Der sanfte Weg zur IP-Telefonie

18.02.2005
Die Allessa Chemie GmbH hat ihr TK-System modernisiert und sich damit für die IP-Zukunft gerüstet.

Für den Chemiebetrieb war es an der Zeit, sein Telekommunikationssystem zu überholen und funktional zu erweitern: Zum einen war dessen Wartung ausgelaufen, zum anderen wurden die in die Jahre gekommenen TK-Anlagen des Unternehmens den steigenden Ansprüchen nicht mehr gerecht.

Bislang versorgten zwei über eine Querverbindung miteinander verschaltete Siemens-TK-Anlagen vom Typ "Hicom 300" die insgesamt 120 Gebäude an den beiden Allessa-Standorten Frankfurt-Fechenheim und Offenbach. "Wir mussten in erster Linie in eine technische Hochrüstung investieren, um die Betriebssicherheit unserer Werke zu erhalten", nennt Thomas Wenzel, Chief Information Officer (CIO) bei Allessa, den primären Grund für die Renovierung im TK-Bereich. Das Unternehmen produziert organische Zwischenprodukte zur Weiterverarbeitung in der chemischen Industrie - einer Branche, in der die reibungslose Kommunikation nicht nur für die Kundenbeziehungen, sondern vor allem aus Sicherheitsgründen eine besonders wichtige Rolle spielt. "Zwar ist die Chemie kein Atomkraftwerk, sie besteht aber aus sehr sensiblen Komponenten", erläutert Wenzel. Deshalb ständen die Themen Erreichbarkeit, Ausfallsicherheit, Verfügbarkeit und Wiederherstellbarkeit bei Allessa nicht nur in der Prozessleittechnik, sondern auch im Bereich Telekommunikation ganz oben auf der Prioritätenliste.

Abgesehen davon sollte das Telekommunikationssystem mit zeitgemäßen Zusatzfunktionen wie Computer-Telefonie-Integration (CTI) und Unified Messaging angereichert werden, um die Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten und die Produktivität der rund 1300 Allessa-Mitarbeiter zu steigern. Für das Unternehmen galt es dabei, mit der neuen Lösung sowohl Zukunftssicherheit zu gewährleisten als auch bisherige Investitionen zu schützen. Immerhin sei in den vergangenen Jahrzehnten ein kilometerlanges Kabelnetz von beachtlichem Geldwert gewachsen, berichtet Wenzel. Anders als das Datennetz erreichten die Fernsprechleitungen sämtliche Produktionsstätten, aber auch kleinere Betriebseinheiten, die zwar über Telefon-, teilweise jedoch nicht über Computeranschlüsse verfügten. Nicht untypisch für das Kommunikationsnetz eines produzierenden Chemiebetriebs, seien zudem rund zwei Drittel der eingesetzten Endgeräte Analogtelefone - ein Teil davon in teurer, explosionsgeschützter Sonderausfertigung, "Ex-Schutz"-Telefone. Diese Infrastruktur sollte in die neue Lösung einbezogen werden.

Zu früh für VoIP only

Die Neugestaltung der Kommunikationslösung entpuppte sich als schwieriges Unterfangen. "Der häufig propagierte abrupte Wechsel in die Voice-over-IP-Welt kam für uns aus mehreren Gründen nicht in Frage", so der Allessa-CIO. Um die gesamte Kommunikation ausschließlich über das Datennetz abzuwickeln, hätte der Chemiebetrieb sein komplettes bestehendes Telefonnetz aufgeben und sämtliche 1500 Endgeräte gegen VoIP-fähige Telefone austauschen müssen - ein Aufwand, der laut Wenzel nicht zu vertreten war.

Aber auch in anderer Hinsicht erwies sich ein Bruch mit der bisherigen analog-digitalen Telefonwelt als schlechte Alternative: Da lediglich 80 der insgesamt 120 Allessa-Gebäude an das firmeneigene Datennetz angebunden sind, wären Nachverkabelungen über große Strecken notwendig gewesen. Auch hätten die zu erhaltenden, analogen Ex-Schutz-Telefone über teure Adapter angeschlossen werden müssen. Es gab einen weiteren Grund, der gegen einen Ad-hoc-Umstieg auf ein integriertes Sprach-Datennetz sprach: "Da über unser Kommunikationssystem auch Drittfirmen telefonieren, die sich mittlerweile an den Standorten Frankfurt-Fechenheim und Offenbach angesiedelt haben, wären spezielle Sicherheits- und Firewall-Konzepte für deren Anschlüsse erforderlich gewesen", so Wenzel. Immerhin habe man in den vergangenen Jahren viel Geld in virtuelle LAN-Lösungen investiert, um eine effektive Netztrennung zwischen den einzelnen Firmen zu erzielen. Inakzeptabel war die kompromisslose Migration auf VoIP letztendlich auch im Hinblick auf das Risiko einer Virusattacke, die parallel zum Datennetz auch die Kommunikation via Telefon lahm legen würde.

In beiden Welten

Allessa entschied sich daher für eine Hybridlösung, die ein einstweiliges Verharren in der klassischen TK-Welt, zugleich aber auch einen schrittweisen Umstieg auf die IP-Telefonie ermöglicht. Die Wahl fiel auf IP-fähige TK-Anlagen des Typs "Hipath 4500" von Siemens. Ausschlaggebend für die Entscheidung sei unter anderem die traditionell enge Zusammenarbeit der chemischen Industrie mit dem Hersteller insbesondere im Bereich Prozessleittechnik gewesen. Zudem galt es, im Unternehmen bereits vorhandenes Wissen zu schützen: "Einige unserer TK-Spezialisten kennen sich hervorragend mit Siemens-Anlagen aus, so dass wir die Wartung vorwiegend in Eigenregie vornehmen können", erläutert Wenzel.

Drei Monate benötigte Allessa im Team mit Siemens Communications, um das Migrationsprojekt umzusetzen. Nach dem Projekt-Kickoff im November 2003 wurden die beiden TK-Anlagen für die Standorte Frankfurt-Fechenheim und Offenbach aufgebaut, Ende Januar 2004 erfolgte die Installation der neuen Softwarepakete. Am 14. Februar vergangenen Jahres war es dann so weit: "Um sechs Uhr morgens wurden die beiden zentralen Anlagen geschwenkt, gleichzeitig machten sich sechs Trupps in den 120 Gebäuden der beiden Werke an den Austausch der Endgeräte", blickt Wenzel zurück. Bereits um neun Uhr konnten die Mitarbeiter wieder normal telefonieren.

Leichtere Systemadministration

Im ersten Schritt wurden rund 300 ältere Digitaltelefone ausgemustert und durch modernere "Optipoint"-Endgeräte von Siemens ersetzt. Dagegen konnten die vorhandenen rund 1000 analogen Apparate (einschließlich der teuren Ex-Schutz-Telefone) sowie weitere 200 digitale Telefone der Siemens-Baureihe "Optiset" an Ort und Stelle bleiben. Das "Hipath Management System" rechnet nun die Gesprächsgebühren nach Abteilungen ab und erleichtert den Allessa-Mitarbeitern sowohl die Modifikation von Anschlüssen als auch die Systemadministration. Ein integriertes Fault-Management wiederum spürt frühzeitig mögliche Fehlerquellen auf und unterstützt den Service bei Bedarf durch Ferndiagnosen.

Für ein deutliches Plus an Produktivität insbesondere an Arbeitsplätzen mit hohem Faxaufkommen habe die mit dem neuen TK-System eingeführte Unified-Messaging-Lösung gesorgt, berichtet Wenzel. Fernkopien könnten die Mitarbeiter heute direkt vom PC aus senden und auch dort empfangen. Spürbar sei der Effizienzzuwachs aufgrund der Anbindung von E-Mail und Fax an das firmeneigene SAP-System, über das täglich Hunderte von Bestellungen abgewickelt werden: Heute versendet ein Auftrag das zugehörige Bestell-Telefax automatisch aus R/3 heraus. Dank CTI wiederum haben die Allessa-Mitarbeiter über die Web-Oberfläche von "Hipath Commassistent" direkten Zugriff auf die in der Anlage gespeicherten Rufnummern sowie die eigenen Lotus-Notes-Adressen.

Den speziellen Sicherheitsanforderungen wird das neue TK-System gerecht: Sobald das Allessa-eigene Gefahrenabwehrsystem ein Ereignis etwa in der Produktion registriert, aktiviert der Digitale Alarmierungs- und Kommunikations-Server (DAKS) die dafür hinterlegten Regeln und Pläne zur Gefahrenabwehr. Bei Zwischenfällen alarmiert er die für das Ereignis zuständige Personengruppe telefonisch, per Handy oder über die Personensucheinrichtung auf dem Gelände.

Das Redundanzkonzept

Für zusätzliche Sicherheit sorgt eine Aufteilung der Leitungen zum öffentlichen Netz auf die beiden Allessa-Standorte: Das Hipath-System in Frankfurt-Fechenheim und in Offenbach bedient jeweils mehrere Primärmultiplexanschlüsse (S2M-Bündel) mit 2 Megabit pro Sekunde und 30 Ver- bindungsmöglichkeiten zum "Amt". Darüber hinaus führt zwischen den beiden Arealen eine 2-Mbit/s-Leitung durch den Main. Dieses Redundanzkonzept stellt laut Wenzel sicher, dass externe Gespräche bei einem Ausfall einer der beiden Carrier-Verbindungen automatisch über den jeweils anderen Standort geroutet werden.

Den finanziellen Aufwand des Migrationsprojekts umschreibt der CIO als "nicht unerheblich". Um sich im Dschungel der Preismodelle von Seiten der TK-Anlagenanbieter nicht zu verlieren, empfiehlt er jedoch, einen TK-Berater zu Rate zu ziehen. Seinem Unternehmen griff die in Eschborn ansässige Comcontrol GmbH unter die Arme.

Drei Fliegen mit einer Klappe

Von größeren technischen Pannen im Projektverlauf weiß der IT-Chef nicht zu berichten. Einzelne Hürden galt es dennoch zu nehmen: Insbesondere für Siemens Communications sei die Vorgabe, die Anlagenmigration sowie die Implementierung von CTI und Unified Messaging an einem gemeinsamen Stichtag zu realisieren, eine Herausforderung gewesen. So musste die Hipath-Systemsoftware kurzfristig ergänzt werden, um die Ex-Schutz-Telefone weiter in Betrieb halten zu können. Dank dieser Anpassung lassen sich moderne Leistungsmerkmale nun auch mit dem früheren Impulswahl-Verfahren nutzen. Auch habe man es durch die Einführung von Unified-Messaging und Web-basiertem CTI neben der Vermittlungstechnik "plötzlich mit der Software von Bill Gates zu tun gehabt - mit all ihren Fehlern, Tücken, Besonderheiten, Versionen und Servicepacks", erinnert sich Wenzel. Durch die neue Technik konnte Allessa die Kosten für die Anlagenwartung um ein Drittel reduzieren.

Der zunehmenden Konvergenz von Sprach- und Datenkommunikation will sich Allessa nicht verschließen: "Eine Handvoll IP-Telefone für ausgewählte Gebäude haben wir bereits in die Felderprobung genommen", weiß Wenzel zu berichten. Als interessant erachtet er VoIP künftig insbesondere für die kostengünstige Anbindung kleinerer Standorte an das Werksgelände Fechenheim-Offenbach. Zudem sei die IP-Technik das Mittel der Wahl, um Heimarbeitsplätze oder Auslandsstandorte wirtschaftlich in das Firmennetz zu integrieren. (kf)