Kommission "Fachhochschule 2000" setzt Zeichen für deutsche FHs:

Der Marktbedarf bestimmt in der Zukunft die Finanzen

08.06.1990

STUTTGART (CW) - Fachhohschulen im "Ländle" klagen ihr Leid - stellvertretend für alle FHs hierzulande. Die Zahl der Studienbewerber steigt überproportional an, bei der Infrastruktur hapert's. Nur mit Millionenbeträgen läst sich künftig einem Qualitätsverlust gegensteuern. Die Kommission "Fachhochschule 2000" setzt in ihrem Abschlußbericht deshalb Zeichen: Die Gelder für jede Fakultät sollen sich künftig an ihrer Bedeutung für den Arbeitsmarkt orientieren.

Die Kommission war Ende 1988 von der Landesregierung berufen worden, um einen Lagebericht der Fachhochschulen im "Ländle" zu erstellen und Empfehlungen auszusprechen. Das zwölfköpfige Gremium bestand aus Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft, darunter auch zwei Universitätsvertreter.

Die Anstrengungen des Landes Baden-Württemberg, durch den Ausbau von Studiengängen der Marktlage Rechnung zu tragen, wurde im Bericht zwar positiv gewürdigt. Die Kommission kam jedoch zu dem Ergebnis, daß die Fachhochschulen derzeit weder der Nachfrage der Studienbewerber nach Studienplätzen noch dem Bedarf der Wirtschaft an Absolventen nachkommen können.

600 Millionen für Ausbau der Fachhochschulen

Sie empfahl daher die Einrichtung von weiteren 2600 Plätzen für Studienanfänger - das sind 7800 Studienplätze. Zum Vergleich: Im Wintersemester 1988/89 gab es an badenwürttembergischen Fachhochschulen 11 618 Studienanfänger. Den finanziellen Aufwand für den Ausbau der Fachhochschulen und für die Deckung des Nachholbedarfes bestimmter Institute bezifferte das Gremium mit etwa 600 Millionen Mark. Dieses Geld soll im Rahmen eines Bausonderprogrammes zur Verfügung gestellt werden, in Jahresraten von je 60 Millionen Mark. Die tatsächliche Verweildauer der Studenten an der FH soll, so die Empfehlung, durch mehrere Maßnahmen möglichst nah an der Regelstudienzeit von acht Semestern gehalten werden. So soll die Zahl der belegten Wahlpflichtveranstaltungen begrenzt werden, außerdem sollen die Studenten generell ihre Diplomarbeit parallel zu den Veranstaltungen im siebten und achten Semester schreiben. Ausnahmen von der Regel soll es geben, wenn ein Absolvent - nach Bestehen aller Prüfungen - seine Diplomarbeit in einem Betrieb macht.

Weitere Maßnahmen gegen vermeintliches Bummelantentum: Wer alle zur Prüfung erforderlichen Veranstaltungen belegt hat, ist automatisch zum Examen angemeldet. Er kann dann ohne triftigen Grund nicht mehr länger studieren.

Erhebliche Defizite stellte die Kommission bei der personellen und materiellen Ausstattung fest. Davon betroffen sei die Ausgestaltung des Professorenamtes. Da sich die Fachhochschulen in Baden-Württemberg einen besonders hohen Praxisbezug auf ihre Fahnen geschrieben hätten, sei es wichtig, Lehrkräfte zu berufen, die die Doppelqualifikation als Wissenschaftler und Praktiker aus der Wirtschaft erfüllten. Dieser Personenkreis, durch den allgemeinen Führungskräftemangel ohnehin schon heiß umkämpft, müsse attraktive Arbeitsbedingungen vorfinden, die ihn zu einer Professur reizen würden. Es sei unzumutbar, daß ein FH-Professor seine Vorlesungsmanuskripte selbst schreiben, seine Versuchsanordnung selbst aufbauen müsse, nur weil Schreibkräfte, Assistenten und Laboringenieure fehlten. Deshalb schlägt die Kommission ein Sonderprogramm zur Befriedigung des dringendsten Nachholbedarfes bei der Ausstattung mit "sonstigen Mitarbeitern" vor.

Eine besondere Bedeutung mißt das Gremium der Rolle der FH als regionale Infrastruktur- und Dienstleistungseinrichtung bei. Das bedeutet, daß sie neben ihren Lehraufgaben auch den bestehenden Bedarf an Weiterbildung sowie an angewandter Forschung, Entwicklung und Transfer befriedigt. In diesem Zusammenhang hält die Kommission die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft für dringend notwendig. Sie regt an, den Ausbau von "Instituten für Innovationen und Transfer" weiter voranzutreiben.

Nach Vorstellung der Kommission sollen sich die Fachhochschulen aktiv um eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft bemühen. Sie hätten für ihre Dienstleistungen eine "Bringschuld" und sollten deshalb ihre Leistungen in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, angewandter Forschung und Entwicklung verstärkt den Unternehmen anbieten, also Akquisition betreiben. In diesem Zusammenhang steht auch das "Assistentenprogramm": FH-Absolventen werden als Assistenten an die Hochschule zurückgeholt. Die FH gewinnt dadurch neue Mitarbeiter, der Absolvent kann zusätzliche Qualifikationen erwerben, und das Unternehmen kann die Weiterbildungsmaßnahmen als "Trainee-Zeit" nutzen.

Verstärkter Personalaustausch

Für einen engeren Schulterschluß zwischen FH und Wirtschaft soll auch ein verstärkter Personalaustausch sorgen. Die Kommission denkt hierbei besonders an Gast- und Teilzeitprofessuren von Praktikern aus der Industrie.

Für die Bereiche Informationsverarbeitung, Kommunikation und Ingenieurwissenschaften bedeutet der Bericht "Fachbochschule 2000" eine Stärkung ihrer Position. Die Kommission empfiehlt nämlich den Ausbau der einzelnen Fakultäten gemäß ihrer Relevanz für den Arbeitsmarkt - und da stehen die genannten Bereiche ganz obenan.

Emptehlungen zu Studium und Lehre

- An den Fachhochschulen sollen Veranstaltungen des "Studium generale" allgemein eingeführt werden. Das Angebot soll möglichst in Kooperation mit anderen Hochschulen, Wirtschaftsverbänden, Kammern und kirchlichen Organisationen realisiert werden.

- An den Fachhochschulen sollen Arbeitsgemeinschaften gefördert werden, die allgemeinbildende Themen aufgreifen oder musische Interessen unterstützen; dies gilt insbesondere für die Gründung von Orchestern, Chören, Theatergruppen, bei denen sich Studenten und Professoren der Fachhochschulen beteiligen.

- Den Studenten muß eine angemessene sportliche Betätigung - parallel zum Studium - ermöglicht werden. Dazu ist das bestehende Angebot an den Fachhochschulen vor allem im Breiten- und Freizeitsport auszuweiten; die notwendige Organisation und Betreuung des Hochschulsports ist sicherzustellen. Dabei sollen möglichst vorhandene Sportanlagen mitgenutzt werden. Statt eigene Einrichtungen zu schaffen, sollte man Zuschüsse an Dritte für Mitnutzungen gewähren; dies dient gleichzeitig der Integration von Hochschule, Lehrenden und Studenten in das örtliche Umfeld. Sofern eine Mitnutzung nicht zustande kommt, müssen langfristig an den davon betroffenen Fachhochschulen bauliche Maßnahmen ergriffen werden.

- Die Mittel zur Förderung der Studenten müssen deutlich angehoben werden.

Quelle: Abschlußbericht der Kommission "Fachhochschule 2000"