Vorgefertigte Analysesoftware auf dem Vormarsch

Der Markt für Business Intelligence teilt sich

21.05.1999
MÜNCHEN (as) - Bisher mußten IT-Abteilungen Anwendungen für die Datenanalyse und Berichtserstellung aus dem Data-Warehouse selber stricken. Nun locken immer mehr Hersteller mit vorgefertigten Applikationen. Doch auch diese funktionieren nicht ohne Anpassung und Beratung.

Andere Marktsegmente haben es vorgemacht: Ob betriebswirtschaftliche Standardsoftware, Anwendungen für Vertrieb und Marketing (Sales Force Automation) oder Software für Costumer-Relationship-Management (CRM) - alle wollen dem Kunden die Entwicklungsarbeit abnehmen, indem sie vorgefertigte "Lösungen" anbieten. Mit diesem Erfolgsrezept sucht sich nun auch eine wachsende Schar von Herstellern von Analysesoftware (Business Intelligence=BI), die mit branchen- oder aufgabenspezifischen Applikationen werben. Im letzten Jahr erzeugte dieser Markt laut Untersuchungen der Gartner Group rund 603 Millionen Dollar Umsatz und wuchs damit gegenüber 1997 um rund 42 Prozent (siehe Grafik).

Auftrieb erhält das Applikationsgeschäft vor allem durch die steigende Zahl an erfolgreich installierten Data-Warehouses und Data-Marts, aus deren Datenbeständen nun mit Hilfe von Analyse-, Abfrage- und Reporting-Software die ersehnten strategischen Informationen gefördert werden sollen. Dabei zeichnet sich ein Trend ab, der den Markt künftig immer stärker zersplittern wird: Zum einen erwerben IT-Abteilungen unspezifische Client-Tools, die in erster Linie der Ausgabe und Analyse allgemeiner Geschäftsinformationen dienen und für spezielle Aufgaben erst an die Bedürfnisse der Endanwender angepaßt werden müssen. Andererseits suchen besonders die unter Zeitdruck stehenden Fachabteilungen, allen voran Controller und Vertriebsleute, nach geeigneten Analyse-Anwendungen, die vor allem branchen- und fachspezifisches Know-how beinhalten.

Für die IT-Abteilung stellt sich die Frage, ob sie über genügend Know-how verfügt, um die Anforderungen der Fachabteilungen durch Eigenentwicklungen auf Basis der bisherigen Tools abdecken zu können, oder ob sie auf vorgefertigte BI-Applikationen zurückgreifen sollten. Allerdings ist es mühsam, aus dem aktuellen Angebot die passende Software herauszufiltern (siehe Diagramm), und auch die Leistungsfähigkeit der neuen Produkte ist nur sehr schwer zu beurteilen. Allgemein läßt sich sagen, daß die meisten Applikationen der Datenanalyse in Data-Warehouses und Data-Marts dienen und zusammen mit Consulting-Diensten angeboten werden. Sie generieren vorformatierte Berichte und spezielle Benutzeroberflächen und sollen das Management bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Grundlage bilden oft herkömmliche BI-Tools wie Olap-Engines, solche für Berichte (Reporting) und Abfragen (Query), Modellierung, Statistiken, diverse Visualisierungswerkzeuge oder Algorithmen aus dem Data-Mining.

Was die Implementierung der Produkte angeht, sind sich die Gelehrten zwar nicht einig. Der Trend scheint jedoch zum indirekten Datenzugriff auf das Data-Warehouse via Olap-Server zu gehen, wie ihn beispielsweise Hyperion Solutions oder Oracle anbieten. Dieser Ansatz hat den Vorteil, daß die genannten Applikationen die zusätzlichen Analysefunktionen des Servers nutzen können und sich durch standardisierte Schnittstellen besser integrieren lassen.

Andere Hersteller wie SAS Institute oder NCR bevorzugen indes den direkten Zugriff via SQL-Statements auf die unverdichteten Daten im Data-Warehouse. Laut Thomas Koschlig, Geschäftsführer beim Münsteraner Consulting-Unternehmen Dibera und enger Partner von SAS, bietet allein dieser Ansatz die Möglichkeit, tiefer in die Datenstrukturen einzudringen und der berühmt-berüchtigten "Datenexplosion" zu entgehen, die insbesondere multidimensionale Datenbanken und deren Cubes in die Knie zwingen kann.

Die BI-Applikationen unterteilen sich in solche für horizontale Märkte, das heißt für branchenübergreifende Aufgaben wie Finanzkonsolidierung, Balanced Scorecards (siehe CW 18/99, Seite 77) , Activity-Based-Management oder Performance-Management. Zum anderen gibt es Produkte für Analyse und Reporting, die meist auf eine Branche (vertikaler Markt) zugeschnitten sind. Sie werden als Plug-ins in bestehende Anwendungen oder als Templates für BI-Tools angeboten und bieten Möglichkeiten wie die Verkaufsanalyse, Finanzbudgetierung, die Churn-Analyse (Kundensegmentierung) in Telefongesellschaften, Risikoanalyse für die Kreditkartenindustrie oder die Registrierung von Betrugsversuchen in der Versicherungsbranche. Die Templates nutzen dabei die Daten von ERP-Applikationen und erweitern deren derzeit noch beschränkte Analyse- und Reporting-Fähigkeiten.

Die Hoffnung, daß mit den BI-Applikationen sich endlich der so oft propagierte Nutzen von Data-Warehouses schneller belegen läßt als mit selbstentwickelten Anwendungen, erfüllt sich indes nicht ohne weiteres. Allein der Hinweis, daß zu den meisten Produkten auch ein Consulting gehört, belegt, daß von Plug and Play keine Rede sein kann. "Vollständig vorangepaßte Anwendungen gibt es nicht", bestätigt Holger Günzel, Sprecher des Arbeitskreises "Konzepte des Data-Warehousing" an der Universität Erlangen. Alle Anwendungen, ob vorgefertigt oder nicht, müssen am Front-end und über die Metadaten angepaßt werden. Laut Olaf Stöber, Unternehmensberater bei Mummert & Partner in Hamburg, müsse der Kunde mindestens von einem 80-zu-20-Verhältnis ausgehen, wobei die 20 Prozent auf die Anpassung der Software entfallen.

Vor allem aber benötigen auch Standardapplikationen hochwertige Daten, um ihre speziellen Aufgaben erfüllen zu können. Die Bereitstellung dieser Daten ist aber seit Anbeginn das größte Problem des Data-Warehousing. Ist die Datenbasis gut, steht und fällt der Erfolg der Applikationen mit ihrer Fähigkeit (und Schnelligkeit) der Datenextraktion und -transformation sowie dem Zugriff auf verschiedene Datenbestände über entsprechende Schnittstellen. Für Teresa Wingfield, Analystin der Giga Information Group, liegt jedoch genau hier das Manko vieler derzeit erhältlicher Produkte: "Die meisten vertikalen Applikationen sind proprietär, nicht in bestehende Datenbestände integriert und deshalb zunächst nutzlos. Zudem fehlt vielen Herstellern eine genügend große Servicemannschaft mit dem benötigten Branchenwissen." Daher erwartet Wingfield, daß weiterhin unspezifische BI-Tools, die die IT-Abteilung selber anpaßt, stärker nachgefragt werden als ihre anwendungsorientierten Vettern, zumal letztere oftmals auch noch teurer sind.

Gerade die bemängelte Integration der Produkte ist heute für Unternehmen von größter Bedeutung. Insellösungen oder proprietäre Anwendungen stehen dem Wunsch entgegen, die heterogene DV-Umgebung besser zu administrieren. Bisher hat aber der Kunde sowohl bei unspezifischen wie auch bei vorgefertigten BI-Applikationen keine Sicherheit, daß die Produkte problemlos miteinander auskommen, selbst dann nicht, wenn sie vom selbem Hersteller sind, da beispielsweise unterschiedliche Release-Zyklen existieren.

Nicht alle Anwender wollen Ware von der Stange

Außerdem sind für Robert Pöll, Chef des Wiener Consulting-Unternehmens Saba, manche Standardapplikationen eine Gleichmacherei zwischen den Kunden: "Wenn man einen zusätzlichen Nutzen will, muß man selbst entwickeln. Ich würde keinem Großunternehmen raten, das Know-how komplett aus der Hand zu geben." In der Finanzbranche etwa könnte es allenfalls in kleineren Häusern noch angehen, solche Produkte zu wählen, da sie billiger und wiederverwendbar sind sowie die gesetzlichen Forderungen berücksichtigen. Für größere Banken lohne sich hingegen die Eigenentwicklung.

Dennoch sind BI-Applikationen im Kommen. Vor allem in den Einsatzgebieten Vertriebs-Controlling und Kunden-Management besteht eine große Nachfrage. Wichtigster Abnehmer ist die Finanzbranche, aber auch der Handel, TK-Unternehmen und das Gesundheitswesen zeigen zunehmend Interesse. Laut Dibera-Geschäftsführer Koschlig sei das Hauptmotiv für den Kauf, daß sich viele Firmen die Eigenentwicklung nicht leisten können und es oft an dem benötigten Fachwissen in den IT-Abteilungen mangle. Zudem sieht er in der Hinwendung der IT- und Fachabteilungen zu BI-Applikationen auch einen taktischen Grund: Nach vielen schmerzhaften und kostspieligen Projekterfahrungen sei ein unspezifisches Data-Warehouse für viele Unternehmensvorstände ein rotes Tuch. "Ein Kunde sagte mir, daß er seinem Vorstand nicht erzählen darf, daß er ein Data-Warehouse entwickeln will, denn dann bekommt er kein Geld. Sagt er statt dessen: eine Lösung für das Vertriebs-Controlling mit einem Data-Warehouse, dann geht es.