Was bringt die Analyse von Besucherverhalten im Web?

Der gläserne Kunde bleibt Vision

14.06.2002
MÜNCHEN (uk) - Unternehmen, die hofften, aus Web-Daten ohne Aufwand Wissen über die Interessen ihrer Käufer zu gewinnen, sind enttäuscht. Auch mit Web-Trading gibt es hochwertige Informationen über Kunden nicht umsonst. Und immer bleibt die Frage: Was soll mit den Daten geschehen?

Wissen, was der Kunde will - das ist das Geheimnis erfolgreichen Marketings. Die Propheten des E-Business sahen deshalb das Internet als Königsweg zum Käufer: Hatte man doch endlich ein Medium gefunden, das jeden Schritt eines Internet-Besuchers im virtuellen Shop oder auf der Homepage des Unternehmens protokolliert und auswertbar macht. Die Web-Technik nährte die Hoffnung der Vertriebsstrategen auf den gläsernen Kunden, dessen Bedürfnisse und Befindlichkeiten das Unternehmen so genau kennt, dass es ihm ganz individuelle Angebote machen kann. Doch derzeit, so scheint es angesichts der jüngsten Änderungen des Teledienstegesetzes,interessieren sich vor allem Politik, Polizei und Geheimdienste für die Bewegungsdaten der Internet-User. Sind Kundendaten jetzt also nur noch wichtig für die Terrorbekämpfung?

Kunden personalisiert ansprechen

"Nein, auf keinen Fall", sagt Wolfgang Martin, unabhängiger Analyst und Meta Group Research Fellow: "Mit Web-Mining, also der Auswertung von Daten, die beim Besuch einer Website protokolliert werden, können Unternehmen wichtige Erkenntnisse über ihre Kunden gewinnen. Darauf lässt sich dann personalisiertes One-to-one-Marketing aufbauen. Das erhöht die Chancen, im zunehmenden Wettbewerb Kunden an sich zu binden." Allerdings gibt es nach seiner Einschätzung nur ganz wenige Unternehmen, die Web-Mining betreiben. Dabei seien die nötigen technischen Lösungen vorhanden. Das zeigten erste Ansätze in anderen europäischen Ländern, etwa bei einigen niederländischen Banken und Lebensmittelkonzernen mit Lösungen des Anbieters Data Distilleries. Auch die Norske Bank in Oslo und die schwedische Postbank gehören zu den Vorreitern. Sie machen dem Kunden auf Basis seines Web-Verhaltens und der übrigen im Unternehmen vorhandenen Daten über ihn passende Vorschläge - im Web genauso wie im Call-Center.

Dass Unternehmen im deutschsprachigen Raum bislang wenig in dieser Richtung aktiv sind, liegt für Martin nicht am Datenschutz, sondern an mangelnder Kreativität im Umgang mit den Daten. "Zunächst mal müssen die Marketiers lernen, was sie ihren Kunden auf Basis welcher Daten aus dem Web anbieten können. Hier läuft noch die Erprobungsphase." Dabei geht es zunächst um nichts anderes, als Konzepte aus der Offline-Welt in die Online-Welt zu übertragen, indem man wie früher im Handel aus den Einkäufen der Kunden Assoziationsregeln ableitet und aus diesen dann Vorschlagslisten generiert, wonach in einem bestimmten Umfeld bestimmte Angebote präsentiert werden. Das Vorgehen kann aber kontraproduktiv wirken, wenn der Kunde, wie etwa früher bei Amazon, Bücher vorgeschlagen bekommt, die er bereits dort gekauft hat. Wichtig ist deshalb, Online- und Offline-Daten zu integrieren.

Der Eindruck, dass gerade in Deutschland noch nicht viel passiert, kommt allerdings manchen Unternehmen durchaus gelegen. So ist es unter Experten eine ausgemachte Sache, dass Otto, Quelle und Neckermann in Sachen Web-Mining einiges tun, darüber aber wenig reden. Der Grund: Man will den Kunden nicht verprellen. Gleiches gilt für Bertelsmann. Player wie diese sind für die Vorreiterrolle prädestiniert, da sie auch bisher schon ihre Kundendaten systematisch genutzt haben, um beispielsweise die Rentabilität von Kunden zu bewerten, und dieses Prozedere nun "nur" auf einen weiteren Kanal ausweiten. Wer dabei wie nah an die Grenzen des Machbaren geht, ist nicht nur eine Frage des Datenschutzes, sondern auch der Akzeptanz durch den Kunden.

Vorhandene Daten besser nutzen

Und wie der reagiert, wenn ihm bereits bei seinem ersten Besuch auf der Website ein virtueller Verkäufer begegnet, der ihn mit Namen anspricht und durch das Angebot lotst, bleibt abzuwarten. Noch, meinen Experten, ist die Zeit nicht reif dafür. Das jedoch könnte sich schnell ändern, wenn die mit Lara Croft und Co. aufgewachsenen Generationen das Gros der Gesellschaft stellen.

Unternehmen, die ins Web-Mining einsteigen wollen, empfiehlt Martin: "Bevor man daran denkt, muss man zunächst die Frage stellen: Kennen wir unsere Kunden eigentlich? Wissen wir, wie zufrieden, treu und rentabel sie sind? Der erste Blick sollte also der bestehenden Kundendatenbasis gelten, ob hier die Qualität stimmt." Wenn das der Fall ist, kann man im nächsten Schritt ein Kundenverhaltensmodell erstellen, um zu sehen, welche weiteren Erkenntnisse man noch braucht. Nicht überall sind zusätzliche Daten überhaupt wünschenswert. Der Handel beispielsweise "ertrinkt" nach Einschätzung von Martin bereits in den Daten der Kassenbons.

Überlegtes Vorgehen auf dem Weg zum Web-Mining ist bei der Conrad Electronic GmbH in Hirschau angesagt. Für Roland Kölbl, Leiter Database Marketing, ergibt sich die Notwendigkeit des Web-Mining schon allein aus der steigenden Bedeutung des Internet für das traditionsreiche Unternehmen, das mit dem Versandhandel groß wurde: "Neben dem Katalog- und Filialgeschäft hat sich das Internet-Geschäft als feste Größe etabliert. Da wir einerseits immer mehr Neukunden im Internet gewinnen und andererseits Bestellungen per Internet die geringsten Prozesskosten verursachen, interessiert uns natürlich auch das Verhalten unserer Website-Besucher." Heute schon wisse man genau, wer per Internet kaufe, und beziehe dieses Wissen in die Kundenbewertung ein. Zukünftig werde man jedoch auch analysieren, wie es zur Transaktion kommt. Erste Web-Mining-Tests wurden bereits absolviert - mit positiven Ergebnissen.

Solche konkreten Schritte sind nach Erfahrung von Peter Gloor, Practice Leader E-Business Europe bei Deloitte Consulting, noch Ausnahmen: "Beim Thema Web-Mining ist viel Wunschdenken im Spiel. Jeder will es, aber kaum einer tut es", sagt er. Amazon und einige Online-Reisebüros seien große Ausnahmen. Auf den Portalen großer Banken etwa sei Web-Tracking und -Mining nicht üblich, vor allem wegen der Kosten: "Das ist relativ teuer zu programmieren. So ein Projekt geht immer gleich in die Millionen, wenn es wirklich etwas bringen soll." Damit meint Gloor Lösungen, die dem Besucher einer Site in Echtzeit ein personalisiertes Angebot präsentieren, das nicht nur die aktuellen Bewegungen des Kunden im Web, sondern auch seine im Backend-System hinterlegten Kundenstammdaten, Kaufhistorie und die Kontakthistorie aus dem Call-Center berücksichtigt. Alles andere sind für Gloor "Billigversionen" mit wenig Nutzen. Er rät deshalb: "Kosten und Nutzen vor dem Kauf genau betrachten."

Trends erkennen

Personalisierung ist jedoch keineswegs die einzige sinnvolle Anwendung von Web-Daten. Das betont Christian Rodatus, Vorstand der Augsburger Examind AG, die als Managed-Service-Provider für Business-Intelligence-Lösungen Unternehmen wie Tchibo oder Aral zu ihren Kunden zählt: "Was heute im Bereich Web-Analyse passiert, das basiert zu 95 Prozent auf anonymisierten Daten." Nicht die Konfektionsgröße des einzelnen Besuchers interessiere die Marketing-Verantwortlichen heute, sondern die Beantwortung der Frage, auf welchem Wege wie viel Umsatz mit Pullovern gemacht werde, wie viele Pullover in die Warenkörbe gepackt und wie viele davon dann schließlich auch gekauft und bezahlt würden.

Eine differenzierte Betrachtung der Web-Analyse-Verfahren je nach Verwendungszweck ist also angesagt, findet auch Peter Gentsch. Er ist Director Web Intelligence und Data Mining bei Pepper Technologies und Co-Autor der Barc-Studie "Web-Mining und E-CRM". Gentsch unterscheidet drei Ebenen der Web-Analyse, die er als Web-Mining, Web-Controlling und Web-Tracking bezeichnet.

Integration ist angesagt

Beim eigentlichen Web-Mining (Web Intelligence) geht es darum, Data-Mining-Funktionalität auf Web-Daten anzuwenden. Dazu werden mit speziellen Tools, wie sie beispielsweise SAS oder SPSS bieten, ohne vorgegebene Hypothesen Muster und Zusammenhänge gesucht und Kunden-Cluster gebildet. Gentsch: "Die Analyseseite ist dabei nicht der kritische Punkt." Entscheidend sind vielmehr differenzierte und aussagekräftige Daten über Kundenpräferenzen und -verhaltensweisen. Ein großes Problem des Web-Mining ist allerdings nach wie vor die Generierung valider Kundeninformationen im Web. Wenn der Kunde dabei mitmachen soll, muss er wissen, was er davon hat. Zudem sollten Unternehmen versuchen, Offline- und Online-Daten zu integrieren. Nur so lässt sich eine einheitliche Kommunikation über verschiedene Kanäle mit dem Kunden erreichen.

Die Studie zum Web-Mining hat jedoch laut Gentsch gezeigt, dass die meisten Unternehmen derzeit ihre Web-Analyse auf Basis von Logfiles vornehmen. Dabei stehen Web-Traffic-Analysen im Vordergrund, die sich im Wesentlichen auf Page-Impressions, Visits, Top-Entry-Seiten und Ähnliches konzentrieren. Angesichts der hohen Anforderungen von Web-Mining an technische Infrastruktur und kundenzentrierte Organisation überrascht das wenig: Viele Anwender wollen diesen Aufwand nicht betreiben. Sie bilden die Zielgruppe für Anbieter wie Net Genesis oder Accrue, deren Lösungen im Sinne eines Web-Controllings immerhin CRM-relevante Daten wie Konversionsrate oder Kundenbindung abbilden. Wer in erster Linie wissen will, welche Teile seines Angebots wie stark genutzt werden, kann auch mit reiner Web-Statistik brauchbare Erkenntnisse gewinnen. Hierfür stehen Web-Tracking-Tools wie "Web Success", "Web Trends" oder "Sitestat" zur Verfügung, die Web-Traffic visualisieren und Grundstatistiken liefern.

Stephanie Korte etwa, Marketing-Managerin bei Warner Music Manufacturing, nutzt die Software Sitestat der Nedstat GmbH für ihre Werbeerfolgskontrolle: "Anhand der täglichen Zugriffszahlen auf unsere Homepage kann ich genau erkennen, wie beispielsweise eine Anzeige in einer Fachzeitschrift ankommt."

Web-Analyse-Tools

Tim Danckwerts, Consultant bei der Meta Group, unterscheidet drei Gruppen von Anbietern:

- Traditionelle Web-Analytics-Spezialisten wie Web Trends, Webcriteria, Net Genesis, Sane oder Accrue, deren Tools kurz- und mittelfristig noch aufgrund ihrer Spezialisierung und Funktionsvielfalt eingesetzt werden.

- Business-Intelligence-Anbieter (Hyperion, SAS, Informatica und weitere), die ihre Lösungen um Web-Analyse-Funktionen erweitern und in den kommenden Jahren größere Deals gewinnen werden, da die Web-Analyse nicht mehr gesondert betrachtet werden kann, sondern in Business Intelligence, Data Mining, Data Warehouse und CRM integriert wird.

- Web-Analytics-Service-Provider wie etwa Coremetrics oder Websidestory, die auf Basis monatlicher Service- und Preismodelle arbeiten. Hier sind keine hohen Anfangsinvestitionen nötig. Doch da sensible Kundendaten in fremde Hände gegeben werden, reagieren viele Anwenderunternehmen zurückhaltend.