Freiberufler mit Wut im Bauch

Der steinige Weg zum nächsten Auftrag

21.05.2014
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Der nächste Auftrag in Sicht? Über die Nachricht der Vermittlungsagentur konnte sich Oliver Knittel, Inhaber von Insure-IT Assekuranz Consulting, nicht so recht freuen. Musste er doch auf eigene Kosten quer durch die Republik reisen, um sich den Auftrag zu sichern.

Wie kommt ein Freelancer an Aufträge? Indem er den Vertrieb an einen oder mehrere Personalvermittler outsourct. Die Kollegen Vermittler bekommen dann für ihre aufopferungsvolle Vertriebstätigkeit einen Teil des Tagessatzes als Obulus. So weit, so gut.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich die Bedingungen für den Vertrieb geändert. Der Externe wartet auf den göttlichen Beistand für die weltlichen Präsentationstermine und dafür darf er dann auf eigene Kosten quer durch die Republik reisen. Denn das neue Personalvermittler-Mantra lautet: Reisen kostet mich nichts.

Was alles auf dem steinigen Weg zum Auftrag passieren kann, erzählt die folgende Geschichte: Der Januar ist in diesem Jahr besonders kalt und schneereich. Da macht das Reisen nicht wirklich Spaß. Das hat sich auch der Personalvermittler gedacht. So ruft er mich am 15.1 an mit der freudigen Nachricht, dass er bei einem Kunden in Heidelberg einen Präsentationstermin vereinbart hat. Der 24.1 soll es sein. Morgens um 11:00 Uhr.

Vorstellungstermin: Anreise auf eigene Kosten

Bevor er mir den Ansprechpartner und die Adresse durchgibt, lässt er sich einen Vorvertrag unterschrieben, den er mir per E-Mail zusendet. Nachdem das Monetäre geklärt ist und ich schriftlich versichere, dass ich auf eigene Kosten zum Vorstellungstermin reise, verabschiedet er sich mit den Worten: "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Heidelberg. Ach übrigens, was ich noch vergessen habe zu erwähnen: Das Gespräch findet in Englisch statt. Das ist doch für Sie kein Problem, oder?"

"Nein, natürlich nicht" antworte ich und frage zurück "Sind Sie bei dem Gespräch nicht dabei?" "Nein, aber Sie brauchen mich ja auch nicht oder?" Aha, denke ich mir. So leicht möchte ich auch mal mein Geld verdienen. Mit einem unguten Gefühl im Bauch sage ich den Termin zu.

Freiberufler Oliver Knittel mußte mit dem Zug zweimal quer durch die ganze Republik, um sich bei zwei potenziellen Auftraggebern vorzustellen.
Freiberufler Oliver Knittel mußte mit dem Zug zweimal quer durch die ganze Republik, um sich bei zwei potenziellen Auftraggebern vorzustellen.
Foto: Harald Biebel - Fotolia.com

Zwei Tage später bekomme ich einen Anruf von einem anderen Personalvermittler. In kurzen Sätzen schildert er mir das Projekt und fragt mich, ob ich am 24.1 um 13:00 Uhr Zeit habe. Zu allem Überfluss soll der Termin in München stattfinden. Und es geht nur dieser Termin, weil da wegen mehrerer Projektstandorte nur dann alle Entscheider an einem Ort sind.

Und nun? Ich bin nicht Spocky aus Raumschiff Enterprise, der an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Ich frage: "Wieso an einem Ort? Soll ich an mehreren Orten arbeiten?" "Ach, ich vergaß zu erwähnen, dass Sie durch die Konsolidierung der Systeme nach der Fusion an beiden Standorten präsent sein müssen! Ist das ein Problem für Sie?" "Nein, selbstverständlich nicht" antworte ich. Wahrscheinlich kann man nachts um drei einen Personalvermittler aus dem Tiefschlaf wecken und er antwortet auch "Ist das ein Problem für Sie?"

Ich fasse nochmals nach, da mich der Job reizt und verhandle folgendes Angebot: Ich komme am Mittwoch, 23.1., zu einem Präsentationstermin nach Hamburg und am Donnerstag, 24.1., um 13:00 Uhr habe ich ein Telefoninterview mit dem anderen Abteilungsleiter aus München. Insgeheim freue ich mich, da ich mir so beide Optionen offen halten kann. Als ich gerade auf dem Weg nach Heidelberg bin, erhalte ich einen Anruf vom Personalvermittler Nr. 2. Der Kunde hat es sich anders überlegt. Aus Gerechtigkeitsgründen möchte er jetzt doch kein Telefoninterview, sondern will mich noch mal persönlich am Montag in München sehen.

Moment mal! Für einen Auftrag, von dem ich nicht mal weiß, ob ich ihn bekomme, werde ich auf eigene Kosten durch die Republik gejagt, während Monsieur Personalvermittler im warmen Büro sitzt? Aber was hilft es? Wenn ich einen neuen Auftrag haben möchte, muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Nachdem Heidelberg nicht so gut gelaufen ist, surfe ich im Internet. Ein Flug nach München kostet wegen der kurzen Vorausbuchungsfrist 700 Euro. Eine Bahnfahrt kostet nur 239 Euro. Mir graut schon jetzt vor sechs Stunden Bahnfahrt, einfache Strecke.

Ich stehe am Montag extra früh auf und bin gegen 7:00 Uhr auf dem Bahnsteig. Mein Zug soll um 7:21 Uhr fahren, hat aber über eine Stunde Verspätung. Aber ich habe Glück. Da ja alle Züge eine Stunde Verspätung haben, fährt der Zug, der eigentlich um 6:21 Uhr fahren sollte, gerade in den Bahnhof ein. Ich überlege nicht lange und steige ein. Meine Reservierung nützt mir jetzt nichts mehr. Der Zug ist bis auf den letzten Platz voll. Es kommt echt indisches Feeling auf. Mit viel Glück finde ich noch einen Platz und bin auch pünktlich bei meinem Gespräch. Nach einer Stunde Gespräch darf ich auf dem Heimweg noch mal sechs Stunden den ganzen Weg wieder zurück fahren.

29 Stunden Fahrt für zwei Aufträge

Ich fasse zusammen:

Personalvermittler 1: Fahrt mit dem Auto nach Heidelberg und zurück: 7 Stunden und Sprit

Personalvermittler 2: Fahrt mit dem Auto nach Hamburg und zurück: 9 Stunden und Sprit; Fahrt mit der Bahn nach München und zurück: 13 Stunden und 239 Euro

Nur bei einem der drei Termine glänzte der Personalvermittler durch Anwesenheit im Präsentationstermin. Es bleibt daher die Frage: Wie viel Idealismus muss ein Freelancer haben, um das mitzumachen? Wieso werden Freelancer wie selbstverständlich durch die Republik gejagt, während der Personalvermittler im warmen Kämmerlein sitzt?

Dieser Artikel stammt aus dem IT-Freelancer-Magazin.