumt ein, daß man früher bei Erstellung der Anforderungsprofile die potentiellen Anwender im Betrieb zuwenig einbezogen habe.

Ohne eine zentrale Datenbank ist die Verwaltung der Menge von komplexen Daten, die durch Integration anfällt, nur schwer zu bewältigen. So war CIM bei den Montanwerken Walter ursprünglich rein auf die Fertigung orientiert. Doch der damalige Projektleiter und jetzige Bereichsleiter Tool-Management, Günther Happersberger, mußte bald feststellen, daß die Steuerungsproblematik mit den herkömmlichen Mitteln nicht in den Griff zu bekommen war. Konsequenterweise wurde daraufhin mit einer intensiven Datenintegration begonnen.

Die Allgemeine Baumaschinen Gesellschaft (ABG) in Hameln ist diesen Weg nicht gegangen. Zwar zeigt man sich trotz einiger Insellösungen recht zufrieden mit der Integration. Doch auf die Frage, was er heute anders machen würde, antwortet der DV-Leiter Hans-Dieter Brüsewitz: "Wenn wir noch gar keine DV hätten, würde ich an eine volle Integration denken, aber auf alle Fälle sollte man auf der Basis einer Datenbank beginnen." Das muß nicht bedeuten, daß ein Unternehmen nur dann effektiv arbeiten kann, wenn es auf der Basis einer Datenbank integriert. Was ein Unternehmen braucht, hängt einzig von seinen Zielen und Möglichkeiten ab.

Nur sehr große Hersteller können es sich leisten, voll integrierte "Modellfertigungen" auf die "grüne Wiese" zu setzen. Selbst Unternehmen mit einem Umsatz über der Milliardengrenze, wie das Aluminiumwalzwerk in Singen, suchen nach Lösungen, die sich in die vorhandenen Gegebenheiten möglichst reibungsarm einpassen.

Gerade mittelständische Unternehmen wären wegen ihrer geringeren Produktionszahlen weit mehr auf Flexibilität durch Integration angewiesen, als die Industrie mit ihren Massenwaren. Doch die knappen finanziellen und personellen Ressourcen verursachen vornehme Zurückhaltung beim Kauf neuester Techniken, zumal CIM keineswegs ausgereift ist, und die Folge- und Wartungskosten schwer zu kalkulieren sind. Wichtig ist nicht der Stand der Technik, sondern, daß die erwünschten Wirkungen eintreten.

Über die erhofften Auswirkungen von Integration sind sich die Anwender ziemlich einig. Anläßlich des Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquiums 1987 wurden über 50 Experten aus der Wirtschaft nach ihren Erwartungen bezüglich der Integrationsentwicklung der nächsten zehn Jahre befragt. Danach sollen sich die Durchlaufzeiten um 35 Prozent je Auftrag senken und gleichzeitig Nutzungsgrad sowie Produktivität um ein Fünftel steigen. Auch die Produktionskosten sollen um 15 Prozent sinken. Die wichtigsten Hemmnisse sehen die befragten Fachleute in der mangelnden Qualifikation des Personals sowie in den zu geringen Finanzreserven der mittelständischen Unternehmen.

Die jetzt von der COMPUTERWOCHE befragten Unternehmen bestätigten aller daß parallel zu ihren Integrationsbemühungen die Umsätze gestiegen seien. Ein unmittelbarer Zusammenhang sei jedoch, wegen der Menge unterschiedlicher Einflußfaktoren nicht zu beweisen. Die Veränderung der Durchlaufzeiten sagt da schon mehr über die Leistungen von CIM aus.

Bei den Montanwerken Walter konnte die Fertigungsdauer für Sonderwerkzeuge von zwölf auf weniger als vier Wochen gesenkt werden. Durchlaufzeiten um 24 Stunden von Auftragseingang bis zur Warenauslieferung gibt es inzwischen beim Schnelldienst der Wilo Werke für Industriepumpen, sowie für die Serienpumpen der Klein, Schanzlin & Becker AG. Außerdem konnten bei allen befragten CIM-Anwendern die Lagerbestände gesenkt beziehungsweise der Lagerumschlag erhöht werden.

Die Anwender hoben immer wieder hervor, daß der Kundenservice dank Integration wesentlich verbessert werden konnte. Bei Walter in Tübingen und Wilo in Dortmund werden Sonderaufträge bis zur Losgröße 1 angenommen und in die tägliche Produktion eingebracht. Der schnelle Zugriff auf alle Daten und die Transparenz der Abläufe gestattet ein rasches Ermitteln von Preisen und Lieferterminen.

Rundweg wurde jedoch bedauert, daß bei der Umstellung auf die Integrationstechniken immer wieder unerwartete Fehlerquellen auftauchten. Das mag an überzogenen Erwartungen gelegen haben, die jedoch oft genug gerade von den CIM-Herstellern genährt wurden.

Integration ist für die Unternehmen heute keine Ware mehr, die man kauft, sondern ein selbstverständlicher Teil der Unternehmensplanung - Eine Investition um brachliegende Ressourcen im eigenen Haus nutzbar zu machen. Deswegen legt Franz Miksa großen Wert darauf, daß die Aluminium Walzwerke in Singen den Integrationsgedanken schon verfolgt haben, bevor das Schlagwort CIM geprägt wurde.

Integration bleibt ein langwieriges und schwieriges Projekt, bei dem auf die teuren Computer als unterstützende Technik wohl kaum verzichtet werden kann. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen, wenn Franz Miksa nach acht Jahren Erfahrung zu dem meint: "Unsere Erwartungen sind größer geworden, denn inzwischen sehen wir, daß das Integrationskonzept greift."