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Der IT-Manager spielt beim E-Business eine Nebenrolle

31.10.2000
Auf dem COMPUTERWOCHE-Kongress "IT meets Business" schrillten die Alarmglocken: Technisch geprägte IT-Leiter sind höchstens Erfüllungsgehilfen. Wer mitgestalten will, braucht neue Qualifikationen.

Von CW-Redakteurin Karin Quack

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nirgends ist das Motto des COMPUTERWOCHE-Kongresses "IT meets Business" aktueller als beim Trendthema E-Business. Die Vorträge und Diskussionen belegten: Technisch geprägte IT-Leiter sind höchstens Erfüllungsgehilfen. Wer mitgestalten will, braucht neue Qualifikationen.

Das Zukunftsszenario, das Thomas Malone, Professor an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT), zeichnete, jagte wohl manchem Zuhörer kalte Schauer den Rücken entlang: Der Hochschullehrer prognostierte eine zunehmende Zahl von Unternehmen, die beachtliche Umsätze mit einem Minimum an Belegschaft erzielen, indem sie sogar Kernfunktionen an externe Dienstleister auslagern. Für eine festangestellte IT-Mannschaft ist in einer solchen Organisation kein Platz.

Damit führte der Wissenschaftler jedoch nur eine Entwicklung fort, die den IT-Managern in den Unternehmen schon seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet: Sie oder vielmehr ihre Abteilungen müssen gegen externe Serviceanbieter konkurrieren. Als Reaktion darauf geben sie sich alle erdenkliche Mühe, einen Status als interner Dienstleister zu erringen. Sie haben sich durchgerungen, die Fachabteilungen als Kunden zu betrachten und ihre Arbeit objektiv messbaren Kriterien zu unterwerfen: detaillierten Pflichtenheften und Service-Level-Agreements.

Im Hinblick auf das E-Business erweist sich dieser Kulturwandel als Bumerang. Mit ihrem Selbstverständnis als Dienstleister reduzieren sich die IT-Abteilungen auf die Funktion von Erfüllungsgehilfen. Die immer wieder geäußerte Forderung, das IT-Management müsse geschäftliche Mitverantwortung tragen, wird dadurch ad absurdum geführt. Diese harte Schlussfolgerung ergab sich aus den Gruppendiskussionen, an denen die Kongressteilnehmer engagiert mitwirkten.

Daimler-Chrysler: Ein Vice President für´s E-Business

Bestätigt wurde diese These zudem in den Praxisberichten. So hat beispielsweise die Daimler-Chrysler AG mit Olaf Koch kürzlich einen Vice President Corporate E-Business ernannt. Er ist mitverantwortlich dafür, dass der in Stuttgart beheimatete Weltkonzern - dem Fachleute noch vor kurzem der Zurückhaltung in Sachen Online-Geschäft vorwarfen - seine eigene Wertschöpfungskette vernetzt und darüber hinaus fremde Unternehmen einbezieht. Die Lösung dieser Aufgabe traut Daimler-Chrysler seinem IT-Management augenscheinlich nicht zu.

Immerhin räumte Koch ein, dass die Informationstechnik ein "Schlüssel zum Erfolg" für die neuen Geschäftsstrategien sei. Allerdings sprach der Daimler-Chrysler-Manager in diesem Zusammenhang ausdrücklich von "Umsetzungs-Know-how", keineswegs von einer Einflussnahme auf die Strategie.

IT-Manager in den Vorstand! Diese seit dem Ende der 80er Jahre erhobene Forderung von Marktbeobachtern und Unternehmensberatern ist heute zum Teil erfüllt: Zumindest die Branchen, in denen Informationstechnik eine entscheidende Rolle spielt - allen voran die Banken und Versicherungen - haben heute Vorstandsmitglieder, die für die IT verantwortlich zeichnen. Den Titel IT-Manager oder Chief Information Officer (CIO) weisen sie jedoch von sich.

Babcock-Borsig: IT im Vorstand

So legt auch Gisbert Rühl, Vorstandsmitglied der Babcock Borsig AG, Oberhausen, Wert auf die Feststellung, dass er neben der IT auch noch für das Controlling, das Supply-Chain-Management und die Konzernbeteiligungen zuständig ist - und außerdem für das E-Business. An diese Verantwortlichkeit sei er mehr oder weniger zufällig gekommen, berichtete er augenzwinkernd. "Der Jüngste macht´s", habe es im Vorstand des Anlagenbauers geheißen.

Dass das E-Business Sache der Unternehmensleitung ist, steht für Rühl außer Frage. "Die E-Business-Strategie muss aus der Konzernstrategie abgeleitet werden", lautet sein Credo. Im Fall Babcock Borsig hießen die Unternehmensziele: Beschaffungskosten senken, Engineering-Prozesse straffen und Kundenbeziehungen stärken. Dazu will der Konzern bis 2003 zehn bis 15 Millionen Euro jährlich in E-Business-Projekte investieren.

Diese Initiativen unterscheiden sich deutlich von gewöhnlichen IT-Projekten. Grundsätzlich werden sie, so berichtete Rühl, zentral gesteuert, aber dezentral umgesetzt, um Ad-hoc-Entscheidungen zu ermöglichen. "Geschwindigkeit ist wichtiger als hundertprozentige Richtigkeit", dieser Grundsatz sei zwar für das Kerngeschäft nicht tragbar, für E-Business-Projekte jedoch von entscheidender Bedeutung: "Wer an das E-Business herangeht wie an eine R/3-Einführung, wird es nicht schaffen."

Der Integrationsaspekt zum Beispiel spielt zunächst eine untergeordnete Rolle, bekannte Rühl. Wichtig sei die schnelle Einführung. "Später kann man sehen, wie man es zusammenbringt." Konsequenterweise dauerten E-Business-Projekte bei Babcock Borsig höchstens sechs Monate. Wenn es bis dahin keine Pilotanwendung gebe, werde das Vorhaben neu aufgesetzt - oder ad acta gelegt.

Selbstverständlich kann sich der IT-Leiter auch bei Babcock Borsig zum Thema E-Business äußern; im zuständigen Steering Committee hat er durchaus eine Stimme. "Ich muss nur aufpassen, dass er es nicht zu IT-lastig werden lässt", schilderte Rühl seine Bedenken gegen einen größeren Einfluss des Chefinformatikers. Das erstaunt umso mehr, als der Babcock-Vorstand ausdrücklich betonte, dass dieser Mann - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - eher aus dem Prozess- als aus dem RZ-Umfeld komme und "das Thema E-Business verstehe".

Mit seiner Skepsis steht Rühl nicht allein. In den Gruppendiskussionen tauchte immer wieder das Argument auf, die IT-Abteilungen seien vorbelastet durch ihre Vergangenheit, in der das ewige Missverhältnis zwischen dringenden Anforderungen und knappen Ressourcen die Innovationsfähigkeit zur Strecke gebracht habe. Um eine Hauptrolle beim E-Business zu spielen, seien die IT-Leute zu langsam, zu technikfixiert, zu wenig kreativ und flexibel sowie zu sehr dem "Hundert-Prozent-Ansatz" verhaftet. Als ausführendes Organ gerade noch willkommen, rangiert die IT bei der Entscheidungsfindung höchstens unter ferner liefen.

Fiege/Baywa: IT-Verantwortung neu definiert

Der erwartete Widerspruch blieb aus - auch von denen, die es geschafft hatten, die IT-Verantwortung in die Unternehmensleitung hineinzutragen, wie etwa Andreas Resch, Geschäftsführer beim Berliner Logistikdienstleister Fiege Deutschland, und Frank Hurtmanns, Vorstandsmitglied der Münchner Baywa AG. Resch vertrat die Ansicht, dass sich die bisherigen IT-Abteilungen auflösen werden - in die Fachabteilungen hinein, wo sie dann spezielle Aufgaben lösen. Zwar mache die Dezentralisierung eine Integrationsfunktion nötig, doch sei diese keineswegs gleichzusetzen mit der Fähigkeit, geschäftskritische Entscheidungen zu treffen.

Dafür bedürfe es, so ergänzte Hurtmanns, einiger Qualifikationen, die IT-Leiter bislang eher selten aufweisen. Informationstechnik sei sicher eine General-Manager-Funktion; doch wer sie in diesem Sinne betreiben wolle, müsse lernen, Prozessgestalter und "Change Agent" zu werden. Das heiße auf der anderen Seite, auch einmal Nein zu sagen, wenn der geschäftliche Nutzen eines Projekts nicht auszumachen sei.

Novartis CP/PwC: Mehr Business-Kompetenz ist gefragt

Auf die "neuen Charakteristika" der IT kam auch Hans Wilhelm Barz, Leiter IT-Architektur und -Implementierung beim in Basel beheimateten Pflanzenschutzmittel-Spezialisten Novartis Crop Protection, zu sprechen. Gegenmittel gegen den vom Marktforschungsunternehmen Forrester Research vorhergesagten "Tod der IT" seien Marketing- und Vertriebs-Know-how, mehr Risikobereitschaft und eine "Good-enough-to-go"-Einstellung. Barz´ Schlussfolgerung: Entweder die IT-Abteilungen sind flexibel, extern fokussiert und geschäftsorientiert, oder sie werden als "Altlast" abgelöst.

Noch einen Schritt weiter ging Gerd Servatius, Leiter Strategieberatung beim internationalen Consulting-Unternehmen Pricewaterhouse-Coopers und Honorarprofessor an der Universität Stuttgart. Er verlangte von den IT-Führungskräften nicht nur eine gesteigerte Business- und Beziehungskompetenz, sondern auch die Fähigkeit, "am Chaosrand glücklich zu sein".

IDC: E-Business ist Chefsache

Pim Bilderbeek, europäischer Vice-President E-Business und Networking Research beim Marktforschungsunternehmen IDC, bestätigte die Diskussionsthesen mit den Ergebnissen einer Umfrage, an der mehr als 600 US-Unternehmen (sowohl aus dem Brick-and-Mortar- als auch aus dem New-Economy-Umfeld) teilgenommen hatten: Der CIO oder Vice President Information Systems gilt nur in jedem fünften dieser Betriebe als verantwortlich für das E-Business, damit immerhin genauso häufig wie der Vice-President Marketing. Auf die Plätze verwiesen werden beide durch den Chief Executive Officer (CEO): In beinahe jedem zweiten der befragten Unternehmen hat der Geschäftsführer oder President auch in puncto E-Business das letzte Wort - nach Bilderbeeks Urteil sehr zu Recht.

Eine CEO-getriebene Internet-Strategie ist für den Marktforscher das erste der Kriterien, die darüber entscheiden, ob ein Unternehmen das Thema E-Business meistert oder nicht. Zweitens sollten Organisationen, die ein "E-Business Version 2.0" betreiben wollen, unbedingt wissen, wie viel Umsatz sie im Netz machen und wann sie damit einen Gewinn erwirtschaften. Mehr Erfolg als die Auslagerung des E-Business-Bereichs verspreche drittens die Integration in das Gesamtunternehmen. Darüber hinaus sollten die Unternehmen vielfältige elektronische Vertriebskanäle unterhalten - nicht nur einen eigenen Marktplatz - und eine aggressive Lokalisierungs-Strategie betreiben. Last, but not least müsse die neue Infrastruktur von Anfang an auf die Bedürfnisse des Online-Geschäfts zugeschnitten werden, also serviceorientiert und personalisierbar sein.

NACHBETRACHTUNG

Für alle, die nicht dabei sein konnten beziehungsweise den einen oder anderen Redner gern noch einmal gehört hätten, stellen wir die Hauptvorträge des Kongresses "IT meets Business" als Video-Streams zur Verfügung - in ISDN- und in Dual-ISDN-Qualität. Zumindest in den kommenden drei Wochen können auf diesem Weg beispielsweise die Präsentationen von Thomas Malone, Olaf Koch, Hans Wilhem Barz und Pim Bilderbeek sowie die Keynote Speech von Jeffrey Dachis, CEO des New-Economy-Unternehmens Razorfish, betrachtet werden. Die dazu notwendige "Realplayer"-Software lässt sich unter www.real.com herunterladen.

Kommentar: Wie wichtig sind IT-Manager?

Im Zeitalter von E-Business und Internet spielt die Informationstechnik in vielen Unternehmen eine strategische Rolle - der IT-Manager jedoch nicht. Ganz anders als immer wieder gefordert, nimmt der IT-Verantwortliche keine strategischen Aufgaben wahr. Seine Vorgesetzten sehen in ihm ein ausführendes Organ, dass sie höchstens zu Rate ziehen, wenn es um die Realisierung eines Vorhabens geht, nicht aber, wenn die Ausrichtung des Unternehmens im E-Commerce zur Debatte steht.

In Podiumsdiskussionen und Roundtables während des CW-Kongresses "IT meets Business" kam außerdem heraus, dass die IT-Funktion zwar in den Vorstand eines Unternehmens gehöre, nicht aber der IT-Leiter. Wieso trauen Business-Manager ihren Kollegen aus der IT so wenig zu? Nun, sie werfen ihnen vor, nur die Technik im Auge zu haben und trotz aller Beteuerungen und jahrelanger Forderungen nicht im Business-Sinne zu denken. Kurz: Enttäuschung ist offenbar der Grund für die Degradierung des IT-Managers.

Ob diese Zweifel berechtigt sind, muss jeder IT-Verantwortliche selbst entscheiden: Aber von wie vielen IT-Managern ist bekannt, dass sie das neue Customer-Relationship-Management initiiert haben, dass sie E-Business ins Unternehmen getragen und technisch verankert haben oder auch nur, dass das E-Mail-System auf ihre Anregung hin eingeführt wurde? Jetzt drohen IT-Manager, Opfer ihres Ingenieursansatzes zu werden, nur 100-prozentig funktionierende Anwendungen freizugeben. Je mehr Business-Manager die IT entdecken - für einige ist sie immer noch ein böhmisches Dorf -, desto ungeduldiger werden sie. Dabei interessiert sie die Komplexität des Back-Office nicht (sie würden sie auch nicht verstehen), für Integrationsprobleme haben sie kein Ohr. Sie wollen schnell funktionierende Web-Shops, Procurement-Systeme, Data-Mining-Tools etc.

Die IT ist gefordert, sich dem hämmernden Geschäftsrhythmus anzuschließen. Schafft sie das nicht, wird es sie nur noch als externen Dienstleister geben. Sie muss sich zumindest im Denken - obwohl sie sich immer darum zu kümmern haben wird - von den Altsystemen emanzipieren, die ihr mindestens 80 Prozent der Ressourcen und Nerven rauben. Natürlich ist das schwierig, aber wenn es den IT-Managern nicht gelingt, dann dürfen sie bald nur noch etwas sagen, wenn sie gefragt werden und auch das könnte dann immer seltener der Fall sein.

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