Zwischen operativen Systemen und qualitativer Informationsnutzung:

Der DV-Koordinator darf kein Vorturner bleiben

19.07.1985

WIESBADEN - Alle Information ist in den Unternehmen bereits vorhanden, meint Jürgen Groß von dem Beratungsunternehmen Arthur D. Little in Wiesbaden. Effektives Informations-Management heißt indes nicht Flucht in eine personelle Zuordnung, sondern Zusammenwirken von Unternehmensressoursen. Um Informationen umfassend nutzen zu können, sind besonders den Entscheidern Instrumente an die Hand zu geben, die Hilfe zur Selbsthilfe sein können. Ein Tip: Die Informationsdatenbank.

Die derzeitige Diskussion scheint da von auszugehen, daß operative Probleme und Integrations- ebenso wie Ressourcenschwierigkeiten beseitigt sind und alle nur den Blick nach vorne richten müßten. In vielen Unternehmen besteht aber eine etwas andere Perspektive. Aufgrund der Frage nach Informations-Manegement und qualitativer Nutzung von Informationen zeigen sich zum Teil erhebliche Schwächen in sämtlichen relevanten Ressourcen: Technologie, Organisation, Personal, Daten, Anwendungs- und HW-Architektur.

Sinnvoll scheint zunächst also einmal, Informations-Management als Sachaufgabe zu betrachten und zu versuchen, es abzugrenzen.

Offensichtlich gibt es für den Einsatz von Informationsverarbeitung eigentlich nur eine einzige Begründung aus der Sicht des Unternehmens: Wettbewerbsvorteile. Diese Nasenlängen vor der Konkurrenz waren bisher stark auf den Aspekt der Kostenreduktion konzentriert und dies hatte auch wesentliche technische Gründe. Mittlerweile wird dieser Anwendungsbereich mehr oder weniger gut beherrscht, so daß sich das Streben nach Wettbewerbsvorteilen in die qualitativ nächsthöhere Stufe verlagert (Abbildung 1). Zunächst einmal gibt es veränderte Benutzer: Die bisherigen Benutzer von Informationsverarbeitungssystemen waren Sachbearbeiter, deren Arbeitsfunktionen beschleunigt abgewickelt wurden. Als "zusätzliche" Nutzung ergaben sich Listen und Auswertungen. Diese Benutzer waren im allgemeinen nicht sehr anspruchsvoll. Sie haben bei funktionalen Spezifikationen und manchmal auch bei der Gestaltung der Benutzeroberfläche mitgewirkt.

Die Anwender von heute haben überwiegend qualitative, nicht formulierbare Aufgaben und werden dadurch charakterisiert, daß sie Informationen nicht bearbeiten, sondern verarbeiten - im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich geistig verarbeiten. Damit hängt das Problem der Spezifikationen zusammen. Im Gegensatz zur klassischen Systemanalyse ist es hier häufig nicht möglich, funktionale Spezifikationen der Abläufe zu erstellen. Der Standpunkt ist in einer Ebene darüber, dort sind funktionale Spezifikationen für Instrumente, Für Werkzeuge zu erstellen. Dieser grundsätzlich andere Problemansatz wird häufig unterschätzt, enthält aber einen wesentlichen Unterschied (Abbildung 2):

Eine zweite Komponente, die relevant ist für die Wettbewerbsvorteile, ist die technologische Entwicklung und die sich daraus ableitenden Möglichkeiten. Die Vielzahl der Einsatzmöglichkeiten von Informationsverarbeitung zwingt dazu, die potentielle strategische Relevanz zu untersuchen und sorgfältig zu beurteilen. Dazu ist es erforderlich, eine Zuordnung von kritischen Erfolgsfaktoren des Unternehmens zu Informationssystemen vorzunehmen, um in der Lage zu sein, eine Abschätzung der Bedeutung der Informationsverarbeitung vorzunehmen.

Die hier angesprochene Beziehung zwischen Wettbewerbsfaktoren und Informationssystemen (Abbildung 3) und die daraus abgeleitete Klassifizierung wirkt sich in vielerlei Hinsicht aus: Sie bestimmt den Rahmen für Planungen der Informationsverarbeitung und sie bestimmt die Gewichtung der Erfolgsfaktoren der Informationsverarbeitung selbst. Die Konsequenzen für die Planung sind in Abbildung 4 dargestellt. Diese übergeordnete Betrachtung verpufft wirkungslos, wenn sie nicht bei der Einsatzplanung von Ressourcen der Informationsverarbeitung berücksichtigt wird. Kernproblem des Informationsmanagements: Die Ressourcen, die zu planen sind, bestehen aus Organisation und Personal sowie Technologien und Architektur.

Ohne in großartige Analysen einzusteigen, läßt sich die Behauptung aufstellen, daß in praktischen allen Unternehmen bei mindestens einer dieser Ressourcen Probleme auftauchen; beim Personal und fast immer auch bei einer weiteren, der Architektur. Um noch einmal eines zu verdeutlichen: Informations-Management ist nicht als personell zugeordnete Verantwortung einer Person zu betrachten, sondern als Ergebnis des Zusammenwirkens der genannten Komponenten.

In deren Spannungsfeld findet Informations-Management statt - oder auch nicht, ziemlich unabhängig von der Frage, mit welchem Schild auf der Stirn jemand durch die Gegend läuft.

Eine besondere Rolle spielt hierbei das Problem der Architektur. Unter Architektur werden die drei Komponenten zusammengefaßt, die aufeinander abgestimmt das Gebäude Informationsverarbeitung darstellen. Sie grenzen Möglichkeit und Fähigkeiten des Informations-Managements ein: die Systemarchitektur, die Anwendungsarchitektur und die Datenarchitektur.

Die drei Komponenten stehen nicht unabhängig voneinander, sondern zwischen ihnen gibt es sehr enge Beziehungen: Entscheidungen im Bereich der Anwendungsarchitektur beeinflussen Systemarchitektur ebenso wie Datenarchitektur. Wenn beispielsweise eine Entscheidung in Richtung Einsatz von Standard-SW-Paketen getroffen wird, ergeben sich daraus systemtechnische Konsequenzen, etwa welcher Transaktionsmonitor gebraucht wird, und es könnte die Situation entstehen, daß mit unterschiedlichen Datenorganisationsformen gearbeitet werden muß.

Einer der grundlegenden Aspekte ist hierbei, daß jede der drei Komponenten unterschiedliche Kräfte beeinflußt: Die Systemarchitektur wird im wesentlichen durch technologische Entwicklungen vorangetrieben; die Anwendungsarchitektur wird von funktionalen Bedürfnissen der Organisation geprägt und die Datenarchitektur wird von qualitativen Benutzerbedürfnissen beeinflußt. Eine Synchronisierung aller drei Einflußgrößen ist praktisch ausgeschlossen, Kompromisse sind immer erforderlich.

Das wäre ja nichts Neues; Kompromisse sind allerorten zu schließen. Allerdings handelt es sich hier um Kompromisse zwischen Vergangenheit und Zukunft, das macht die Sache etwas schwieriger. Praktisch alle Unternehmen haben auf die eine oder andere Art bereits eine Architektur - nämlich die, die über die letzten zehn oder zwanzig Jahre gewachsen ist und auch weitergepflegt werden muß. Dabei sind einige der Aspekte, die heute bedeutsam sind, zu kurz gekommen und es ergibt sich derzeit die immer wieder gestellte Frage: " Wir haben doch alle Informationen, warum können wir sie nicht benutzen?"

Die Antwort lautet fast immer so daß der Fragesteller sie nicht versteht und mißtrauisch wird. Denn die Antwort hat mit Systemstruktur, mit Kompatibilität und mit Datenorganisation zu tun; Themen, die einer Unternehmensführung meistens sehr fremd sind. Wie kann in einer solchen Situation dennoch Informationsmanagement stattfinden?

Der erste Schritt dorthin ist die Analyse der Information, die ein Benutzer wirklich benötigt, in Gestalt eines "Würfels".

Dieser Würfel hat folgende Dimensionen:

Eine der wichtigsten Aussagen in diesem Zusammenhang ist, daß qualitative Informationsverwendung fast nie zeitkritisch ist, also onlineaktuell sein muß, sondern fast immer mit Zeitzyklen zwischen einer Woche und einem Quartal auskommt. Die analytische Fähigkeit an einem Arbeitsplatz und die Beeinflußbarkeit vom Marktgeschehen läßt fast immer die Aussage zu, daß ein Wochenzeitraum für diese Art der Tätigkeit im Gegensatz zu operativen Anwendungen ausreichend ist. Eine Absatzanalyse und die Planung einer Marketingstrategie sind keine Tätigkeiten, die tagesaktuelle Daten verlangen. Die zweite Achse, "Produkt", enthält die Klassifizierung nach Produktgruppen, Typ, Einzelprodukt, Verpackung, was immer relevant sein mag. Die dritte Hauptsache enthält die Informationsart: Marktanteilsinformation, Deckungsbeitrag, Kostenstrukturen, Absatz/Umsatzinformation, in sich gegliedert nach geographischen Aspekten. In einer solchen Systematik läßt sich nun relativ leicht feststellen, was eigentlich relevante Informationen sind und wie die Korrelierbarkeit von Informationsarten beschaffen sein muß.

Vor allen Dingen aber läßt sich an einem solchen Würfel aufzeigen, welche Informationen mit welchem Aufwand im Hause beschaffbar sind - oder auch nicht. Dieser "Würfel" ist als Zielvorstellung zu betrachten. Klar ist, daß keinesfalls Endbenutzer Analysen auf operative Datenbestände fahren sollten, denn die Probleme der Performance ebenso wie der Konsistenz von Daten wären zu hoch. Daraus leitet sich die Notwendigkeit nach einer eigenen Datenbank oder Datenorganisation ab, die im Sinne einer überlagerten Schicht zu betrachten ist, die aus den operativen Systemen gespeist wird.

Das gibt zunächst einen analytischen Ansatz und eine potentielle technische Realisierung, es gibt aber vor allem die Möglichkeit, auf dieser Ebene eine einheitliche Datenstruktur zu schaffen. Sie ist Voraussetzung, um die Benutzerbedürfnisse zu befriedigen, also Instrumente zu suchen und einzusetzen, die Hilfe zur Selbsthilfe sind. Diese Instrumente können von Software auf dem Hostrechner bis zu Mikro oder dedizierten Systemen reichen. Der Freiheitsgrad in der Auswahl erhöht sich.

Jetzt aber taucht die Frage Informations-Management neu auf: Ein Instrument wurde definiert, nämlich eine Informationsdatenbank, und mögliche Werkzeuge, mit denen ein Benutzer arbeiten kann.

Wer ist nun verantwortlich für Pflege und Instandhaltung des Instrumentes und der Werkzeuge, und wie läßt sich sicherstellen, daß nicht eine Würfelruine entsteht, also der erste. "heiße" Bedarf gedeckt wird und anschließend wieder der "Alltag" Einzug hält.

Die hierfür erforderliche Organisation muß den Benutzerbereich verantwortlich einbeziehen. Es muß über einen DV-Koordinator hinaus kompetente Fachleute im Benutzerbereich geben, die sich mit Fragen wie Zugriffsschutz, Werkzeugbenutzung und anderem beschäftigen, weil sonst die Org./DV zu weit aufgebläht wird. Es muß aber auch bei der Org./DV kompetente Ansprechpartner geben, nicht als Einzelpersonen, sondern als organisatorische Funktion, welche den Umsetzprozeß zwischen operativen Systemen und qualitativer Informationsnutzung warhnehmen.

Der dargestellte Ansatz für Informationsmanagement ist vielleicht kein theoretisch geschlossenes Gebilde von strahlender Schönheit, aber er ist pragmatisch und funktioniert. Er führt auch nicht direkt zum Chief Information Officer, aber er eröffnet doch den Weg zu einer Bewertung der Bedeutung der Informationsverarbeitung. Welche Konsequenzen eine Unternehmensleitung daraus ziehen will, ist offen.

Erfahrungen zeigen, daß dieser Weg, der letztlich von einem konzeptionellen Ansatz ausgeht und dann zu realisierbaren Konsequenzen führt, sinnvoll gangbar ist.

* Das Institut für Software Engineering ist ein selbständiges Unternehmen von Boole + Babbage, Kalifornien sowie der European Software Company GmbH. Es ist ein Tochterunternehmen des Institut for Information Management in den Vereinigten Staaten.