Die Verantwortlichen werden oft über den wahren Stand der Dinge unzureichend informiert:

Der schöne Schein ist mehr als trügerisch

14.08.1986

Transparenz ist das A und O jeglichen Projektmanagements. Diese Forderung birgt allerdings auch eine Gefahr: Um in den Augen des Vorgesetzten gut dazustehen werden Zwischenergebnisse "frisiert" und Planungslücken vertuscht. Die Devise "Mehr Schein als Sein" erweist sich jedoch oft als Schuß, der nach hinten losgeht.

Daß Softwareprojektmanagementsysteme oft nur dazu dienen, den wahren Zustand eines Projektes zu verschleiern, beziehungsweise nach außen die heile Welt vorzugaukeln, dürfte inzwischen bekannt sein. Nur die eigentlichen Frontkämpfer in einem solchen Vorhaben wissen, wie es in Wirklichkeit um das Projekt steht. Ihnen kann man über Projektmanagementsysteme nichts erzählen, ohne ein zynisches Lächeln hervorzurufen. Aber allen Etappenhengsten, die den schönen Berichten über den "Projektfortschritt" allzu viel Glauben schenken, droht eine Ernüchterung.

Das Projektmanagement hat bei der Entwicklung von Software, gemessen an seinen eigenen hohen Zielen, bisher wenig Erfolg gehabt. Denn das oberste Postulat des Projektmanagements ist die Kontrolle. Dies bedeutet aber Transparenz. Der Zustand des Projektes muß also jederzeit erkennbar sein.

PMS-Einsatz artet leicht in Augenwischerei aus

Kaum ein Softwaremanager wird behaupten können, daß er den wahren Zustand seiner Projekte kennt; es mag sein, daß seine Wände mit Netzplänen und Fortschrittskarten jeder Art zugepflastert sind und daß alle Kosten von Rechnerbenutzung bis Personaleinsatz erfaßt wurden. Möglich ist sogar, daß man ein rechnerunterstütztes Projektsteuerungssystem einsetzt, welches den Projektfortschritt anhand der Anteile fertiggestellter Elemente mißt. In der Tat ist dies alles Augenwischerei - ein Spiel für unruhige DV-Projektleiter, die das Gefühl haben, sie müßten unbedingt etwas tun. Der wahre Zustand des Projektes wird hierdurch nicht geschildert.

Typisch für diese Art der Projektüberwachung sind Projektmanagementsysteme, die den Prozentsatz der Fertigstellung ermitteln. Der Projektleiter oder seine Assistenten laufen von einem Entwickler zum anderen und fragen, wie weit er ist. Die Antwort lautet natürlich optimistisch, wie alle Entwickler sind, daß der Mitarbeiter schon zu 90 Prozent fertig sei und ein Stapel Übersetzungslisten vorgezeigt wird. Dies führt zu einer Erfassung in dem Projektmanagementsystem und wird mit den anderen 90 Prozent Fertigungsgraden summiert.

Aus dem computergestützten Fortschrittsbericht, womöglich am Bildschirm präsentiert, geht hervor, daß das Projekt so gut wie abgeschlossen ist, in Wirklichkeit steht das Projekt aber nur zu 50 Prozent. Denn zwischen fertigcodierten Programmen und lauffähigen, getesteten und integrierten Programmen besteht ein himmelweiter Unterschied. Eine Verfeinerung dieser Fortschrittsverfälschungstechnik ist die phasenweise Fortschrittsmessung. Hier wird der Fertigstellungsgrad nach Phasen ermittelt; so könnte es sich herausstellen, daß Phase 2 zu 80 Prozent, Phase 3 zu 60 Prozent und Phase 4 zu 40 Prozent fertig ist. Man arbeitet also phasenüberlappend. Diese Art der Fortschrittsmessung dient noch mehr der Verfälschung, denn die 20 Prozent der Phase 2, die noch nicht fertig sind, könnten 50 Prozent der Phase 3 und sogar 75 Prozent der Phase 4 ausmachen. Die 60 Prozent von Phase 3 beziehen sich lediglich auf die 80 Prozent der Phase 2 und die 40 Prozent von Phase 4 beziehen sich allein auf die 60 Prozent der Phase 3. Somit ist die Verzerrung perfekt. Nach außen entsteht jedoch der Anschein, als ob phasenweise gearbeitet werde.

Das Nonplusultra der Fortschrittsverfälschung kommt jedoch von computergestützten Systemen, die den Projektfortschritt maschinell überwachen. Hier wird mit großer Akribie jedes geplante Ergebnis - ob Dokument, Code-Abschnitt, Datenstruktur oder Bericht - maschinell erfaßt und überwacht. Kriterium für die Fertigstellung ist allein die Tatsache, ob ein Member für das entsprechende Ergebnis gespeichert ist oder nicht.

Im Falle eines Dokuments gilt also das Ergebnis als komplett, wenn nur eine Zeile mit 'xxxx' in der Bibliothek vorhanden ist. Jetzt fehlt nur noch die Abnahme durch den Projektleiter. Dieser schaut sich die gespeicherten Ergebnisse am Bildschirm flüchtig an und stempelt sie als geprüft. In der Tat sind sie nur Rumpfergebnisse, die mehrfach überarbeitet werden müssen, ehe sie wirklich korrekt sind. Die obere Führung sieht jedoch, daß von 1000 Einzelergebnissen 750 vorliegen und 500 schon geprüft sind. Danach müßte das Projekt bald fertig sein.

Projektmanagementsysteme können nicht nur den Fortschritt verfälschen. Die Fälschung beginnt bereits in der Planung. Aufgaben werden in ihren Abhängigkeiten zueinander mit großem Aufwand und Netzplänen abgebildet, daraus läßt sich ein kritischer Pfad ableiten. Dann werden Ressourcen wie Rechnerzeit und Personal den Aufgaben zugewiesen. Dabei geht man davon aus, daß diese Ressourcen immer da sind, wenn man sie braucht.

Daß dies vor allem im Personalbereich selten der Fall ist, weiß jeder. Nicht nur, daß die Mitteleuropäer sechs Wochen Urlaub, 18 Feiertage und jede Menge Ausbildungstage haben. Es handelt sich oft auch um Spezialisten, die an mehreren Projekten arbeiten. Daß der benötigte Spezialist just zu dem Augenblick verfügbar ist, da die Aufgabe ansteht, ist äußerst unwahrscheinlich. Oft muß man wochenlang auf ihn warten. Also ist der ganze Netzplan im Eimer. Was soll's: Auf der Wand des Projektleiters macht er einen sehr guten Eindruck, auch dann, wenn er schon längst überholt ist. Bei der Softwareentwicklung ist der Schein eben mehr wert als das Sein.