Geschäftsmodelle für den E-Commerce/Power-Shopping, Name-your-Price-Modelle und Tauschbörsen

Der Kunde ist noch längst nicht König

16.03.2001
Nichts gibt es, was es nicht gibt - alles ist käuflich über das Internet. Kostenlose Angebote, gemeinsamer Einkauf - neudeutsch Coshopping - sowie kommerziell betriebene Tauschbörsen locken den Surfer. Doch zwischen Klick und Kauf klaffen große Lücken. Von Gerda von Radetzky*

"GRATIS" ist ein gängiger Begriff im Cyberspace. Doch oft hat die Sache einen Haken. Hunderte von Website-Betreibern werben zum Beispiel mit der "kostenlosen SMS aufs Handy". In Wirklichkeit zahlt allerdings jeder seinen Teil: der Handy-Besitzer, wenn er eine Nachricht als E-Mail annimmt, der Absender der Telefonverbindung und der Provider. Und beim Online-Shopping leistet der Kunde über die Internet-Verbindung einen Obolus, bevor er den virtuellen Laden überhaupt betreten hat. Das soll ein neues Geschäftsmodell der Firma Surf0800 jetzt ändern: Sechs in ihre Site integrierte Web-Shops begleichen Online- und Telefonrechnung des Users - allerdings nur, solange sich der auf ihren Sites aufhält. Will er weiter, zahlt er wie üblich. Es bleibt abzuwarten, ob sich weitere Händler anschließen. Denn den Online-Käufer von heute interessiert kaum noch die Zugangsgebühr. Er weiß, dass nichts umsonst ist, und feilscht daher lieber um den Preis der Ware.

Coshopping lohnt nur bei vielen TeilnehmernDas Feilschen wollen ihm die Betreiber so genannter Coshopping-Plattformen abnehmen. Das Prinzip dahinter: Je mehr Nutzer ein bestimmtes Produkt kaufen, desto stärker sinkt beim Gemeinschaftseinkauf der Stückpreis. Während es im realen Geschäft meist nur zwei Preisstufen - etwa den für eine Flasche Wein und den für die Kiste - gibt, fällt der Preis im Internet auch schon bei drei Flaschen. Da der "empfohlene Herstellerpreis" jedoch offline oft unterboten wird, spart der Nutzer meistens erst dann, wenn sich zehn Käufer oder mehr einfinden. Und genau damit haben die Betreiber dieses Geschäftsmodells noch ihre Probleme.

Millionen von Mark für Werbung sollen Letsbuyit.com, dem wegen seines Auf und Ab am Frankfurter Neuen Markt wohl bekanntesten Coshopping-Anbieter, das Genick gebrochen haben. In letzter Sekunde haben die Niederländer einen neuen, wenn auch etwas zwielichtigen Geldgeber gefunden: Die Firma Kimvestor des ehemaligen Hackers Kim Schmitz soll das Internet-Unternehmen vor dem Konkurs retten, wobei allerdings noch offen ist, wie dies genau geschehen soll. Der Coshopping-Pionier in den USA Mercata gab seine Plattform im Januar auf, weil er nicht aus den roten Zahlen kam. Sang- und klanglos ging auch Cheap4you.de unter und versucht es jetzt mit einem Autoportal. Und die Zeitschrift "Eltern" von Gruner + Jahr, die über ihre Website coshoppende Mütter anvisierte, hat ihren Plan mittlerweile fallen gelassen. Laut Objektleiter Lutz Nierhoff hat "die Zielgruppe das Angebot nicht wie erhofft angenommen".

Der Haken an Geschäftsmodellen, die unter den Bezeichnungen "Power Shopping", "Power Buying", "Coshopping" und "Cobuying" auf den Gemeinschaftskauf im Web setzen: Bevor mit Masse Kasse gemacht werden kann, müssen genügend Käufer akquiriert sein. Beispiel www.megakaufwelt.de: Auf der Plattform suchten im Februar zehn Rasenmäher mindestens einen Käufer, obgleich das Angebot nur bis zum 20. Oktober 2000 galt. Marc Schlett, Geschäftsführer beim Schweizer Anbieter Coshopper, führt auch den Niedergang von Letsbuyit in erster Linie auf die aufwändige Akquise zurück. Umgerechnet knapp 80 Franken pro Kunde habe Letsbuyit.com ausgegeben. Coshopper will es besser machen und hofft, trotz der relativ geringen Investitionen von 25 Franken pro Kunde genügend Teilnehmer für seine Plattform gewinnen zu können.

Der Kunde wird unterschätztAus Sicht der Nutzer erfordern Power-Shopping-Modelle Zeit und Geduld zum Vergleichen. Einer Untersuchung von Emnid zufolge setzen vor allem Frauen diese Zeit im Netz sehr gezielt ein. Und sie rechnen: Selbst wenn zehn Mütter die Strampelhose noch so toll finden, kaufen sie diese nur, wenn sie günstiger ist als im Laden um die Ecke. Gruner + Jahr setzt daher jetzt auf Zusatzinformationen: "Wir bauen unsere Community-Features aus, vor allem den Expertenrat", kündigte Objektleiter Nierhoff an.

Ein weiteres Problem beim Coshopping: Der Surfer wird unterschätzt. Sucht ein Verbraucher eine bestimmte Marke oder eine besondere Ausstattung, dann erkundigt er sich sowohl offline wie im Internet und zieht dabei mehrere Preisvergleichs-Plattformen zu Rate - auch bei dringenden Wünschen: Der Kaffeeautomat, der am Freitag streikt, soll am Montag wieder laufen. Wer will da tagelang auf den vierten Mitstreiter warten, selbst wenn sich ein Hunderter sparen ließe?

Mehr auf den Verbraucher einstellenFinanzstarke Verbrauchermärkte wie Metro (knapp 100 Milliarden Mark Umsatz im vergangenen Jahr) sind aufgrund ihrer Einkaufsmacht allerdings tatsächlich in der Lage, die Preise der Hersteller zu drücken. Die Metro-Tochter Primus Online setzte im letzten Jahr 150 Millionen Mark um - sowohl über den normalen Verkauf, als auch über Auktionen und Power-Shopping (www.primus-powershopping.de). Nach dem Start 1999 mit CDs und Büchern war den Betreibern schnell klar, dass sich der Power-Shopping-Aufwand mit billiger Ware nicht rechnet. Man erweiterte das Angebot um Produkte rund um den PC - wegen der ständig fallenden Margen erwies sich aber auch dieses Geschäft nicht als sonderlich lukrativ. Im Schnitt ließ im vergangenen Jahr jeder der rund 100000 Power-Shopper 500 Mark in der Kasse - auf der Auktionsplattform war es noch ein Hunderter weniger.

Seit Mitte letzten Jahres setzen die Kölner auf hochpreisige Unterhaltungselektronik - Fernseher, Camcorder, digitale Kameras. Da kann der Preis schon einmal um 500 Mark rutschen. Udo Maier, Leiter von Primus-Powershopping, will auch den Haushaltsgerätebereich stärken, der sich "prächtig entwickelt". Stark investiert werden soll künftig auch in Wellness- und Event-Reisen sowie in Fitnessgeräte und teure Konzertkarten.

Die Geschäftsbereiche Primus Power-Shopping und Primus Auktion streben den Breakeven für Mitte 2002 an. Neuester Schachzug ist eine GmbH unter dem Namen Primus MyPrice, die beide Gesellschaften unter einen Hut gebracht hat. RTL ist mit 25 Prozent dabei. "Damit können wir wesentlich besser auf die unterschiedlichen Preisschwellen der Zielgruppen reagieren," erkärt Maier, denn: "Man wird sich in Zukunft sehr viel mehr auf den Konsumenten einstellen müssen". Zudem könnten Dienstleistungen wie Logistik oder Transaktions-Services aufgrund der größeren Menge günstiger erworben werden als zuvor. Auch die älteste Handelsform, der Tausch von Ware gegen Ware, gewinnt im Internet an Bedeutung. Offline ist "Barter" - so die englische Bezeichnung - schon seit langem in bestimmten Bereichen Usus. Ein Beispiel ist die Verlagsbranche, wo telefonisch vereinbarte Kompensationsgeschäfte - etwa Anzeigen gegen Messestand - üblich sind.

Kommerzielle TauschplattformenNach Angaben der US-Zeitung "Wall Street Journal" werden mit Tauschgeschäften weltweit 64 Milliarden Dollar pro Jahr umgesetzt - ein Riesenpotenzial für Anbieter im Netz. Bislang werden online und bargeldlos hierzulande vor allem Banner getauscht. Daneben existieren rund 200 regionale Tauschringe - allerdings meist mit sozialem Hintergrund. Noch schwanken die Tauschbörsen zwischen kommerzieller und ideeller Ausrichtung hin und her. Dass solche Angebote aber auf Dauer nicht kostenlos bleiben werden, zeigt die MP3-Tauschplattform Napster, die im vergangenen Jahr von Bertelsmann übernommen wurde: Ab Mitte des Jahres sollen für die Nutzung der Musikbörse Gebühren verlangt werden.

Kommerzielle Online-Tauschgeschäfte finden immer mehr Mitstreiter. Bei Geschäftsmodellen auf dieser Basis nennt der Anwender einen Preis für eine gewünschte Leistung - oder meldet ein Gesuch. Der Betreiber der Plattform sorgt für die Abwicklung und Verrechnung und kassiert dafür von Käufer und Verkäufer eine Provision in Höhe von fünf Prozent des Transaktionswerts. Nur die Provision wird in echtem Geld bezahlt, Schuld und Leistung landen auf Verrechnungskonten.

Je vielfältiger das Angebot auf dem Barter-Markt, desto größer die Chance, dass die Rechnungen aufgehen. Als vorbildlich gilt zum Beispiel www.bigvine.com: Auf der einfach zu bedienenden, informativen US-Plattform kann im Prinzip alles getauscht werden. Weniger benutzerfreundlich ist dagegen das System bei www.ubarter.com. Ein weiterer Player ist www.lassobucks.com, der den Einsteiger mit 100 Tauschdollar als Startkapital lockt. Allerdings ist das Angebot dürftig. Ausschließlich an Endverbraucher richtet sich dagegen www.targetbarter.com.

Dass sich das Barter-Modell auch durch andere Handelsformen ergänzen lässt, zeigt der B-to-B-Anbieter www.isolve.com. Spezialisiert auf große Mengen, die durch Überschuss oder Pleiten entstehen, kooperiert das Unternehmen mit Goto Auctions, einer Auktionssuchmaschine. Hierzulande sind ebenfalls erste Ansätze des professionellen Online-Tauschs zu sehen: So versucht www.barter-24.de, Autohändler zusammenzubringen.

Als Vorreiter für ein weiteres kundengetriebenes Geschäftsmodell gilt das Name-your-Price-System des US-Anbieters Priceline. com: Der Kunde gibt die Eckdaten seines Gesuchs - etwa eines Flugs - sowie den Preis, den er bereit zu zahlen ist, auf der Website an. Gibt es einen Händler, der über ein entsprechendes Angebot zum genannten Preis verfügt, wird der Flug automatisch bei ihm gebucht. Bigvine setzt zum Beispiel einen Online-Scout ein, der auf der Grundlage bestimmter Vorgaben des Nutzers nach entsprechenden Produkten sucht. Vorstellbar sind auch neutrale Plattformen von Mittlern, so genannten Intermediären. Sie könnten als Kartell-Manager dienen und Einkaufsmacht konzentrieren: Der Endverbaucher oder das Multiunternehmen gibt seinen Wunsch ein, der Mittler sucht nach dem jeweils besten Anbieter sowie nach Interessenten, um die Vorteile des Co-Buying zu nutzen.

Auf der Händlerseite entstehen auf diese Weise vertikale Portale und Marktgemeinschaften, die sämtliche Produkte und Dienstleistungen einer Branche feilbieten. Diese buhlen dann um die Mittler, die wiederum ihre Kunden hegen und pflegen, um sie nicht zu verlieren. Mit den vielfältigen Handelsformen im Internet wächst die Macht der Verbraucher. Wenn sie lernen, diese Macht gezielt einzusetzen, könnte das Bild vom "König Kunde" schon bald Realität werden.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München