Kritik an DSL-Vectoring-Entwurf der Bundesnetzagentur

Der schmutzige Kampf um die deutsche DSL-Breitband-Zukunft

12.04.2013
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Presseerklärung der Bundesnetzagentur zum DSL-Vectoring hatte die Redaktionsstuben noch nicht erreicht, da schossen die Telekom-Konkurrenten schon aus allen Rohren: Statt das Positive - 100 Mbit/s-DSL-Internet für Alle - zu sehen, warnen sie vor einem Rückfall in alte TK-Monopolzeiten. Wir zeigen was wirklich Sache ist.
Streitobjekt KVz: Wer bekommt beim Vectoring die TAL?
Streitobjekt KVz: Wer bekommt beim Vectoring die TAL?
Foto: Deutsche Telekom

Eigentlich müssten alle begeistert sein - egal ob, Telekom, Anwender, DSL- oder VDSL-Kunden sowie Anbieter wie 1&1: Statt Milliardenbeträge in den teuren Glasfaserausbau zu investieren, verspricht die neue Technik VDSL-Vectoring 100-Mbit/s-Internetzugänge für viele User bei überschaubaren finanziellen Kosten (siehe auch: Mit 100 Mbit/s ins Internet per Telefonkabel, Breitband-Hoffnung Vectoring).

Doch statt gemeinsam zum Wohle der Anwender und des deutschen Standorts in einen schnellen Ausbau der neuen Technik zu investieren, bekriegen sich die Telekom und ihre Konkurrenten seit Monaten um eine mögliche Regulierung des Vectoring-Ausbaus. Dabei scheuen sich die Konkurrenten in der öffentlichen Diskussion nicht, auch einmal Nebelkerzen zu zünden. So wird der Telekom gerne vorgeworfen, dass sie ihre Geschäfte auf einer Infrastruktur betreibe, die vom deutschen Steuerzahler finanziert worden sei, weshalb der Konzern zur Offenheit verpflichtet sei. Doch diese Argumentation stimmt schon lange nicht mehr. Die Vermittlungsstellen, die noch zu Bundespost-Zeiten vom Steuerzahler finanziert wurden, stehen längst im Museum. Und die Glasfaserstrecken zu den Kabelverzweigern (KVz) mit Outdoor-VDSL-DSLAMs verlegte erst die börsennotierte Telekom AG. Auch an anderer Stelle wird in der hitzigen Diskussion, in der es um viel Geld und die Geschäftsgrundlage manches Telekom-Konkurrenten geht, nicht immer genau berichtet.

So hat etwa die Bundesnetzagentur in dieser Woche mitnichten eine Entscheidung zur Vectoring-Regulierung getroffen oder gar das "Telekom Turbo-DSL genehmigt" wie ein politisches Wochenmagazin online titelte. Sie hat lediglich einen Entwurf mit dem deutlichen Hinweis darauf vorgelegt, dass am 24. April 2013 eine öffentliche mündliche Anhörung in Bonn stattfindet. Ferner haben interessierte Parteien bis zum 10. Mai 2013 Gelegenheit, schriftlich Stellung zu nehmen. Anschließend wird der Entscheidungsentwurf der EU-Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden der übrigen EU-Mitgliedstaaten übermittelt, die dann innerhalb eines Monats Stellungnahmen abgeben können.

Der Vectoring-Entwurf

Per Vectoring können auf dem Kupferkabel bis zu 100 Mbit/s übertragen werden.
Per Vectoring können auf dem Kupferkabel bis zu 100 Mbit/s übertragen werden.
Foto: Deutsche Telekom

Im Detail sieht der Entwurf vor, dass die Telekom ihren Wettbewerbern den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung (TAL), der sogenannten letzten Meile, an bisher noch nicht erschlossenen Kabelverzweigern (KVz) - das sind die grauen Verteilerkästen am Straßenrand - grundsätzlich weiterhin gewähren muss. Damit kann auch in Zukunft jedes Unternehmen, so die Bundesnetzagentur, überall KVz mit VDSL erschließen.

Die Telekom kann allerdings unter folgenden Bedingungen den Wettbwerbern den zu Zugang zur KVz-TAL verweigern:

  • sie selbst oder ein anderes Unternehmen wollen dort Vectoring einsetzen,

  • in dem Gebiet gibt es bereits ein zweites Festnetz,

  • sie hat mehr KVz-TAL erschlossen als ein Wettbewerber,

  • als Ersatz für den Zugang zur KVz-TAL bietet die Telekom ein angemessenes Bitstromprodukt.

In Gebieten ohne zweite Festnetzinfrastruktur kann die Telekom dagegen einem Wettbewerber den Zugang zur KVz-TAL für VDSL nicht verweigern:

  • wenn dieser den KVz als Erster für Breitbandtechnik erschlossen hat,

  • er selbst Vectoring einsetzt

  • er im Rahmen eines offenen Netzzugangs ("Open Access") ein angemessenes Bitstromprodukt offeriert.

Für KVz, die Wettbewerber bereits an ihr eigenes Netz angebunden haben, ändert sich erst einmal nichts. Hier können die Unternehmen die von der Telekom angemieteten KVz-TAL weiter für VDSL-Anschlüsse betreiben und dort auch künftig weitere Leitungen für VDSL schalten lassen. Allerdings müssen Wettbewerber an solchen KVz ab 2017 selbst Vectoring einsetzen und ein Bitstromprodukt anbieten, wenn die Telekom das von ihnen verlangt.

Das meint der VATM

Relativ besonnen reagierte der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), der mit seinen über 110 Mitgliedern nicht gerade für Beißhemmungen gegenüber dem Konkurrenten Telekom bekannt ist, auf den Entwurf. "Die Bundesnetzagentur hat sich in ihrem Entwurf große Mühe gegeben, Regelungen zu schaffen, die sowohl für die Deutsche Telekom als auch für die Wettbewerber die Möglichkeiten offen halten, in den Breitbandausbau zu investieren", lautete ein erstes Fazit von VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner.

Kritisch sieht er allerdings, dass nicht klar sei, welche Sanktionen es geben soll, wenn die Telekom eine Vectoring-Aufrüstung in einem Gebiet ankündigt, dadurch den Ausbau durch einen anderen Anbieter verhindert, dann aber den eigenen Ausbau unterlässt. Ferner vermisst er noch hochwertige Bitstrom-Vorproduktangebote am Hauptverteiler, die der Leistungsfähigkeit von VDSL mit Vectoring entsprechen und eine Angebotsvielfalt für den Kunden garantieren.

Die Kritik des BREKO

Bandbreitenexplosion: Alleine die steigende Nachfrage nach Video lässt den Bandbreitenbedarf bis 2020 auf 100 Mbit/s steigen.
Bandbreitenexplosion: Alleine die steigende Nachfrage nach Video lässt den Bandbreitenbedarf bis 2020 auf 100 Mbit/s steigen.
Foto: Alcatel-Lucent

Zu einer ganz anderen Einschätzung des Entwurfs kommt der Bundesverband Breitbandkommunikation e.V. (BREKO), in dem vorwiegend City- und Regional-Carrier sowie Stadtwerke organisiert sind. Er titelt in einer Pressemitteilung: "Vectoring: Bundesnetzagentur erschwert massiv den Breitbandausbau für Wettbewerber". In seiner Argumentation kommt der BREKO zu der Einschätzung, dass die Telekom von der uneingeschränkten Entbündelungs-Verpflichtung an Kabelverzweigern (KVz) befreit werde und einen Freibrief für Breitband erhalte. Nach dem aktuellem Entscheidungs-Entwurf könne die Deutsche Telekom Vectoring nun exklusiv überall dort einsetzen, wo sie es plant - die Wettbewerber blieben außen vor.

City- und Regional-Carrier hätten keinen echten Zugang mehr zur "letzten Meile". Ganz anders als VATM-Geschäftsführer Grützner ist Ralf Kleint, BREKO-Präsident, von dem Entwurf enttäuscht: "Es ist nicht nachzuvollziehen, wie die Regulierungsbehörde den Anträgen der Telekom in weiten Teilen folgen konnte. Zumal es doch ganz offensichtlich ist, dass die Deutsche Telekom darauf abzielt, hauptsächlich in den Ballungsgebieten ihre Marktstellung gegenüber den Kabelnetzbetreibern zu verbessern und den Wettbewerb im ländlichen Raum auszubremsen."

Entsetzte Glasfaser-Lobby

Sehr kritisch äußert sich auch eine andere Lobby-Vereinigung, der Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS). "Die Verpflichtung der Telekom, Zugang zur entbündelten letzten Meile am Kabelverzweiger zu gewähren, ist einer der zentralen regulatorischen Pfeiler für den Infrastrukturwettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten", kritisiert BUGLAS-Geschäftsführer Wolfgang Heer. "Dieser Pfeiler wird mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung der bestehenden Regulierungsverfügung in seinen Grundfesten erschüttert." Für einen Einstieg in den Ausstieg aus der Zugangsregulierung besteht nach Ansicht des BUGLAS aufgrund der Ökonomie von Netzwirtschaften, die immer zu natürlichen Monopolen tendieren, auf absehbare Zeit keinerlei Anlass.

Unsere Meinung

DSL-Vectoring verspricht deutlich geringere Investitionskosten im Vergleich zum Glasfaserausbau - auch wenn es nur eine Übergangstechnik ist.
DSL-Vectoring verspricht deutlich geringere Investitionskosten im Vergleich zum Glasfaserausbau - auch wenn es nur eine Übergangstechnik ist.
Foto: Alcatel-Lucent

Die harsche Kritik von BUGLAS und BREKO verwundern, da doch ihre Mitglieder selbst auf der letzten Meile etwa in Köln oder München Glasfaser als Alternative zum Telefonkabel verlegt haben. Wollen Sie eventuell - entgegen den Beteuerungen ihrer Verbände - gar nicht mehr weiter in den Ausbau investieren und künftig wie Reseller nur billig die TAL anmieten? Insgesamt sollten die Telekom-Konkurrenten weniger jammern und statt dessen handeln. Also selbst investieren und beispielsweise auch die weißen Flecken abdecken. Andere in die teure Infrastruktur investieren lassen und sich dann ins gemachte Netz setzen, kann jeder.

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