Der Kundenwunsch als Erfolgsimpuls

19.05.1989

Helmut Steeb

Geschäftsführer der Steeb-Beratungsgruppe in Abstatt bei Heilbronn

Der Aufbruch in die neunziger Jahre ist in den meisten Branchen voll im Gange und wird von optimistischen Tönen begleitet. Die konjunkturellen Aussichten für die nahe Zukunft sind, folgt man den Prognosen einschlägiger Gurus, geradezu glänzend. Zumindest signalisieren deren allseits publizierte und frohgemut gehandelte Trenddaten eine ökonomische Glanzepoche am Ende des 20. Jahrhunderts.

Fraglos ist die Vorstellung, daß der Einstieg in den europäischen Binnenmarkt in ein neues Wirtschaftswunder mündet, bestechend. Zwar wird die wettbewerbliche Härte, die sich im marktwirtschaftlichen Prinzip reinen Zuschnitts auch verbirgt, unverhüllter zutage treten. Es kann nicht bestritten werden, daß für manche Firmen der Konkurrenzdruck so stark zunehmen dürfte, daß sie an den Rand ihrer Existenz geraten. Doch in dem von Zollschranken befreiten Kontinent lassen sich neue, großflächige Absatzareale erschließen. Gerade darin liegt die Chance für alle Unternehmen, die willens sind, bestmögliche Leistungen für ihre Märkte zu erbringen.

In den kommenden Jahren gilt es also, noch ungenutzte Ressourcen im Betrieb zu entdecken und zu mobilisieren sowie die kompetitive Schlagkraft durch erhöhte Produktivität, gesteigerte Flexibilität und günstige Preis/ Leistungs-Relationen weiter zu verbessern und nachhaltig zu sichern. Bislang aufgeschobene Investitionen in Modernisierung, Rationalisierung und Automatisierung in Büro und Betrieb werden für zahlreiche Firmen demnächst unumgänglich sein, wenn sie die Dimensionen des Binnenmarktes für sich erschließen wollen.

Diese Perspektiven bedeuten für die Computer-, Büro- und Kommunikationsindustrie zwangsläufig einen neuen Boom, denn ihre Erzeugnisse gewährleisten die bestmögliche Ausschöpfung der Information als vorrangigem Erfolgsfaktor. Die Hoffnung auf Rekordexpansionen im zweistelligen Bereich erscheint dabei durchaus realistisch aber: Auch die Anbieter informationstechnologischer Produkte unterliegen den verzerrungsbereinigten, dafür aber rigoroseren Erfolgsbedingungen, die zwischen Elbe und Atlantik ab 1993 anzutreffen sind.

Somit betreten - prinzipiell gesehen - DV-Anwender wie -Hersteller den europäischen Binnenmarkt unter gleichartigen Vorzeichen, sofern es sich um die gewandelten Rahmenbedingungen handelt. Wagt man jedoch den Versuch, die dabei gegebenen Erfolgszusammenhänge zu durchleuchten, so wird schnell deutlich, welche Verantwortung auf die Anbieter der Computer- und Kommunikationstechnologien hier zukommt denn: Das wettbewerbliche Durchsetzungsvermögen deutscher Nutzerfirmen kann auf ihren jeweiligen Absatzmärkten um so mehr gesteigert werden je präziser die Hard- und Softwareprodukte sowie DV-Dienstleistungen auf ihre organisatorischen, ökonomischen und strategischen Notwendigkeiten zugeschnitten sind.

Anders formuliert: Das Verhalten der DV-Anbieter wirkt massiv und direkt auf den Markterfolg der Anwender ein, weil der Computer- und Informationstechnologie eine Schlüsselstellung bei der Optimierung sämtlicher Produktionsfaktoren zukommt. Selbstverständlich existiert hier auch eine Rückkoppelung im synergetischen Sinne: Wachsende Umsätze und Gewinne auf Anwenderseite werden auch zu verstärkter Nachfrage nach jenen elektronischen Werkzeugen führen, die diese Steigerungen zu einem ausschlaggebenden Teil ermöglicht haben.

Verfolgt man diesen Gedankengang weiter, so erscheint die Forderung, den Kundenwunsch zum Wegweiser für die Innovations-, Produkt- und Absatzpolitik der DV-Anbieter zu machen, zumindest logisch und in letzter Konsequenz schließlich auch lukrativ. Doch von der Verwirklichung dieser marktorientierten Maxime ist die DV-Zunft in der Praxis nach wie vor meilenweit entfernt, auch wenn manche Branchenauguren immer mal wieder das Gegenteil behaupten.

Zwar fließen riesige Summen in die Markt- und Absatzforschung, um anhand exakter Daten- und Trenderhebungen die qualitativen und quantitativen Veränderungen im Profil der DV-Nutzer zu ermitteln. Es ist auch keine Frage, daß das Angebot an Fachmessen, Kongressen und Trainings eher schon zu groß als zu klein ist. Schließlich kann auch nicht bestritten werden: Leistungen und Preise, Support und Service sowie Anwendungsalternativen und Bedienerfreundlichkeit haben sich gerade in den letzten drei bis fünf Jahren bei den meisten DV-Anbietern so entwickelt, daß ihre Abnehmer immer weniger Grund zur Klage haben.

All diese erfreulichen Fortschritte werden aber durch Tendenzen wiederum in Frage gestellt, die man nicht gerade das anwenderfreundlich bezeichnen kann. Als Beispiele dafür lassen sich das überstürzte Innovationstempo sowie die bedrückende Intransparenz in allen informationstechnologischen Segmenten aufführen. Einschränkend muß jedoch gesagt werden: Viele DV-Anbieter werden selbst von hektischen Neuerungsschüben getrieben, leiden am Manpower-Manko in fast allen wichtigen betrieblichen Feldern, müssen um jedes Marktanteilpromille so hart kämpfen wie früher um Prozentanteile und stehen Ständig vor dem Rätsel, wie man bei sinkenden Preisen und verschärfter Konkurrenz noch prosperieren kann.

Vor diesem Hintergrund kann es wenig erstaunen, daß die grundsätzlich angestrebte Problem- und Zielgruppenorientierung immer noch nicht so zutage tritt, wie die künftigen Marktbedingungen es nötig machen. Doch die Zahl der Anwender, die Information als Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor zum Tragen bringen wollen, wächst. Die neue Nutzergeneration ist mit High-Tech allein keineswegs mehr zu gewinnen und zufriedenzustellen ist. Sie fordert vielmehr Lösungen, in denen sie ihre Wünsche und Vorstellungen umgesetzt findet.

Was tun? Ein Ansatz, von dem bisherigen Produkt- zu einem Nutzungs-orientierten Denken und Handeln zu gelangen, liegt für die meisten DV-Anbieter wohl nicht nur in wesentlich verbesserten, sondern vor allem in neuen Formen der Kooperation mit den Anwendern. Die ausgetretenen Pfade müssen verlassen werden, wenn man die vielzitierte Partnerschaft zwischen Herstellern und ihren Kunden in die Tat umsetzen und sie nicht länger Werbe- und PR-Fritzen zum inflationären Mißbrauch überlassen will.

Im Klartext: Mit zusätzlichen Workshops, Tagungen oder gar Fachmessen ist es nicht mehr getan. Im Vorfeld des europäischen Binnenmarktes lautet die Devise für deutsche DV-Hersteller und -Nutzer, auf effizientere Weise als bisher miteinander umzugehen.

In einer Zeit, in der die Wirtschaft immer mehr den Sinn und Zweck ratgebender Gremien erkennt, erscheint es nicht überzogen, nunmehr die Institution des Kundenbeirats zu fordern. Er könnte entscheidend dazu beisteuern, die Bedürfnisse und Wünsche der Abnehmer - gleich, in welchem Bereich - in unternehmensstrategische Entscheidungen, marketing- und absatzbezogene Umgebungen, Service- und Support-orientierte Aktivitäten sowie Maßnahmen der Aus- und Fortbildung direkt einfließen zu lassen.

Selbstverständlich müßte ein Kundenbeirat so strukturiert sein, daß die einzelnen Zielgruppen und Unternehmensbereiche, die vom Leistungsspektrum des Lieferanten abgedeckt werden, angemessen und durch kompetente Entscheidungsträger vertreten sind. Dann besteht auch die Aussicht, am runden Tisch im offenen, fachgerechten und konstruktiven Dialog jene Problemlösungen zu erarbeiten, die zuweilen selbst auf der Basis äußerst kostspieliger Marktstudien nicht zu finden sind.

Mit der Berufung von Kundenbeiräten könnte die DV-Branche ihre avantgardistische und innovative Rolle in der heutigen Industriegesellschaft glaubwürdig unterstreichen. Sicher würde sie dabei schon bald ideologieverbrämten Mißdeutungen entgegentreten müssen, wobei ganz klar ist: Die Etablierung eines Kundenbeirats kann nicht darauf abzielen, nunmehr die Kunden gegenüber den Mitarbeitern, die ja schon ihre Betriebsräte haben, zu "emanzipieren". Eine derartige Interpretation liefe auf jenen unqualifizierten Vergleich hinaus, bei dem gerne Apfel und Birnen herangezogen werden. Die zentrale Aufgabe eines Kundenbeirats kann nur darin bestehen, gemeinsam mit dem Lieferanten die Zukunft so anzugehen, daß bisherige Reibungsverluste minimiert und brachliegende Potentiale aktiviert werden - was bei Anbietern wie Anwendern von DV-Systemen gleichermaßen überfällig ist.