"Der Markt wird von den Herstellern kontrolliert"\

21.04.1989

Mit David Tory, President und Chief Executive Officer der Open Software Foundation sprachen die CW-Redakteure Karin Quack und Hermann Gfaller

þAls was versteht sich die OSF?

Tory: Die OSF wurde gegründet, um eine offene Systemplattform im Unix-Bereich zu bilden, die unabhängig von irgendwelchen Herstellern sein soll. Dabei geht sie wie ein Software-Unternehmen vor - allerdings wie eines, das auf eigene Entwicklungstätigkeit verzichtet. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Software-Spezifikationen einzuführen, denen unsere Mitglieder zustimmen.

þWie funktioniert das konkret?

Wenn wir uns für bestimmte technische Vorraussetzungen entschieden haben, schicken wir diese Spezifikationen als "Request for Technology" zu den Herstellern. Von dort erhalten wir deren Ausführungen der spezifizierten Techniken. Nach eingehender Prüfung entscheiden wir uns für das Produkt, das den Anforderungen am besten entspricht und erwerben die Lizenz dafür. Wir erweitern die Software um die noch fehlenden Anforderungen, wobei wir sicherstellen, daß sie portabel und leicht zu bedienen ist sowie den von uns geforderten Standards entspricht. Schließlich geben wir das veränderte Produkt zur Lizenzierung frei, das heißt wir bringen es als OSF-Produkt mit dem Source-Code auf den Markt.

þWelchen Vorteil bietet einem Hersteller dabei die OSF-Mitgliedschaft?

Die Mitglieder erhalten noch vor der endgültigen Fertigstellung sogenannte "Snapshots", mit deren Hilfe sie sich einen Eindruck davon verschaffen können, ob ihre Anforderungen umgesetzt wurden. Die Snapshots stellen also eine Art "Alpha-Test" dar. Der Vorteil für die Mitglieder liegt darin, daß sie schon frühzeitig damit beginnen können, die Software nach ihren Bedürfnissen zu erweitern.

þSie haben gesagt, daß Sie Lizenzen erwerben. Was zahlen Sie der IBM für AIX?

Wir haben der IBM Geld zugesichert; aber ich darf hier nicht über konkrete Abkommen sprechen. Allgemein formuliert: Wir verhandeln und schließen Verträge auf der Basis sowohl von Garantiezahlungen als auch von Maximalgebühren ab. Wir verlangen ja selbst auch Lizenzen; und die reichen wir sozusagen an unsere Lizenzgeber weiter.

þWieviel potentielle Lizenznehmer gibt es denn schon?

Es gibt Verhandlungen bezüglich zweier Produkte. Das eine ist OSF/ 1; daran arbeiten wir zwar noch, aber für Mitglieder ist es schon zu haben. Digital Eqiupment und IBM haben bereits zugesagt, OSF/1 zu kaufen. An

dere Unternehmen haben ihre Entscheidung noch nicht öffentlich geäußert; insgesamt sind es 20 Lizenznehmer, die allerdings bislang keine Gebühren zahlen, weil der Quellcode noch nicht fertiggestellt ist. Ende des Jahres soll OSF/1 dann auch an Nicht-Mitglieder abgegeben werden.

þUnd das zweite Produkt . . . ?

... ist OSF/Motif, eine Benutzeroberfläche, die zum Teil von Digital Equipment und zum Teil von Hewlett-Packard kommt. Dabei geht uns die Rolle von Microsoft bei der Entwicklung des HP-Produkts nichts an. Unsere Partner heißen HP und DEC.

þWie steht es mit den Lizenznehmern für OSF/Motif? Verglichen mit dem Rummel, der um das Produkt gemacht wird, hört man vergleichsweise wenig von Lizenzenzen?

Wir haben bisher nicht viele Lizenzen für OSF/Motif verkauft, weil die Oberfläche noch nicht verfügbar ist. Trotzdem wurden bis jetzt neun Herstellerlizenzen vergeben - unter anderem an IBM. Viele unserer Mitglieder sind Endbenutzer oder unabhängige Softwarehäuser, und diese Käuferschicht braucht keinen Source-Code, sondern lauffähige Versionen im Binär- oder Objekt-Code, den die Hersteller jedoch erst noch erstellen müssen.

þVerpflichtet die Mitgliedschaft bei der OSF zum Kauf von Lizenzen?

Nein, die Mitglieder entscheiden selbst, ob sie OSF-Software lizenzieren oder nicht. Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß wir nur solche Produkte auf den Mark bringen, die auch tatsächlich verlangt werden. Das kommerzielle Marktsegment für Unix ist sehr klein; die meisten Anwendungen sind immer noch wissenschaftlicher Natur. Der Markt wird von Soft- und Hardwareherstellern sowie von System-Integratoren kontrolliert. Auf anderen Softwaregebieten, zum Beispiel bei den IBM-Mainframes, bestimmt vielmehr der Anwender, was der Hersteller anbietet.

þGlauben Sie das wirklich?

Diese Erfahrung habe ich bei meiner Tätigkeit für Computer Associates gemacht. Und dasselbe gilt für die IBM. Wenn deren Kunden nicht mehr zufrieden sind, gehen sie zu Digital Equipment.

þNehmen wir an, das sei so. Wie kommen Sie darauf, daß sich das im Unix-Markt anders verhält?

So habe ich das nicht gemeint. Was ich sagen wollte, ist, daß die Anbieter im Unix-Bereich immer noch versuchen, Workstations als Erweiterungen für Großrechnerumgebungen darzustellen und dafür Unix-basierte Lösungen anzubieten - ohne Rücksicht darauf, daß ständig neue Unix-Märkte entstehen und sich das Betriebssystem immer mehr Anerkennung im kommerziellen Bereich verschafft.

þSie sprachen davon, daß Ihre Lizenznehmer die Software nach ihren Bedürfnissen verändern können. Das erweckt den Eindruck, Sie seien nicht besonders an Standards interessiert.

Wir haben uns dazu vepflichtet, die Standards von X/Open und IEEE, ISO, ANSI und dem X-Consortium zu unterstützen. Wo es keine Standards gibt, stützen wir uns auf vorhandene Techniken. Damit geben wir unseren Produkten die Chance, einen Standard zu setzen. Was die Erweiterungen betrifft, die Sie angesprochen haben, so werden die nicht auf der Kernel-Ebene vorgenommen, sondern weit darüber.

þWorin wird sich OSF/1 primär von Unix V unterscheiden

Unix kann in puncto Funktionalität derzeit nicht mit herstellergebundenen Betriebssystemen konkurrieren. Also sind die Lizenznehmer gezwungen, eine gewaltige Menge zusätzlicher Funktionen einzubauen, damit Unix vernünftig in einer kommerziellen Umgebung arbeiten kann. Doch bislang nimmt jeder diese Veränderungen speziell für sich vor und achtet nicht auf Standards. Deshalb gibt es heute mehr als 200 verschiedene inkompatible Unix-Implementierungen.

þHeißt das, Sie bewerten Funktionalität höher als Einheitlichkeit

Die OSF versucht, ein einheitliches Unix zu schaffen, das mit den Proprietary-Systemen in Sachen Funktionalität und Leistungsfähigkeit konkurrieren kann.

þWas spricht dafür, ein solches System ausgerechnet auf der Basis von AIX zu entwickeln, einem Betriebssystem, dessen Marktanteil nicht gerade überwältigend ist?

Wir benutzen AIX, weil es keinen Standard für Unix-Kernels gibt. Unix ist mittlerweile 20 Jahre alt, und die Architektur, für die es konzipiert wurde, hat sich radikal geändert. Also müssen zentrale Bestandteile des Betriebssystems ebenfalls neu konzipiert werden. Wir wollen nicht auf eine Basis-Architektur setzen, die wir später vielleicht unbauen müssen. Mit AIX 3 setzen wir bereits jetzt auf ein neu konzipiertes Unix. Dabei wollen wir jedoch kompatibel zu Unix V.2, V.3 und zum BerkeleyUnix bleiben.

þWie Sie ganz richtig sagen, haben die meisten Hersteller bereits ihr eigenes Unix. Wem also wollen Sie das OSF-Unix verkaufen?

Alle Anbieter sagen uns, daß sie nicht mehr die Anstrengungen anderer Hersteller bei der Entwicklung von Erweiterungen vervielfachen wollen. Sie erwarten von uns, daß wir ihnen das abnehmen, damit sie ihre Zeit für die Entwicklung von Anwendungen nutzen können.

þSind Sie sicher, daß die Hersteller dafür auf ihre eigenen Unix-Varianten verzichten werden?

Wenn OSF/Motif mit besseren Merkmalen antritt als denen, die sie jetzt haben, dann werden sie es kaufen. Das haben sie uns gesagt.

þAber dann verlieren sie ihre Kundenbasis.

Nein, das sehen die Hersteller anders; sie rechnen nicht damit, Kunden zu verlieren, sondern damit, neue zu gewinnen. Wir versuchen, mit OSF/ 1 den Leistungs- und Funktionsumfang der verschiedenen Unix-Ableger in einem unabhängigen und wettbewerbsfähigen Betriebssystem zu vereinen.

þWie sehen Sie die Aufgabe von Unix International?

Die Unix International Inc. erfüllt eine ausgesprochen wichtige Aufgabe, indem sie versucht, AT&T bei der Entwicklung von Unix V.4 zu beeinflussen. Diese Organisation repräsentiert die Anwender, die auf V.4 setzen. AT&Ts Kundenbasis ist jedoch viel breiter. Ich kenne keine V.4-Anwender, dafür aber eine große Anzahl von Lizenznehmern für V.2 und V.3. Dazu gehören unter anderem IBM, Digital Equipment und auch die OSF.

þBeabsichtigt die OSF, eine Lizenz für Unix V.4 zu erwerben?

Wir haben nichts derartiges entschieden. Bisher gibt es diese Unix Version noch nicht. Wir sind aber ganz zufrieden mit den VorgängerVersionen; und die sind erhältlich. Nein, ganz im Ernst: Wir werden die Techniken erwerben, die wir brauchen, um eine offene Systemumgebung zu schaffen. Dabei ist es unwichtig, woher die Technik kommt, wenn sie nur unsere Anforderungen erfüllt.

þUnd wie reagiert Ihrer Meinung nach der Endanwender auf die verschiedenen Aktivitäten der Anbieter?

Die Anwender wollen Unix eigentlich gar nicht haben, weil sie nicht wissen, welches Unix sie kaufen sollen. Es gibt ganz einfach zu viele verschiedene Versionen.

þDas sehen wir anders; wir beobachten vielmehr, daß gerade die Anwender einen Unix-Standard fordern.

Die Standards sind doch nur ein kleiner Teil des Unix-Problems. Es sind noch eine ganze Reihe weiterer Standards zu setzen, und die bestehenden können genauso gut durch andere Betriebssysteme erfüllt werden - auch wenn die OSF derzeit nur mit der Unix-Umgebung befaßt ist.

þWird die OSF auch in Nicht-Unix-Bereichen tätig werden?

Unix ist unser einziges direktes Aufgabengebiet. Aber wenn ein Unternehmen von der OSF gekauften Source-Code auf andere Systeme umschreiben will, hindern wir es nicht daran.