Der Geist des Bulletin-Boards

01.07.1994

Dieter Eckbauer

Der Geist geht nicht in die Flasche zurueck. Ersetzen wir Geist durch Offenheit im Netz, durch Kommunikation ohne Buerokratie, dann kommen wir einem interessanten Phaenomen auf die Spur: Vor lauter Multimedia-Waeldern sehen die Apostel der "Information Society" die Mailbox-Baeume nicht mehr. Gemeint ist: Wir haben keinen Mangel an Visionen von einer vernetzten Welt und wie sich Arbeit und Organisation in flach strukturierten Unternehmen veraendern werden. Die Multimedia-Marketiers liefern aber weder ein ueberzeugendes Argument, was Information fuer den einzelnen Mitarbeiter wertvoll machen kann, noch vermitteln sie eine klare Vorstellung davon, wie und von wem diese dosiert werden sollte.

Indessen herrscht in den E-Mail-Systemen vieler Unternehmen sowie in den Foren und Bulletin-Boards von Compuserve oder Internet reges Leben. Falsch waere die Annahme, es faende eine von Topmanagern geplante und gesteuerte Entwicklung zu mehr Kommunikation und Wissensaufnahme in "lernenden" Unternehmen statt. Das "Internet"-Working etwa wirkt wie eine Droge - Plaedoyers, damit verantwortungsbewusst umzugehen, bringen wenig, wie man den Gebrauch auch nicht verbieten kann. Immerhin nimmt eine breite Oeffentlichkeit jetzt Notiz davon.

In der amerikanischen Wirtschaftspresse wird Networking bereits als heilsame Schocktherapie fuer verkrustete und ideenarme Unternehmen gepriesen. So geht das Magazin "Fortune" in einer Titelgeschichte der Frage nach, wie Unternehmen in einer vernetzten Welt gefuehrt werden koennen ("Managing in a wired company"). Ergebnis: Die Strukturen aendern sich, Kommunikation in einem Computernetz ist inkompatibel mit einer strengen Hierarchie. Zitat: "Das Netz gewinnt. Es ist schneller und genauer." Dies bringe den groessten Wandel seit den Gruendertagen von General Motors oder Du Pont mit sich, was die Unternehmensorganisation und die Art und Weise betrifft, wie Menschen im Geschaeftsleben miteinander umgehen.

Das Fazit des Fortune-Artikels waere unvollstaendig wiedergegeben, wenn man nicht die Gewissheit ueber die Bedeutung der Informationstechnik erwaehnen wuerde, die darin zum Ausdruck kommt: Das Computernetz, so heisst es sinngemaess, ist nicht alles, aber ohne Computernetz ist alles nichts.

Es waere leichtfertig, dies als eine typisch amerikanische Erscheinung ("E-Mail-Mania") abzutun. Noch kann von einer Networking-Euphorie hierzulande zwar nicht die Rede sein, aber einige Anzeichen deuten darauf hin, dass die europaeischen Unternehmer und Manager diese Entwicklung nicht aussitzen koennen. Um so mehr wird es darauf ankommen, in der Diskussion nicht auf Nebenplaetze auszuweichen, wenn es etwa um die vermeintlich beste Netztechnik geht, sondern die Kernfrage zu stellen: Wer braucht wann welche Information? Man wird sehr schnell sehen, dass die Anbieter darauf keine befriedigenden Antworten haben. Stoppen laesst sich die Wired-World-Bewegung nicht.