Der Standort Berlin von den Industriefirmen verlassen?

02.06.1995

Der Boom in der Wachstumsbranche Telekommunikation scheint an der Bundeshauptstadt vorbeizugehen. Fuer so manches Unternehmen sind die profitablen Zeiten der Wendeeuphorie vorbei. Selbst wenn die von Politikern genannten Zahlen stimmen: Nicht wenige Firmen verlassen die Region.

Die deutschen Unternehmen scheinen sich an ihren alten Plaetzen nicht mehr wohl zu fuehlen. Mit erheblichen Restrukturierungsmassnahmen versucht unter anderem die Krone AG an der Westberliner Stadtgrenze zu Teltow, ihre Minuszahlen wieder auszugleichen.

Insgesamt verringerte sich in den vergangenen drei Jahren an den Standorten Berlin, Bad Hersfeld und Ludwigsburg die Mitarbeiterzahl von rund 3000 auf etwa 2000. Im Berliner Stammsitz des Unternehmens mit 1300 Beschaeftigten sollen im Laufe des Jahres weitere 200 Arbeitsplaetze gestrichen werden. An allen Unternehmenssitzen zusammen wird sich die Zahl der Mitarbeiter dann auf knapp 1600 reduzieren.

Dennoch will Vorstandschef Klaus Krone ,aus der Krise gestaerkt hervorgehen". Schliesslich sei ,die Kupfertechnik noch nicht am Ende".

Wie der Anbieter von Kommunikationsnetzen anlaesslich seiner Jahresbilanz 1994 mitteilte, soll in diesem Jahr "mehr als eine schwarze Null" geschrieben werden. Die im Blick auf die Entwicklung optoelektronischer Uebertragungen unterschaetzte Kupfertechnologie lasse sich durch neue Methoden erheblich verbessern, hofft Krone. Darueber hinaus werde man auch die neue Glasfasertechnik anbieten. Ausserdem soll die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Anbieter Belden Wire & Cable helfen, bei den privaten Verbrauchern weitere Marktanteile zu sichern. Die ersten Monate des Jahres seien "positiv angelaufen", behauptet das Management.

1994 war der Umsatz der deutschen Firma um rund zwoelf Prozent auf 445 Millionen Mark und konzernweit auf 707 Millionen Mark gesunken. Der Jahresfehlbetrag belief sich auf 57 Millionen Mark; weltweit betrug das Minus neun Millionen Mark.

Derzeit wird mit moeglichen Partnern kooperiert, um den verlustreichen Toechtern wie der Krone Informationssysteme GmbH und UEC Umwelttechnik wieder auf die Beine zu helfen. Obwohl Gespraeche mit AT&T, Alcatel, Ericsson und Siemens gefuehrt worden seien, sei man "kein potentieller Uebernahmekandidat", heisst es aus der Fuehrungsetage.

Etwas uebernommen scheinen sich die Deutschen Telefon-Werke (DeTeWe) zu haben. Der Kreuzberger Stammsitz baute zwar grosszuegig im Osten der Stadt in Berlin-Hoppegarten, doch ohne Stellenstreichungen kam man nicht aus. Von den noch im Februar dieses Jahres genannten 600 gefaehrdeten Arbeitsplaetzen - davon ein Viertel in Hoppegarten mit derzeit 400 Mitarbeitern - ist nun nicht mehr die Rede. Durch die derzeitige Auftragslage der Telekom wird laut Betriebsratsmitglied Bernd Littkowski "der Abbau laengst nicht in diesem Masse stattfinden".

Schlechter sieht es bei Siemens in Spandau aus. Zwar haben die von Unternehmenschef Heinrich von Pierer angefuehrten hohen Personalkosten, der Preisverfall sowie der schnelle Abbau der Berlinfoerderung nichts an der guten Ertragslage geaendert: "Das Berliner Kabelwerk von Siemens arbeitet mit sattem Gewinn", verkuendete der Vorstand; letztes Jahr waren es 47 Millionen Mark. Dennoch moechte die Muenchner Konzernleitung bis 1997 etwa 650 der 850 Arbeitsplaetze "aus betriebstechnischen Gruenden" nach Mecklenburg-Vorpommern, in die Slowakei und nach Ungarn verlegen.

Der Betriebsrat machte mobil: Rund 3000 Siemensianer protestierten Anfang Mai gegen den geplanten Stellenabbau. "Seit Jahren", so der Betriebsratsvorsitzende Juergen Schulz, "hat Siemens Subventionen abkassiert, aber wenn es kriselt, sind die Arbeitsplaetze weg." Auch Buergermeister Eberhard Diepgen engagierte sich und bezeichnete diesen Abzug als "wenig kreativ".

Nur nach Regionen auszuwandern, weil "dort noch die Loehne niedriger sind", sei keine Loesung. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus zeigte man wenig Verstaendnis fuer solche Aktionen. Auf die Vermutung vieler Siemens-Leute, dass das lukrative Gelaende des Werks kuenftig - zum Industrie- und Bauland gemacht - als gewinnbringende Immobilie verkauft werden koennte, erklaerte Diepgen: "Siemens muss damit rechnen, dass wir eine Umwidmung hier nicht vornehmen werden. Wir erwarten vielmehr eine langfristige Sicherung von Arbeitsplaetzen."

* Andrea Rausch-Dietrich ist freie Autorin in Berlin.