Alter Streit, neuer Anlass

Der Konflikt um die Vorratsdaten

28.11.2011
Gehörte das Zwickauer Neonazi-Trio zu einem rechtsextremen Netzwerk? Und gibt es noch weitere Terrorzellen?

Nicht nur der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, hätte auf diese Fragen gern schnell eine Antwort. Zur Aufklärung untersuchen die Beamten auch, wer mit wem telefoniert oder E-Mails gewechselt hat. Vor Abgeordneten des Bundestags-Innenausschusses beklagte Ziercke kürzlich aber, dass nur wenige Verbindungsdaten vorliegen, weil es die Vorratsdatenspeicherung ja nicht mehr gibt. Damit erhält der Dauerstreit zwischen Union und FDP über dieses Thema neue Nahrung. Die FDP lässt die Vorwürfe nicht auf sich sitzen.

Mehr als 40 Anfragen bei Providern zu dem Mailverkehr und den Handy-Telefonaten der Zwickauer Zelle hätten die Beamten gestellt, erzählte Ziercke. "Sechs Provider haben uns schon gesagt: Alles ist gelöscht. Da können wir nichts weiter machen." Die anderen hatten laut Ziercke zu dem Zeitpunkt noch nicht geantwortet oder Daten angeboten, die noch ausgewertet werden müssen. Manche konnten nur auf Daten zurückgreifen, die 14 Tage zurückliegen - andere boten Daten aus bis zu drei Monaten an. Ein Provider verwies auf die Mutterfirma in den USA. Ziercke zeigte sich pessimistisch, in den USA weiter zu kommen: "Rechtshilfe dauert, wie Sie wissen, und ist ungewiss."

Im März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Vorratsdatenspeicherung gekippt. Bis dahin mussten alle Telefon- und Internetverbindungsdaten anlasslos sechs Monate lang gespeichert werden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), früher noch in der Opposition, gehörte mit zu den Klägern. Heute ist sie als Bundesjustizministerin für eine Neuregelung zuständig. Doch damit lässt sich die FDP-Ministerin Zeit. Auch, dass die EU-Kommission mittlerweile ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete, weil Deutschland die entsprechende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umsetzte, lässt sie ziemlich kalt.

Leutheusser-Schnarrenberger hatte als Alternative das so genannte Quick-Freeze-Verfahren vorgeschlagen. Sie will die Daten nicht pauschal speichern lassen, sondern nur auf Zuruf bei einem konkreten Verdacht. Die Union hatte das als vollkommen unzureichend abgelehnt. Auch Ziercke beklagte nun im Fall der Zwickauer Zelle: "Quick Freeze hilft uns da nicht." Denn Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot. Und ihre mutmaßliche Mittäterin Beate Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft. Das Trio kann also jetzt nicht mehr telefonieren und nicht mehr mailen. Und bis vor kurzem hatten die Ermittler von der Neonazi-Zelle - soweit man heute weiß - keinen blassen Schimmer. Sie hätten also nicht veranlassen können, dass möglicherweise relevante Daten "eingefroren" werden.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) versucht abermals, seine Kabinettskollegin zum Handeln zu bewegen. "Sowohl beim Aufspüren islamistischer Zellen als eben auch hier bei der Zwickauer Zelle zeigt sich die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung", betonte er in der "Welt am Sonntag". FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle aber glaubt, dass Friedrich damit vor allem vom Versagen der Sicherheitsbehörden ablenken will. "Es hilft niemandem, mitten in der Aufklärungsphase reflexhaft alte Maximalforderungen zu stellen." Auch Leutheusser-Schnarrenberger betonte, nach der Neonazi-Mordserie sei zuallererst eine umfassende Aufklärung und Fehleranalyse nötig.

Ende des Jahres läuft die von der EU-Kommission gesetzte Frist zur Neuregelung der Speicherung aus. Danach droht Deutschland eine Strafzahlung in Millionenhöhe. Manche glauben, dass die Justizministerin auf Zeit spielt und eine Neuregelung gar nicht anstrebt. Die Liberalen haben den Schutz der Bürgerrechte zum Teil ihres Markenkerns erklärt. Und Leutheusser-Schnarrenberger hat sich so sehr auf das Thema Vorratsdaten eingeschossen, dass sie nun kaum von ihrer Position abrücken kann, ohne sich vorwerfen lassen zu müssen, eingeknickt zu sein. Andere glauben, dass der Druck nur groß genug werden muss, damit sich in Berlin etwas bewegt. Momentan sieht es - trotz Zierckes Klage - nicht danach aus. (dpa/tc)