Banken erwägen PC-Einsatz bei der Kreditvergabe zur Sachbearbeiterunterstützung:

Der Mensch hat immer noch das letzte Wort

03.10.1986

MÜNCHEN - Ein DV-gestütztes Entscheidungssystem, das selbständig Kredite vergeben könnte, besitzt American Express. Doch das System kommt nicht zum Einsatz, da das Unternehmen nur einen Menschen urteilen lassen will, so ein Bericht der Financial Times. Ähnlich sieht es auch in der Bundesrepublik aus. Häufigstes Argument der Banker gegen den Computer hier: die Werbung mit der individuellen Kreditberatung.

"Wir sind gerade dabei, in Richtung einer computerunterstützten Kreditberatung zu denken", erklärte Clemens Jonas, Referent für Kreditwesen des Bundesverbandes der Genossenschafts- und Raiffeisenbanken, "ein entsprechendes Konzept soll Ende 1987 zur Verfügung stehen. Künftig solle jeder Schalterangestellte in der Lage sein, mit Hilfe des Computers sofort einen Kredit zu bewilligen. Dazu muß ein Fragenkatalog erstellt werden, bei dem jede Antwort Punkte gibt. Je mehr Punkte der Kunde sammelt, um so kreditwürdiger ist er. Sollte der PC jedoch ermitteln, daß der Kunde die erforderliche Punktzahl nicht erreicht, wird der Kredit noch nicht abgelehnt. In diesem Fall entscheidet die höhere Instanz - der Mensch. Der zuständige Sachbearbeiter führt nun ein Gespräch mit dem Kunden. "Letztendlich", so Jonas, "ist der Eindruck, den der Antragsteller hinterläßt, für die Bewilligung oder entgültige Ablehnung entscheidend.

Bei diesem System müssen regionale Unterschiede beachtet werden da das Kreditrückzahlungsverhalten zum Beispiel in Schleswig-Holstein anders ist als in Bayern. Deshalb dürfen nicht nur allgemeine Erfahrungen im Kreditwesen bei der Bewertung eine Rolle spielen, sondern auch die lokalen. Akzeptanzprobleme von seiten des Kunden sieht Clemens Jonas nicht. Denn mit diesem System läßt sich im Regelfall ein Kredit dank des PC schneller bewilligen. Der Computer soll zunächst für Automobilratenkredite bei den Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken eingesetzt werden.

Bei diesem Bankenverband ist aber noch nicht klar, wie ein Programm im einzelnen aussehen soll. Die Grundvoraussetzung heißt: Die Software muß einfach zu bedienen sein, damit wirklich alle Angestellten den PC benutzen. Eindeutig steht auch fest, daß der Computer nie einen Kredit ablehnen darf. Dies läßt sich nicht mit der individuellen Kundenberatung vereinbaren, mit der die Banken werben.

Dieselbe Auffassung vertritt auch der Deutsche Sparkassenverband, bei dem es bislang keine Bestrebungen gibt, ein Punktesystem für Kreditantragsteller zu entwickeln. Ohne Computerunterstützung arbeiten die Angestellten der Sparkassen aber auch nicht mehr. Beispielsweise bei der Beratung für Betriebe setzen die Kreditsachbearbeiter den Kollegen "Computer" ein. Jeder Unternehmer kann sich eine allgemeine Bilanzanalyse von seinem Kreditinstitut anfertigen lassen. Dabei werden seine Geschäftsunterlagen mit denen der Branche verglichen. Die Chancen des Unternehmens, einen Kredit zu bekommen, hängen vom Stellenwert seines Betriebes bei der Analyse ab. Ein Computer könne allerdings nicht die Tüchtigkeit eines Unternehmens einschätzen, bemerkte dazu Horst Hennemann vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband.

"Wir hatten bereits vor einigen Jahren ein Kredit-Auswertungssystem. Das ist aber nicht mehr im Einsatz, weil wir festgestellt haben, daß die individuelle Beurteilung besser war als die modellhafte. Speziell Grenzwerte konnte das System schlecht abwägen, es war noch zu wenig ausgereift", erklärte Heinz Greßmann, Referatsleiter für computerunterstützte Beratungssysteme bei der Dresdner Bank Frankfurt, "wenn ein solches System bei uns nochmals eingesetzt werden sollte, muß es in der Lage sein, selbst zu lernen. Es muß alle neuen und abgelehnten Kredite überprüfen können. Sobald ein solches Programm auf dem Markt wäre, das man individuell und regional modifizieren könnte, würden wir es testen. Sollten wir feststellen, daß es genausogut ist wie die Betreuer, könnte das System bis auf die Grenzfälle entscheiden."

Akzeptanzprobleme sieht Heinz Geßmann dabei nicht, da der Kunde ja nicht sehe, wie gearbeitet werde. Der Sachbearbeiter ist jedoch nicht ersetzbar, denn nur er kann den Wahrheitsgehalt der Angaben, dies der Kreditantragsteller gemacht hat, überprüfen. Über das System ist dies nicht möglich, weil aufgrund des Bankgeheimnisses Institute, die nicht demselben Verband angehören, keine Informationen beispielsweise über Kontostände austauschen dürfen. Außerdem gibt es noch Probleme mit dem Datenschutz. Eine Prüfung durch das System bleibt vorerst eine technische Utopie.