Jean Tirole

Der Staat als Bändiger von Google und Co - Nobelpreis für Franzosen

14.10.2014
Preisdiktate, Kartelle, Fusionen: Aufseher wollen die Macht großer Konzerne brechen. Ein Franzose hat gute und schlechte Ansätze untersucht - und dafür jetzt den Nobelpreis erhalten. Jean Tiroles Fazit: Jeder Einzelfall ist anders gelagert.

Wie kann der Staat den Machthunger von Internet-Konzernen wie Google oder Amazon zügeln? Wie kann er Großunternehmen wie Bahn oder Post, die über Jahrzehnte Monopolisten waren, beaufsichtigen und Kartelle verhindern? Dies sind zentrale Fragen der Wirtschaftspolitik, die aber auch jeden Verbraucher betreffen - egal ob es um die Internetsuche oder die Bahnpreise geht.

Grundlegende Modelle, um auf diese Probleme eine Antwort zu finden, hat der Franzose Jean Tirole (PDF-Link) seit den 1980er Jahren entwickelt. Nun erhält der Ökonom für seine Forschungen den Wirtschafts-Nobelpreis. Seine Arbeiten sind Empfehlungen an Politik und Wettbewerbsbehörden - egal ob es um Preisdumping, künstlich erhöhte Preise oder Entscheidungen über Firmenzusammenschlüsse geht.

Wenn eine Firma beispielsweise eine ganze Branche beherrscht und ein Monopol für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung besitzt, kann es den Kunden die Preise diktieren und Wettbewerber fernhalten. Dann müssen die staatlichen Kartellbehörden - in Deutschland etwa das Bundeskartellamt, in Europa die EU-Kommission - eingreifen.

Andererseits sind solche Oligopole - also Märkte, in denen nur eine Handvoll übermächtiger Anbieter vielen Nachfragern gegenübersteht - oft unvermeidbar. Es würde etwa keinen Sinn ergeben, wenn Bahnfirmen parallele Schienenstränge bauen oder ein Hausbesitzer gleich durch mehrere Wasserleitungen versorgt wird. Was kann der Staat also tun?

"Tirole hat moderne Methoden angewandt und politikrelevante Schlüsse gezogen. Das war eine Revolution", sagt Professor Volker Nocke von der Universität Mannheim, die Tirole 2011 die Ehrendoktorwürde verliehen hat. Bis dahin seien Politik und Behörden meist althergebrachten Regeln gefolgt. Dazu habe gezählt, Preisgrenzen für Monopolisten festzulegen und Zusammenschlüsse zwischen Konkurrenten zu verbieten.

Der Franzose veränderte mit neuen Ansätze das Denken und zeigte, dass einfache Rezepte nicht passen. Seine Theorie wandte er auf die Telekom- und Bankenbranche an. In seiner Forschung wies Tirole nach, dass Preisgrenzen eine Firma zwar dazu bringen können, die Kosten zu senken - sie zugleich aber auch übermäßige Gewinne einfahren kann. Dies wäre ein unerwünschter Effekt.

Tirole belegte, dass Absprachen bei Preisen schlecht für die Kunden sind. Dagegen können Absprachen bei Patenten der Gesellschaft durchaus nutzen. Seine Modelle zeigten, dass ein Zusammenschluss zwischen einer Firma und ihrem Lieferanten den Wettbewerb behindert, jedoch zugleich Erfindungen und Innovationen beflügeln kann.

Mit diesem individuellen Ansatz veränderte der Ökonom die Arbeit der Aufseher. "Tirole hat bewiesen, dass die beste Aufsicht und Wettbewerbspolitik darin besteht, die Besonderheiten einer Branche zu berücksichtigen", schrieb das Nobelpreis-Komitee. Sein Fazit laute: Große Unternehmen müssten in unterschiedlichen Märkten auch ganz unterschiedlich reguliert werden.

Besondere Anerkennung erhält Tirole für seine Erkenntnisse zur Regulierung von sogenannten zweiseitigen Märkten, bei denen zwei Gruppen ein und dieselbe Plattform nutzen. Das betrifft etwa die Medien, wo Leser und Werber sich begegnen, sowie die Kreditkartenbranche oder soziale Netzwerke.

"Wir haben gezeigt, dass solche Märkte ganz anders funktionieren", sagt der frischgebackene Preisträger am Telefon des Komitees. Bei Google bekomme ein Kunde verschiedene Dienste wie etwa E-Mails und die Suchfunktion umsonst - obwohl dem Unternehmen dabei Kosten entstünden. Was anderswo undenkbar sei, sei in diesem Fall gut für den Kunden und für den Anbieter von Werbung. "Die Aufseher müssen also ganz genau hinsehen", fordert Tirole.

Auch zu dem vieldiskutierten Thema Bankenregulierung bezog der an der Universität Toulouse lehrende Wissenschaftler gleich Stellung. Tirole lobte, dass Europa die Geldhäuser seit der letzten Finanzkrise viel strikter überwache. Das reiche aber nicht aus, da viele Banken global arbeiteten: "Wir brauchen globale Instanzen, globale Behörden."

Trotz aller praktischen Anwendungen bleibt nach Ansicht einiger Ökonomen ein Wermutstropfen. Nach Einschätzung von Professor Max Otte von der Fachhochschule Worms hinken die Regulierer in der Praxis stets hinterher. "Die Aufseher vor allem in Europa sind zu schwach, um gegen Amerikaner wie Google, Amazon oder Microsoft vorzugehen. Die großen Firmen häufen einfach immer mehr Macht an." (dpa/tc)