Logistikfirmen am Neuen Markt

Der letzte Hype-Markt konsolidiert sich

21.12.2001
MÜNCHEN - Nach einer rasanten Berg- und Talfahrt befinden sich die Logistikaktien am Neuen Markt wieder im Aufwind. Zusätzliches Potenzial bieten die guten Perspektiven im Outsourcing-Geschäft. Noch kämpfen die Logistiker allerdings mit dem Problem, nach dem starken externen Wachstum ihre Profitabilität zu sichern. Von Andrea Goder*

Der Ausverkauf am Neuen Markt zwang auch die Aktien der Logistikanbieter in die Knie. Kursverluste zwischen 60 und 90 Prozent mussten die Shootingstars von einst hinnehmen. Allmählich pendeln sich die Aktien auf ein realistisches Bewertungsniveau ein.

Allen Logistikfirmen gemeinsam ist die Konzentration auf IT-basierende Lösungen für Prozess-Management und -optimierung. Innerhalb des stark fragmentierten Logistikmarkts gilt dieses Segment als besonders konjunkturresistent und margenstark. Auch die Perspektiven für Logistikservices werden positiv bewertet. Im Bereich Outsourcing erwarten Marktbeobachter Steigerungsraten von 15 bis 20 Prozent, von denen die Neue-Markt-Player profitieren.

Zu den führenden Logistikanbietern gehört die Firma Thiel Logistik - ein Wert, der bei Analysten und Anlegern gleichermaßen beliebt ist. Das Unternehmen konzentriert sich - wie die meisten anderen Player auch - auf Kontraktlogistik. Seit 1995 bietet Thiel zudem Lösungen im Bereich Healthcare-Logistik an - das "Lieblingsbaby" von Gründer und Vorstandschef Günter Thiel, der in ganzheitlichen Logistikpaketen für Gesundheitseinrichtungen einen künftigen Wachstumsmotor sieht. Denn immer mehr Krankenhäuser müssen aus Kostengründen Bereiche wie den Einkauf und die Lagerhaltung von Medikamenten sowie die Entsorgung von Abfällen auslagern.

Nach 116 Millionen Euro 1999 schoss der Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr auf 449 Millionen Euro hoch. Bis Ende des Jahres peilt Thiel "runde 900 Millionen Euro" an - bei einem externen Wachstum von 50 Prozent. "Thiel Logistik hat zu vernünftigen Preisen eingekauft", hebt Achim Wittmann, Finanzexperte der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), auf die zuletzt zu beobachtende Einkaufstour der Luxemburger ab.

Herbe UmsatzeinbußenAllerdings bekommt auch Thiel die derzeitige Schwäche im IT-Markt zu spüren - vor allem im Bereich "IT-Solutions/E-Commerce", auf den rund 15 Prozent der Gesamteinnahmen entfallen. Da Umsatz und Ergebnis aus dem Geschäft mit externen Drittpartnern zuletzt stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren, wurde die Unit vor kurzem aufgelöst und in andere Unternehmensbereiche integriert.

Trotz Abstrichen beim Ergebnis, die Finanzexperten erwarten, zeigen sich die Luxemburger vom schwachen Konjunkturumfeld unbeeindruckt. In den letzten Wochen konnten sie mehrere Großkunden gewinnen - darunter die Schieder Möbel Holding, Europas größten Möbelhersteller. Der Auftrag soll sich in den nächsten zehn Jahren auf ein Volumen von 750 Millionen Euro belaufen.

Vom Börsenliebling zum Sorgenkind entwickelte sich dagegen die D. Logistics AG. Die Story des zweiten Nemax-50-Wertes hat spätestens seit den Gerüchten um eine Umsatzwarnung, die sich im November bestätigten, Risse bekommen. Das hessische Systemhaus, das im Herbst 2000 eine Börsenkapitalisierung von drei Milliarden Euro erreichte, ist mit derzeit 280 Millionen Euro laut CEO und Gründer Detlef Hübner "absurd gering bewertet". Hübner, der nach dem Börsengang vorübergehend in die Liga der 100 reichsten Deutschen aufgestiegen war, gehört inzwischen zu den gefallenen Stars am Neuen Markt.

D. Logistics, ein direkter Konkurrent zu Thiel Logistik, adressiert fünf Kernbranchen: Airport, Chemie/ Lifescience, Verpackung, Automotive sowie Industrie- und Konsumgüter. Das Unternehmen startete unmittelbar nach dem Börsengang im April 1999 eine Übernahmerallye mit rekordverdächtigen Zuwachsraten. Im Jahr 2000 kletterten daraufhin die Erlöse von 65 Millionen auf 383 Millionen Euro - ein Plus von fast 500 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Lediglich zehn Prozent des Umsatzes stemmten die Hessen aus eigener Kraft.

Im Rahmen der laut LBBW-Analyst Wittmann "unheimlich aggressiven Akquisitionspolitik" schluckte D. Logistics rund 20 Firmen seit dem IPO. Die Zahl der Mitarbeiter explodierte auf über 8000. Bislang wichtigste Station im Akquisitionsmarathon war die Übernahme von Cargo Service Center (CSC), einer Tochter der niederländischen Fluggesellschaft KLM, durch die D. Logistics weltweit auf Platz eins der Anbieter von neutralen Luftfrachtservices vorrückte. CSC ist an 65 Flughäfen in 19 Ländern präsent und sollte in diesem Jahr rund 200 Millionen Euro erzielen.

Diese Planung ist jedoch längst Makulatur. Umsatz- und Ergebniserwartungen für CSC wurden im November signifikant reduziert. "Nach dem 11. September wäre es grotesk, anzunehmen, dass sich ein Unternehmen im Bereich Airport-Service den Auswirkungen entziehen könnte", muss Firmenchef Hübner einräumen. Punkte gutmachen konnte D. Logistics vor wenigen Tagen mit einem Großauftrag der US-amerikanischen Frachtlinie Atlas Air. Allerdings gelten Cargo-Services als fluktuatives und schwieriges Geschäft. "Ob D. Logistics die Größe dafür hat, lässt sich momentan schwer sagen", gibt Gunnar Cohrs, Analyst bei der Hamburger Berenbergbank, zu bedenken.

Hinzu kommt: D. Logistics hat sich während des Internet-Hype zu teuer in IT- und Internet-Companies eingekauft. LBBW-Analyst Wittmann sieht deshalb die Gefahr, dass "Abschreibungen in nicht unerheblicher Höhe" die künftigen Ergebnisse belasten werden. Auch in strategischer Hinsicht gestalten sich einzelne Zukäufe schwierig, was Hübner jedoch dementiert. "Ich kann dieser Mär von Analysten nicht folgen", kontert er. "Wo sollten wir Integrationsprobleme haben?"

Fakt ist jedoch: Die Quatum Logistics GmbH blieb weit hinter den Erwartungen zurück, wurde im August verkauft und ging kurz darauf pleite. Enttäuschend laufen die Geschäfte auch bei der Mondeal Net Services GmbH. Die Wiener Softwareschmiede entwickelt Lösungen für E-Stores im Internet - nicht unbedingt das Kerngeschäft von D.Logistics. Seit Monaten suchen die Hessen vergeblich nach einem Käufer.

Mit dem Problem, die Profitabilität nach starkem externem Wachstum aufrechtzuerhalten, kämpft auch die Microlog Logistics AG. Das Unternehmen aus dem südhessischen Lorsch konzentriert sich ebenfalls auf IT-basierte Kontraktlogistik für die Branchen Automobil, Elektronik und Chemie. Darüber hinaus bietet Microlog Inhouse-Logistikservices für den Betrieb ganzer Firmenanlagen und Einrichtungen an.

Mit 62 Millionen Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2000 liegt das Unternehmen deutlich hinter seinen Konkurrenten Thiel und D.Logistics. Dennoch hat Microlog nach dem IPO die Akquisitionsmaschinerie hochgefahren. Im Frühjahr wurde die Kölner Locton GmbH, ein Spezialist für die Beschaffungs- und Produktionslogistik, übernommen. Locton erzielte im letzten Jahr 72 Millionen Euro Umsatz - mehr als Microlog selbst.

Anbieter auf Europa fokusiertDie weitere Entwicklung des Logistikspezialisten hängt jetzt davon ab, wie die Integration von Locton abläuft. Ein Asset steht bereits fest: Locton brachte mit der Delton AG einen wichtigen Großaktionär ein. Delton gehört mehrheitlich dem BMW-Erben Stefan Quandt, der über wichtige Kontakte in die Automobilindustrie verfügt. Allerdings dürften Goodwill-Abschreibungen auf Locton im Geschäftsjahr 2001 das Ergebnis von Microlog belasten. Negativ auf die Geschäftsentwicklung wirkt sich zudem aus, dass namhafte Kunden wie Infineon Aufträge gestoppt haben. Laut Vorstand Matthias Leclerc sind die Auswirkungen der Rezession deutlich zu spüren. "Wer das Gegenteil behauptet, lebt auf einer Insel der Glückseligen."

Generell beschränkt sich das Geschäft mit logistischen Dienstleistungen für die Neuen-Markt-Player - von den weltweiten Cargo-Services von D. Logistics abgesehen - vorwiegend auf Europa. Wegen des starken Wettbewerbs, des hohen Outsourcing-Volumens und der Größe des Landes haben selbst große Konzerne wie die Deutsche Post oder Stinnes in den Staaten schlechte Karten. So ist Thiel zwar in mehr als 20 Ländern mit 220 Standorten vertreten, über 90 Prozent des Umsatzes wird jedoch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg erzielt.

Für die Logistikspezialisten am Neuen Markt gibt es noch ausreichend Potenzial in Europa. Allerdings versuchen zunehmend Branchenschwergewichte, im Geschäft mit Outsourcing-Services mitzumischen - wie zum Beispiel Stinnes über die Tochter Schenker, der Post-Ableger Danzas oder Kühne & Nagel. Der Wettbewerb dürfte daher schon bald an Schärfe gewinnen. (sp)

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.

Abb: Geschäftsergebnisse der Logistikanbieter

Die Umsätze der Logistikanbieter am Neuen Markt sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Quelle: Herstellerangaben