Hersteller sprengen die 1000-MIPS-Leistungsgrenze

Der Großrechnermarkt bleibt weiter hart umkämpft

18.09.1998

Die klassischen Großrechner mit proprietären Betriebssystemen wurden immer wieder totgesagt. Doch trotz Multiprocessing und Clustering-Optionen bei Unix-basierten Server-Systemen sind die Boliden weiter präsent. Freilich haben auch sie sich gewandelt. Die Betriebssysteme wurden offener gestaltet, die Rechner immer kleiner und von den Marketing-Strategen der Hersteller in Server umbenannt.

Marktforscher sehen durch die Bank einen stabilen Markt für Mainframes; viele sprechen gar von einer Renaissance. Die alten Kämpen der Szene, IBM und die "Steckerkompatiblen" wie Amdahl und die BASF-Tochter Comparex, die in Deutschland, Osteuropa und Rußland die Maschinen von Hitachi Data Systems verkauft, stellen regelmäßig neue und leistungsstärkere Maschinen vor. Die drei genannten Firmen liefern sich in diesem Jahr ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den schnellsten Mainframe.

Mit einem System der "G5"-Serie hat IBM eigenen Angaben zufolge die bisherige Leistungsgrenze der CMOS-Rechner von 1000 MIPS übersprungen. Der Zehn-Wege-Rechner "9672 RY6" hat nach internen Messungen des Herstellers bereits 1069 MIPS erreicht. Die Armonker konnten damit die Leistungslücke zum Erzrivalen Hitachi Data Systems (Comparex) reduzieren. Allerdings dürfte dies nicht von langer Dauer sein. Die für nächstes Jahr angekündigte "Skyline-2"-Serie von Hitachi auf Basis der ACE-Technologie soll eine Einzelprozessorleistung von 250 bis 280 MIPS bieten, also den alten Vorsprung um den Faktor 2,5 gegenüber CMOS-CPUs fast wieder herstellen. 1999 dürfte andererseits auch die G5-Serie von IBM wieder etwas mehr MIPS in den Kampf der Giganten einbringen.

Hitachi hat indes auch seine aktuelle "Skyline-1"-Serie aufgebohrt und will diese Rechner mit einer Einzelprozessorleistung von 120 MIPS ausstatten. Dies entspräche einer Gesamtleistung von 1100 MIPS in einem voll ausgebauten Rechner. Als einziger Großrechnerhersteller hat der japanische Konzern mit seinen erfolgreichen Skyline-Maschinen noch ECL-Technik (ECL = Emitter-coupled Logic) im Portefeuille, freilich in der optimierten Form einer ECL/CMOS-Mischtechnik, bei Hitachi Advanced CMOS-ECL (ACE) genannt. Das Festhalten an dieser vermeintlich alten Technologie hat sich für die Japaner in den letzten Jahren ausgezahlt, und es sieht nicht so aus, als ob sich das jetzt entscheidend ändern würde. Marktforscher wie die Meta Group orakeln sogar, daß sich der bisherige, um etwa 15 Prozent höhere Preis der ACE-Maschinen gegenüber den CMOS-Pendants einebnen könnte.

Hitachi Data Systems ist andererseits nicht nur mit ACE aktiv, sondern stellt Ende September mit der "Pilot-P8"-Rechner-Serie (bei Comparex "C2000" genannt) ebenfalls eine Reihe von Rechnern auf reiner CMOS-Basis vor.

Auch die Fujitsu-Tochter Amdahl will die Leistung ihrer nächsten Großrechnergeneration, die Anfang 1999 auf den Markt kommen soll, auf über 130 MIPS pro CMOS-Prozessor steigern. In einem Zwölf-Wege-System stünden damit annähernd 1000 MIPS zur Verfügung. Siemens setzt ebenfalls Fujitsu-Prozessoren ein. So enthält das Modell "S150" unter dem Betriebssystem BS2000 zwölf CMOS-CPUs, die nach Herstellerangaben auf eine Leistung von rund 760 RPF (Relativer Performance-Faktor), entsprechend 1140 MIPS, kommen sollen. Anwender, denen diese Leistungswerte nicht ausreichen, können Mainframes auch clustern. IBM verspricht beispielsweise mit einem "Parallel-Sysplex"-Cluster, in dem bis zu 32 Großrechner zusammengeschaltet werden können, eine Gesamtleistung von 30 000 MIPS.

Der Trend geht zum offenen Mainframe

Neben der reinen Rechenleistung versuchen die Hersteller, die einst abgeschotteten Rechnerboliden durch eine Öffnung für Applikationen alternativer Plattformen attraktiver zu machen. Für Volker Zdunnek, Produktmanager von Bull und seit 25 Jahren im Großrechnergeschäft, geht die Entwicklung bei den Großrechnern eindeutig in Richtung mehr Offenheit. Auch bei Bull entwickle man neben den Unix-Systemen die CMOS-Technologie für Großrechner weiter. "Denn wir möchten ja die Standardperipherie auch an einen Großrechner anschließen können." Das Ergebnis sei ein offener Mainframe, der mit TCP/IP, Internet oder Intranet zusammenspiele und nicht isoliert von den aktuellen DV-technischen Trends dastehe, rührt Zdunnek die Werbetrommel. Ähnlich argumentiert Dietmar Wendt, bei IBM Deutschland für das Großrechnergeschäft verantwortlich: "Wir haben mittlerweile in das Betriebssystem OS/390 1170 Unix-Befehle eingebaut, haben den C++-Compiler für OS/390 neu geschrieben und können jetzt auch ASCII- und nicht nur EBCDIC-Dateien verarbeiten. Das sind wichtige Schritte zu einer offenen Systemumgebung." Durch diese "neue Offenheit" werden die Big Irons von den Herstellern bisweilen zu einer Art Unix-Groß-Server hochstilisiert.

Die Gartner Group sieht demgegenüber die Existenzberechtigung der Mainframes in vier wesentlichen Vorteilen: Leistung, Verfügbarkeit von Hard- und Software, Anzahl der Benutzer und Kosten. IBM-Manager Wendt untermauert das Verfügbarkeitsargument mit Zahlen: So stünden dezentrale Unix-Systeme neun Stunden pro Jahr und Benutzer still, LAN-Systeme gar 26 Tage, während sich bei S/390-Systemen gerade mal fünf Minuten pro Nutzer und Jahr an unfreiwilligen Auszeiten ergäben. Auch bei den Kosten schneiden die Jumbos gut ab, wie Josh Kerscher, Re- search Director Enterprise Systems bei der Gartner Group, vorrechnet: "Je mehr Benutzer auf den Mainframe zugreifen, desto billiger wird das Ganze, bei Unix-Systemen ist das nicht so."

Ein weiteres kritisches Leistungsmerkmal der Mainframes gegenüber Unix-Servern sind die Antwortzeiten: Ab einer bestimmten Zahl von Anwendern können selbst größere Unix-Server-Farmen mit den Big Irons nicht mehr Schritt halten. Marktforscher Kerscher sieht die Grenze bei etwa 500 Usern. Bei mehr als 500 "Sitzungsteilnehmern" werde ein Mainframe den verteilten Unix-Server-Farmen zunehmend überlegen, so Kerscher. Und auch das Preis-Leistungs-Verhältnis wird nach Einschätzung der Gartner Group für die Großen immer günstiger. Der durchschnittliche Preis pro MIPS dürfte im nächsten Jahrzehnt um 25 bis 30 Prozent sinken, glauben die Marktforscher.

Für den Unisys-Manager Müller-Lütgenau zählt neben der schieren Leistung bei der Transaktionsverarbeitung auch die erreichbare Sicherheit. "Die Angaben von MIPS oder Megahertz vernebeln in diesem Bereich eigentlich mehr, als daß sie erhellen", meint Müller-Lütgenau. Wirklich wichtig sei die schnelle und sichere Verarbeitung von Transaktionen, wie sie bei Banken oder Versicherungen notwendig ist. Die bisherigen Nachteile von Großrechnern, wie die bei reiner ECL-Technologie notwendige Wasserkühlung und die daraus resultierenden riesigen Ausmaße, die hohen Betriebskosten und das "Green-Screen"-Image hätten weitgehend beseitigt werden können. Die direkte Anbindung von Unix- oder NT-Servern sei durch die Integration von Netzprotokollen in die proprietären Betriebssysteme ebenfalls erreicht worden.

Traditionell sind Banken und Versicherungen sowie die Rechenzentren von großen inter- national operierenden Unter-nehmen die Hauptanwender von Großrechnerlösungen. Die große Basis an unternehmenskritischen Applikationen, die dort meistens in Cobol geschrieben und inzwischen teilweise 30 Jahre und älter sind, läßt sich nur mit großem Aufwand auf andere IT-Strukturen übertragen und wird wohl auch künftig zum Ersatzbedarf und zur Erweiterung bestehender Mainframe-Installationen beitragen.