Mit Heinz Arzberger, Referent der Zentralabteilung Personal der Siemens AG sprach CW-Redakteurin Hiltrud Puf.

"Der Fehler liegt schon bei der Software-Entwicklung"

26.02.1993

CW: Computer Based Training kurz CBT hat zwar die ersten Kinderkrankheiten schon hinter sich, dennoch gibt es berechtigte Kritik. Welche Ansaetze sehen Sie, dieses Medium sinnvoll zu nutzen?

Arzberger: Bei der konventionellen DV-gestuetzten Schulung findet Arbeit an der Originalsoftware und das Lernen mit CBT zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Situationen statt.

Warum sollte man nicht gleich Verzweigungen von der Originalsoftware in das CBT integrieren und so dem Anwender die Gelegenheit geben, Uebungen genau dann zu machen, wenn er sie braucht?

Wenn man von der Maske aus eine Hilfestufe aufrufen koennte, wo weitere Erklaerungen und moegliche Vorgehensweisen abgebildet sind, wuerde dies den Anwender weiterbringen und den Benutzerservice schonen. Die Lernprogramme liessen sich dann bereits bei der Produktplanung beruecksichtigen.

CW: Diesen integrierten Hilfsprogrammen steht doch kaum etwas entgegen. Der Zusatzaufwand bestuende doch hauptsaechlich darin, herauszufinden, an welchen Programmstellen die Anwender ins Straucheln kommen, um dann dort die Hilfestellungen anzubieten.

Arzberger: Um das herauszufinden, muesste man aber die Anwender interviewen, und das machen die wenigsten CBT-Hersteller.

CW: Es machen sich doch inzwischen sehr viele Gedanken, wie Software ergonomischer zu gestalten ist. Da sollte man erwarten, dass es hier schon Loesungsansaetze gibt.

Arzberger: Die Ergonomen befassen sich aber in erster Linie mit den Oberflaechen und nicht mit der Didaktik der Programme. Der Fehler liegt schon bei der Entwicklung der Software, da die Anwenderschulung erst an letzter Stelle kommt. Zuerst wird ein Produkt entwickelt, dann getestet, danach schreibt der Entwickler seinen Bericht. Erst zum Schluss tritt der Trainer in Aktion. Es waere sinnvoll, nach Beendigung des Pflichtenhefts den Trainer in die Entwicklung einzubeziehen. Die CBT-Projekte muessten gleich in den Entwicklungsplan integriert werden.

CW: Gibt es hier nicht finanzielle Probleme?

Arzberger: Wenn eine Software-Entwicklung beispielsweise 20 Millionen Mark kostet, dann sind die 500 000 Mark fuers CBT kein Thema mehr. Dadurch kann ich ja dem Kunden erheblich mehr bieten.

CW: Das haette doch erhebliche Auswirkungen auf die Industriestruktur, wenn die Entwicklung von Anwendungssoftware und CBTs zusammengefasst wuerden.

Arzberger: Dadurch muesste sich die ganze Schulungslandschaft umstellen.

Aber diese Vorgehensweise haette noch weitere Vorteile. Bis ein CBT-Programm auf den Markt kommt, sind die Inhalte in der Regel mindestens ein halbes Jahr alt. Bis zum naechsten Release hat es sich kaum amortisiert. Wuerde CBT gleichzeitig mit der Anwendungssoftware entwickelt, fiele diese zeitliche Verschiebung weg.

CW: Einerseits klagen die Bildungsverantwortlichen darueber, dass ihr Budget als erstes gekuerzt wird, andererseits sehe ich aber, dass eine Weiterbildungsmesse nach der anderen stattfindet. Wie passt das zusammen?

Arzberger: Es gibt immer noch genuegend, die in den Weiterbildungsbereich einsteigen und sich informieren wollen. Aber jeder, der die Mutimedia-, CBT- oder Bildungsmessen besucht, weiss, dass man dort ueberall dieselben Besucher und Referenten trifft. Es ist wirklich eine Art Veranstaltungsinflation festzustellen, wobei sie sich inhaltlich nicht sehr voneinander unterscheiden.

CW: Das klingt nicht eben begeistert. Was kritisieren Sie?

Arzberger: Beispielsweise ist es absurd, die Vorteile von interaktiven Medien durch Vortraege aufzeigen zu wollen. Sinnvoller waere es, wenn die Anwender die Moeglichkeit haetten, die Produkte selbst auszutesten.

CW: Studien prognostizieren dem Multimedia-Markt immense Zuwachsraten. Wie schaetzen Sie den Markt ein, und wo sehen Sie die Einsatzbereiche?

Arzberger: Es gibt Situationen, in denen es sinnvoll ist, Video in CBT zu integrieren, beispielsweise bei der Schulung von Technikern, die lernen sollen, eine komplexe Anlage zu warten.

CW: Aber trotzdem finden Multimedia-Produkte kaum Abnehmer.

Arzberger: Fuer einen Bildungsbeauftragten ist es oft schon schwierig, CBTs zu finanzieren. Wenn sie jetzt noch Film in Fernsehqualitaet dazuhaben wollen, dann gehen die Investitionen ins uferlose. Ausserdem stellt sich die Frage, wann Video ueberhaupt den erwuenschten Nutzen bringt. Oft stellt sich eine gut gemachte Grafik als weitaus nuetzlicher heraus. Wo es allerdings um Verhaltensaspekte geht, ist Video nicht wegzudenken.

CW: Warum investieren die Firmen soviel in die technische Weiterentwicklung, die, wie Sie sagen, gar nicht notwendig waere, und nicht eher in die didaktische Aufbereitung der Programme?

Arzberger: Oft sind es einfach Prestigegruende, die fuer Multimedia- Programme sprechen.

CW: Die Entwicklung von didaktisch gut aufbereiteten CBTs ist finanziell sehr aufwendig. Daran scheitert so manches Projekt, und es kommt zu den weit verbreiteten Programmen minderer Qualitaet. Wie laesst sich dies verhindern?

Arzberger: Wenn sich jedes Unternehmen auf die gleichen Aufgaben stuerzt und aehnliche Produkte entwickelt, kostet das viel Geld und fuehrt nicht zur gewuenschten Qualitaet. Bei allgemeinen, nicht unternehmensspezifischen Themen koennten sich einige Anwender zusammenschliessen und qualitativ hochwertige CBTs entwickeln. Beispiele waeren Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft fuer Ingenieure. Das neue Motto "Hoehere Qualitaet in kuerzerer Zeit mit weniger Kosten" ist nur zu schaffen, wenn man auf diesen Bereichen kooperiert und damit auch marktpraegend wirkt.