Der IT-Nachwuchs tickt anders

30.04.2002
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Der Nachwuchs artikulierte auf einem Göttinger Kongress klare Vorstellungen, was er sich vom idealen Arbeitgeber wünscht - in erster Linie Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit, Glaubwürdigkeit und gute Karriereaussichten. Die Unternehmen müssen auf die Wünsche der Jungen reagieren, wollen sie die Besten bekommen.

Personaler haben so ihre liebe Not mit dem Nachwuchs, oder anders ausgedrückt: Wenn sie sich der Herausforderung, mit der Jugend ins Gespräch zu kommen, nicht stellen, werden sie wenig Chancen haben, sich am Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber zu behaupten.

Dies zeigte sich deutlich auf dem neu ins Leben gerufenen Kongress „Management meets new generation“ der zum ersten Mal in der Göttinger Lokhalle stattfand. Hier trafen sich etwa 200 Unternehmensvertreter, in erster Linie Personaler, und 60 junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren. Dass sich die Zeiten verändert haben, machte Continental-Personalvorstand Klaus Friedland in der Eröffnungsrede deutlich: „Als ich 1978 zu arbeiten begann, existierte in unserer Kantine ein Zwei-Klassen-System, um neun Uhr fand eine Lüftungspause statt, die Beschäftigten hatten eine geregelte Arbeitszeit, und um vier Uhr gingen alle nach Hause.“ Er fand das furchtbar, aber die Jungen hatten sich anzupassen.

Und hier sieht er den Unterschied zu heute, denn „jetzt bewegen sich beide Seiten aufeinander zu“. Oder sie bewegen sich ganz woanders hin, wie das Beispiel eines IT-Experten zeigt. Daniel Preuß, Berater und dann IT-Manager, hatte das Gefühl, sich Tag und Nacht nur für seinen Arbeitgeber zu engagieren. Nach einem längeren Tansania-Urlaub stellte er sich die Sinnfrage: „Wozu soll ich meine ganze Energie und Kreativität dem Unternehmen zugute kommen lassen“, statt sie stärker für sich zu nutzen.

Management meets new generation

Er merkte, wie die Kontakte zu Familie und Freunden abnahmen, Freizeitaktivitäten fanden kaum noch statt. Er entschloss sich, komplett umzusteigen, verließ die ihm vertraute Computerwelt, um ein Unternehmen zu gründen, das heute unter anderem Projekte in Afrika unterstützt. Während Preuß dazu kam, sich die Sinnfrage zu stellen, haben Microsoft-Mitarbeiter wahrscheinlich nicht mal dazu die Chance. Dort ist es selbstverständlich, 50 bis 60 Stunden zu arbeiten, erklärte Personalchef Albert Hakkers, und das geschehe alles einvernehmlich mit dem Betriebsrat, wie der Holländer stolz verriet.

Dafür fahren auch 80 Prozent der Mitar-beiter einen Dienstwagen und sind elektronisch voll ausgerüstet mit Notebook, Mobiltelefon und PDA. Jeder Mitarbeiter kann an jedem Ort der Welt jederzeit arbeiten. Hakkers braucht sich keine Sorgen um den Nachwuchs zu machen, Microsoft erhält allein in Deutschland rund 3000 Bewerbungen pro Monat. Ob sich allerdings viele junge Kongressteilnehmer beim Softwareriesen bewerben werden, ist fraglich. Denn die meisten Vertreter der jungen Generation, die sich unter anderem über einen Fragebogen für die Veranstaltung qualifizieren mussten, gaben an, dass für sie die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit hohe Priorität hat.

So erzählte eine junge Anwendungsentwicklerin aus München, dass sie sich für den aktuellen Arbeitgeber deshalb entschied, weil dieser flexible Arbeitszeiten anbietet. Das gehe so weit, dass sie zeitweise auf einen Arbeitstag pro Woche reduzieren könne. In den zahlreichen Wortmeldungen jüngerer Diskutanten war immer wieder zu hören, dass ihnen der Spaß an der Arbeit wichtig sei, die Atmosphäre im Unternehmen, aber auch die Karriereperspektiven. Im gleichen Atemzug wurden Glaubwürdigkeit und Authentizität genannt.

Sonntagsreden der Art, dass der Mensch das wichtigste Gut in einer Firma und lebenslanges Lernen unabdingbar sei, werden als Floskeln abgetan und kommen nicht gut an. Immer wieder stand die Frage im Raum, ob der Nachwuchs von heute anders tickt als die vorhergehenden Generationen. Der Publizist und Buchautor Warnfried Dettling aus Berlin, der in seinen Büchern gesellschaftliche Veränderungen beschreibt, meinte in Göttingen: „Wir erleben mehr als einen Generationen-+wechsel.“ Die heutige Jugend lebt und arbeitet anders als diejenigen, die zwischen 1930 und 1950 geboren wurden. Diese orientierten sich am Modell der „Lebenstreppe“, das aus drei klar unterschiedenen Phasen bestand: Jugend, Ewachsenenstatus, Alter. Man entschied sich in jungen Jahren für einen beruflichen Weg - Facharbeiter, Lehrer, Angestellter - und blieb ein Leben lang dabei.

Heute sei die Arbeitsgesellschaft „bunter“ geworden, viele junge Menschen wollten von den „eindimensionalen Lebensentwürfen“ ihrer Eltern wenig wissen. Dettling ist überzeugt, dass der Nachwuchs in seinem Leben nicht nur einem Beruf nachgehen, sondern mehrere Tätigkeiten miteinander kombinieren wird. Ähnlich äußerte sich Richard Münchmeier, Professor an der Freien Universität Berlin und Mitautor der Shell-Jugendstudien. Er beobachtet eine „selbstsichere junge Generation, die für sich in Anspruch nimmt, etwas zu können, und sich Power zuschreibt“. Die alten Gegensätze zwischen Arbeit und Freizeit gälten nicht mehr. Arbeit sei Leben und müsse Spaß machen und der persönlichen Weiterentwicklung dienen.

Kritischer fiel dagegen das Fazit von Anja Quattor, Geschäftsführerin der Dekra-Akademie in Stuttgart, aus: „Können denn Alt und Jung Projekte diskutieren, wenn sie noch nicht mal einen Kaffe zusammen trinken?“ Sie glaubt, dass die Jungen nicht bereit seien, die Erfahrungen der Alten zu schätzen, und umgekehrt, dass viele Alte meinten, sich als Erzieher aufspielen zu müssen. Nach wie vor gebe es zu vielen Themen zu unterschiedliche Auffassungen, etwa wenn es um Arbeitstempo und -zeit gehe. Die Unternehmen müssten begreifen, dass ältere Arbeitskräfte nicht weniger, sondern andere Fähigkeiten besäßen als jüngere.

CSC-Ploenzke-Manager Jürgen Fuchs findet es ganz in Ordnung, wenn der Nachwuchs es schafft, sich vom klassischen Karrierebegriff endlich zu lösen. Für ihn bedeutet die herkömmliche Karriere: Menschen unter sich zu haben, in den Genuss von Statussymbolen und Titeln zu kommen und Personalverantwortung zu tragen. Der Mathematiker und Philosph sieht darin den „den Aufstieg zur Inkompetenz“. Seine neue Defintion lautet: „Man ist gefragt, wird um Rat angegangen, wird informiert, hat Spielraum und genießt Vertauen. Ziel müsse sein, Kompetenz und Ansehen zu entwickeln, man sollte nicht wegen des Ranges, sondern wegen der Persönlichkeit geschätzt sein.

Der Kongress

Eine Premiere erlebten die Besucher des Kongresses „Management meets new generation.“ Wohl zum ersten Mal in Deutschland fand eine Dialogveranstaltung zwischen Personal-verantwortlichen und jungen Menschen zwi-schen 20 und 30 Jahren im Rahmen eines Kongresses statt, in dem auf der einen Seite die Wünsche der Nachwuchsgeneration zur Sprache kamen, auf der anderen Seite Unternehmen über Personalentwicklungskonzepte referierten. Die rund 60 Jugendlichen zwischen 20 und 30 Jahren mussten sich mit Hilfe eines Fragebo-gens für den Kongress qualifizieren. Sie sollten einen interessanten Lebenslauf vorweisen, also neben Beruf oder Ausbildung sich noch anderweitig, etwa in sozialen Projekten engagieren. Neben den klassischen Vorträgen gab es Workshops, in denen zum Teil intensiv diskutiert wurde. Den symbolträchtigen äußeren Rahmen bildete eine Lokhalle, eine wie es ein Teilnehmer formulierte „ einer „Kathedrale der alten

Industriekultur“. Zusätzlich wurde am Abend noch ein Generationendinner orga-nisiert.Organisatoren waren das Synergie Network gemeinsam mit der Dekra Akademie, Siemens und Continental.