Voice over IP/Die hohen Erwartungen werden (noch) nicht erfüllt

Der Markt für VoIP hinkt hinterher

26.04.2002
Die Zukunft spricht VoIP - das propagieren die Hersteller von konvergenten Sprach-Datenlösungen bereits seit Jahren. Eine Studie von Danet Consult zeigt, welche Erwartungen die Anwender an die neue Technik stellen. Von Lucas Bussmann*

Die Umsatzzahlen für VoIP entsprechen nicht den allgemeinen Erwartungen. Für das Jahr 2002 haben namhafte Marktforschungsunternehmen wie beispielsweise International Date Corp. (IDC) oder Frost & Sullivan in der Zeit von 1996 bis 1999 ein weltweites Marktvolumen zwischen fünf und 80 Milliarden Dollar prognostiziert - eine Zahl, die aus heutiger Sicht utopisch anmutet.

Vergleicht man ältere und neuere Prognosen miteinander, so fällt auf, dass sich die Steigerungsraten für VoIP in den neueren Vorhersagen kaum verändert haben. Hier drängt sich folgende Frage auf: Gibt es Anzeichen dafür, dass die in den aktuellen Prognosen erwarteten Steigerungsraten für VoIP realistisch sind, oder werden sich diese erneut als Wunschträume der Hersteller herausstellen? Warum wurden die Angebote für VoIP-Lösungen von den Anwendern bislang nicht im erwarteten Maße angenommen?

Unklarheit bei KompatibilitätAls Erklärung für die zögerliche Haltung der Unternehmen wird in der Fachdiskussion zum einen die unklare Situation bezüglich der VoIP-Protokolle und der damit verbundenen Kompatibilitätsprobleme angeführt. Zum anderen spielen auch die veränderten Rahmenbedingungen eines liberalisierten TK-Marktes eine Rolle, die direkte Kosteneinsparungen durch den Einsatz von VoIP (zum Beispiel durch Kopplung von TK-Anlagen) kaum noch ermöglichen.

Um zu klären, welche Rolle das Thema VoIP für die Anwender spielt, ob es bereits konkrete Planungen für den Einsatz konvergenter Lösungen gibt oder ob das Thema VoIP in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielt, hat Danet Consult zirka 50 Großunternehmen befragt. Es ging dabei unter anderem darum herauszufinden, welche Risiken und Hemmnisse für den Einsatz der Technik gesehen werden. Der größte Teil der Anwender fürchtet geringere Verfügbarkeit und mangelnde Dienstqualität, danach folgen mit deutlichem Abstand fehlende Leistungsmerkmale sowie die noch nicht abgeschlossene Standardisierung in diesem Bereich.

Erstaunlich ist, dass der letztere Aspekt in den Augen der Unternehmen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Das liegt möglicherweise daran, dass eine ähnliche Situation auch bei den von der Sprachwelt gewohnten, proprietären TK-Anlagen-Protokollen existierte. Die mangelnde Kompatibilität der VoIP-Protokolle untereinander stellt aus Sicht der Anwender also keine wirkliche Verschlechterung darstellt.

Hersteller haben NachholbedarfWesentlicher wirken sich für die Unternehmen die gegenüber klassischen TK-Anlagen fehlenden Leistungsmerkmale und vor allem die tatsächliche oder vermeintlich geringere Verfügbarkeit und Dienstequalität (Quality of Service) von VoIP-Lösungen aus. Hier spiegelt sich deutlich das Misstrauen der Anwender gegenüber Leistungsumfang und Stabilität von VoIP-Lösungen wider. Für die Hersteller gilt es, den Leistungsumfang ihrer VoIP-Produkte (zum Beispiel Endgeräte) kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen. Eine gegenüber klassischen TK-Anlagen deutlich verminderte Anzahl von Leistungsmerkmalen, wie sie in vielen heutigen VoIP-Lösungen zu finden ist, wird von den Anwendern nicht akzeptiert.

Kann man VoIP aufgrund der in der Befragung genannten Hemmnisse "vergessen"? Wie sehen die Planungen der Anwender in dieser Hinsicht aus? Mehr als die Hälfte der Befragten geben an, entweder bereits VoIP-Lösungen einzusetzen oder aber den Einsatz solcher Techniken für das Jahr 2002 zu planen. Daran zeigt sich das trotz der bestehenden Vorbehalte und Hemmnisse große Interesse an VoIP.

Dies ist unter anderem auf die von den Anwendern wahrgenommenen Nutzenpotenziale konvergenter Lösungen zurückzuführen. Sie sehen vor allem im Bereich "Anwendungsintegration" einen interessanten Aspekt, das Thema "Kostensenkung" wird erst an zweiter Stelle gesehen.

Daneben richten sich die Erwartungen der Unternehmen auf die Bereiche "Betrieb/Organisation" sowie "strategische Aspekte". Die Firmen haben offensichtlich erkannt, welche Chancen VoIP als Technologie im Bereich der Anwendungsintegration grundsätzlich bietet. Damit sind sie weiter als manche Hersteller, die in ihren Marketingprospekten sehr stark die tatsächlichen oder vermeintlichen Kostenvorteile von VoIP herausstellen und als Hauptvorteil gegenüber herkömmlichen Sprachlösungen betonen.

Klassische Telefonie stirbt ausNicht vergessen sollte man eines: Die strategische Ausrichtung der Hersteller auf VoIP führt dazu, dass sie die Technologie in den eigenen Planungen stärker berücksichtigen. Neuerungen für die bestehenden, klassischen TK-Anlagen wird es kaum noch geben. Damit stellen sich VoIP- gegenüber klassischen TK-Lösungen als deutlich zukunftssicherer dar, was die technische Weiterentwicklung betrifft - ein Faktor, der gerade für Großanwender eine wichtige Rolle spielt.

Ausgehend von den Nutzenpotenzialen ergibt sich eine Vielzahl von möglichen Anwendungsbereichen für VoIP. Die von den Großunternehmen in diesem Zusammenhang am häufigsten genannten Bereiche sind Inhouse-Lösungen sowie die Anbindung von Telearbeitsplätzen.

Dass interne Lösungen sehr häufig genannt wurden, überrascht kaum, ist dies doch unter anderem aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten zur Anwendungsintegration eines der wichtigen Einsatzgebiete von VoIP. Nicht zu rechnen war allerdings damit, wie das Thema "VoIP im WAN" durch die Anwender bewertet wird. Die klassische Anwendung von VoIP zur Kopplung von TK-Anlagen beziehungsweise in Intranets wird hier durch das Thema "Anbindung von Telearbeitsplätzen" verdrängt. Dies spiegelt zum einen den in vielen Unternehmen gewachsenen Bedarf an Telearbeitsplätzen wider, zum anderen bietet die Nutzung von VoIP zur Anbindung von Telearbeitsplätzen eine Reihe von interessanten Features im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen.

VoIP im EinsatzIm folgenden Beispiel "Anbindung von Telearbeitsplätzen" wird das Szenario der Umsetzung einer VoIP-Lösung dargestellt und die dabei gegenüber herkömmlichen Lösungen erzielbaren Vorteile zum Beispiel im Bereich der Anwendungsintegration skizziert: Ein Dienstleistungsunternehmen steht vor der Aufgabe, kleinere Vertriebsstandorte und Heimarbeitsplätze an die Firmenzentrale anzubinden. Die zentrale Anforderung besteht darin, die externen Standorte mit der gleichen Arbeitsplatzumgebung im Daten- und Sprachbereich wie die Arbeitsplätze in der Firmenzentrale auszustatten. Dazu gehören neben verschiedenen Datenanwendungen der Zugriff auf Faxgeräte sowie die telefonische Erreichbarkeit unter einer unternehmensweit einheitlichen Nebenstelle. Mittelfristig soll in dem einheitlichen Sprachkontext ein firmenweites Telefonbuch mit CSCW-Funktionen (Computer-unterstützte Zusammenarbeit) integriert werden.

Kernelement der konzipierten Lösung ist eine VoIP-TK-Anlage in der Firmenzentrale; hier sind die Vermittlungsfunktionalität und der Übergang in das öffentliche Telefonnetz für die Gesamtlösung konzentriert. Die externen Firmenstandorte sind über ein Sprach-/Daten-VPN mit der Firmenzentrale verbunden. Innerhalb der externen Firmenstandorte bilden so genannte IADs (Integrated Access Devices), die Switching-, Routing- und VoIP-Gateway-Funktionalität in einem Gerät vereinen, die Schnittstelle zwischen der internen Daten- und Sprach-Infrastruktur und dem VPN.

Die einheitliche Infrastruktur für Daten und Sprache ermöglicht es, für jeden Mitarbeiter einen firmenweit einheitlichen Kontext sowohl für Daten als auch für Sprache bereitzustellen. Dazu gehört neben der Arbeitsumgebung auf den PCs auch die Sprachumgebung inklusive der Nebenstellennummer. Damit erfüllt die VoIP-Lösung die zentrale Anforderung, Mitarbeitern in den externen Standorten die gleiche Arbeitsplatzumgebung wie in der Firmenzentrale bereitzustellen. Ohne den Einsatz von VoIP ist dies für die Sprachumgebung nur mit einem erhöhten Aufwand und damit verbunden höheren Kosten realisierbar. Weiterer Vorteil der VoIP-Lösung sind die gegenüber einer herkömmlichen Lösung reduzierten Betriebskosten, da in den externen Firmenstandorten nur für eine relativ einfach zu konfigurierende Komponente (IAD) statt für mehrere Einzelkomponenten (TK-Anlage, Router, Switch) wie bei einer herkömmlichen Lösung Support geleistet werden muss. Die Integration eines firmenweit einheitlichen Telefonbuches mit CSCW-Funktionen ist innerhalb der VoIP-Lösung problemlos möglich, da es durch die einheitliche IP-Plattform für Daten und Sprache unerheblich ist, ob ein Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz in der Firmenzentrale oder in einem der externen Standorte hat. Neue Anwendungen in der Firmenzentrale stehen durch die homogene Infrastruktur problemlos auch für die Telearbeitsplätze zur Verfügung.

Kostenaspekte der IP-TelefonieWie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit von VoIP-Lösungen aus? Können VoIP-Lösungen auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit herkömmlichen Lösungen konkurrieren? Für den Nachweis der Wirtschaftlichkeit von VoIP-Lösungen ist es sinnvoll, die Kosten der VoIP-Lösung und einer herkömmlichen Lösung in einem Gesamt-Business-Case zu vergleichen. Dieser enthält neben den festen Abschreibungskosten für die jeweils zu beschaffenden Komponenten Ausgaben für Betrieb und Wartung der Lösung. Die in diesem Bereich bestehenden Vorteile für VoIP können einen Teil der heute noch oftmals höheren Anschaffungsaufwendungen für die Komponenten der Lösung ausgleichen. Ein Beispiel sind Vereinfachungen und Kostenreduzierungen bei Umzügen, da in einer VoIP-Umgebung Telefone und PCs gemeinsam von einem Team an den neuen Standort verlegt werden können. Hier müssen die individuellen Anforderungen und Umgebung der Anwender genau analysiert und bewertet werden, um zu einer realistischen Einschätzung der Gesamtkosten zu kommen.

Konkrete Anwendersituation entscheidendFür Hersteller und Systemintegratoren ergeben sich durch die Realisierung von VoIP-Lösungen neue Anforderungen und Erwartungen der Anwender. Beispielsweise sollte die Integration von Computer-Telephony-Integration-(CTI-)Funktionen in eine VoIP-Umgebung nicht wie bisher über dezentrale CTI-Systeme erfolgen, Anwender erwarten von den Herstellern die wirkliche Umsetzung im VoIP-Sinne zum Beispiel über ein zentrales vollintegriertes System.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: VoIP ist für die Unternehmen interessanter, als es die derzeit vorliegenden Marktzahlen zunächst vermuten lassen. Um aber dieses Potenzial zu nutzen, müssen sich die Hersteller intensiver mit der konkreten Anwendersituation auseinander setzen - Lösungen von der Stange nehmen die Anwender nicht an. Wesentliche Kostenvorteile für VoIP ergeben sich in vielen Fällen nicht direkt, sondern nur mittelfristig und indirekt durch Anwendungsintegration und vor allem durch die Berücksichtigung von laufenden Kosten für Betrieb und Wartung. (ave)

*Lucas Bussmann ist Berater bei der Danet Consult GmbH in Weiterstadt.

Weitere InformationenDie Studie "Voice over IP - tragfähige Konvergenztechnologie oder Seifenblase?" vertieft die in dem Artikel aufgegriffene Thematik. Sie ist erhältlich bei Danet Consult, Weiterstadt (Geschäftsstelle Lösungen und Marketing).

Abb: Anwendungsbereiche für VoIP

Die Anbindung von Telearbeitsplätzen und die Nutzung von VoIP im LAN sind die von Unternehmen bevorzugten Anwendungen. Quelle: Danet Consult