IT-gestütztes Recruiting

Der Einsatz von Big Data kann gegen Diskriminierung im Job helfen

21.02.2017
Von Daniel Stolba
Big Data ist vor allem eine Gefahr – diesen Eindruck bekommt man schnell. Doch ein neues Projekt aus Hamburg zeigt: Massendaten werden uns in Zukunft auch dabei helfen, den Recruitingprozess zu professionalisieren.

Algorithmen könnten Rothaarige aus Bewerbungsprozessen ausschließen. Dieses Beispiel für die Diskriminierungsgefahr im datengestützten, automatisierten Recruiting durfte Sascha Lobo 2016 bei Spiegel Online beschreiben. Theoretisch ist das natürlich durchaus möglich, aber genauso kann ein menschlicher Sachbearbeiter Bewerbungen auf den "Absage"-Stapel schieben, weil ihm das Foto (wahlweise das Geschlecht oder die Herkunft) des Bewerbers nicht zusagt. In diesem Fall wäre die Diskriminierung sogar viel schwerer nachweisbar als in Sascha Lobos Vision, denn von Software getroffene Entscheidungen basieren auf dokumentierten Parametern und Algorithmen, die im Verdachtsfall überprüft werden können, ähnlich wie die Steuerungssoftware eines Diesel-PKW.

Big Data kann den Recruiting-Prozess vereinfachen und Diskriminierung entgegenwirken.
Big Data kann den Recruiting-Prozess vereinfachen und Diskriminierung entgegenwirken.
Foto: Tetiana Yurchenko - Shutterstock.com

Diskriminiert wird überall, wo Menschen entscheiden

Im Gegensatz dazu ist es sehr schwer, einem Entscheider aus Fleisch und Blut eine diskriminierende Motivation nachzuweisen. Und diskriminiert wird bekanntlich überall, wo Menschen entscheiden, gerade weil es oft unbewusst geschieht und niemand frei von Vorurteilen ist. Diese Binsenweisheit wird meist vergessen oder ignoriert, wenn Datenschützer das Schreckgespenst einer digitalen Diskriminierung an die Wand malen. Ob eine Taschenverkäuferin nun Oprah Winfrey aufgrund ihrer Hautfarbe zu den günstigeren Modellen rät oder ein eigentlich solventer, aber salopp gekleideter Interessent im Luxus-Autohaus ignoriert wird, beides wäre in einer Mensch-Maschine-Kommunikation, beispielsweise in einem Onlineshop oder einem Probefahrt-Formular auf einer Webseite, nicht passiert. Sascha Lobo bedient demnach zwar mit seiner dystopischen Vision den Zeitgeist, ignoriert aber, dass Datenverarbeitungssysteme (noch) nur das tun, was wir ihnen sagen: ein Code, der unbestechliche und sachliche Entscheidungen ohne Vorurteile treffen soll, wird genau das zuverlässig tun.

Microskills

In der IT-Branche sind es die Frauen, die im Bewerbungsprozess seit Jahren schlechtere Chancen auf einen Job haben als Männer mit vergleichbarer Qualifikation, was sich durch chronischen Nachwuchsmangel rächt und damit nicht nur den Betroffenen, sondern der ganzen Industrie schadet. Und genau aus dieser Branche kommen nun Ideen, wie die Fähigkeiten von Bewerbern detailliert als sogenannte Microskills erfasst werden können, was einen Vergleich durch unbestechliche und objektive Prozesse ermöglicht.

Eins dieser Projekte ist "CeLS": ein offener Marktplatz für zertifizierte Berufsbilder, der Spezialisten, Recruitern und Arbeitgebern hilft, zueinander zu finden. Zertifikate sind für die IT-Branche ein bewährtes Mittel, um Qualifikationen zu belegen und Berufsbilder zu definieren. Neu ist aber das Modell, keine Schulungen zu verkaufen, sondern sich rein auf die Sammlung von Berufsbildern und die Vergabe von entsprechenden Zertifikaten zu konzentrieren und dabei grundsätzlich für alle Autoren und Schulungsanbieter offen zu bleiben. So haben Fachkräfte die Wahl, sich im Selbststudium oder bei Anbietern ihrer Wahl fortzubilden. Ausserdem besteht die Möglichkeit, bereits vorhandene Fähigkeiten prüfen zu lassen. Dabei ist das Einstiegs-Zertifikat (bei CeLS "Bronze" genannt) kostenlos, für Silber und Gold wird jeweils eine Gebühr fällig. Die Qualität soll dabei durch einen Beirat aus Vertretern namhafter Unternehmen gesichert werden.

Effizienter Recruitingprozess mit CeLS

CeLS könnte den gegenwärtigen Dschungel von unklar definierten IT-Berufsbildern und Zertifikaten unterschiedlichster Herkunft lichten und eine softwaregestützte Erkennung und Vorauswahl von Bewerbern unabhängig von dafür irrelevanten persönlichen Eigenschaften ermöglichen. Natürlich geht es dabei vor allem um einen effizienteren Recruitingprozess, also letztendlich um ökonomische Gründe. Ein weiterer Nebeneffekt ist eben die unbestechliche Gleichbehandlung aller Kandidaten, ungeachtet ihres Geschlechts und ihrer Herkunft.

Zweifler werden jetzt sagen: Das letzte Wort hat ein Mensch aus Fleisch und Blut, und der kann immer noch unfair entscheiden. Das stimmt und wird niemals ganz zu vermeiden sein. Aber die ihm vom System vorgelegten Bewerber erfüllen eben bereits die Mindestanforderungen für die Stelle. Der Entscheider ist sich also bewusst, ausschließlich qualifizierte Kandidaten vor sich zu haben. In der Industrie jedenfalls findet die Idee Anklang: Weltweit operierende IT-Personalvermittler nutzen CeLS bereits für die Bewerberauswahl und die 9000 Mitarbeiter starke Bechtle AG setzt im Recruiting schon heute ganz bewusst CeLS-Zertifikate als Quality Gateway ein.