Stand und Entwicklungstendenzen der Digital-Übertragungstechnik:

Der Durchbruch ist bisher ausgeblieben

10.10.1980

Im Jahre 1975 wurde mit dem System PCM30E das erste Digital-Übertragungssystem in Einheitstechnik in das Netz der Deutschen Bundespost eingeführt. Ausgehend von diesem System untersuchte man grundsätzlich die wirtschaftlichen, betrieblichen und technischen Vorteile einer Digital-Übertragungstechnik gegenüber der Analogtechnik.

Heute, fünf Jahre danach, sind von den damals erwarteten Entwicklungen folgende eingetroffen:

þIn der Bundesrepublik Deutschland gibt es mit dem Integrierten Fernschreib- und

Datennetz (IDN) ein Digitalnetz, das sich über das ganze Land erstreckt.

þDie Digital-Multiplexhierarchie hat man international bis einschließlich der vierten Hierarchiestufe von 140 Mbit/s festgelegt. Digitalsignal Multiplexgeräte sind im Einsatz; an Multiplexern für höhere Bitfolgefrequenzen wird gearbeitet.

þDie optische Übertragungstechnik mit Glasfasern als Medium wurde erheblich vorangetrieben. Erste Lichtwellenleiter-Übertragungssysteme mit einer Bitfolgefrequenz bis zu 34 Mbit/s sind in Betrieb. Ein Versuchssystem mit 565 Mbit/s wird noch in diesem Jahr erprobt.

þEin Gerät für die Codierung und Decodierung von Tonprogrammsignalen hoher Qualität ist vorhanden.

þModems für die zusätzliche Übertragung von 2-Mbit/s Signalen oberhalb der Basisbandsignale von Richtfunkstrecken sind entwickelt; ihr Einsatz steht unmittelbar bevor. Dies gilt auch für 2-Mbit/s- und 8 Mbit/s-Signale, die anstelle von Analogsignalen übertragen werden.

þDigital-Übertragungssysteme für Koaxialkabel sind in Kürze verfügbar. 34-Mbit/s-Systeme gehen 1980 in Betrieb, und 1979 wurde ein 565-Mbit/s-Versuchssystem erprobt.

þDigital-Richtfunksysteme für 120 und 240 Ferngespräche wurden 1979 fertiggestellt, Systeme für 480 Ferngespräche sind im Entstehen.

Entwicklung abgebrochen

Die Entwicklung des Hohlkabels wurde in der Bundesrepublik Deutschland abgebrochen. Systeme mit 200 000 bis 400 000 Sprechkreisen, wie sie mit einem einzigen Hohlkabel möglich sind, waren bisher nicht erforderlich. In absehbarer Zeit lassen sich

solche Systeme mit Lichtwellenleitern wirtschaftlicher realisieren.

Trotz dieser Fortschritte ist in der Bundesrepublik Deutschland der große Durchbruch der Digital-Übertragungstechnik bisher ausgeblieben. Dafür läßt sich eine Reihe von Gründen anführen (1):

þDie Analogtechnik ist hochentwickelt: Für jede Aufgabe gibt es ein passendes System.

þWirtschaftlichkeitsrechnungen, welche die Übertragungstechnik für sich allein betrachten, führen meist dazu, daß Systeme in bewährter Analogtechnik verwendet werden. Ein Beispiel dafür ist der Wettbewerb zwischen PCM30 und Niederfrequenzkabelanlagen. Je nach Anzahl der erforderlichen Fernsprechkreise ist PCM30 für größere Leitungslängen als etwa fünf bis 15 km wirtschaftlicher als eine neu installierte Kabelanlage (2). Wenn letztlich das "Integrierte Digital-Fernsprechnetz" oder gar das "Digitalnetz mit Dienstintegration" (3) angestrebt wird, sollte man trotz zu nächst nicht optimaler Wirtschaftlichkeit - Digitaltechnik anwenden.

þDigital-Vermittlungen sind im Netz bisher nicht eingesetzt; die Vorteile einer Digital-Übermittlung mit vereinigter Digital-Übertragungs- und -Vermittlungstechnik kamen daher nicht zum Tragen.

þEin Bildfernsprechdienst, der im Fernnetz die Digital-Übertragungstechnik begünstigt - ein Bildfernsprechsignal von 1 MHz Bandbreite beansprucht 300 "analoge", jedoch nur 120 oder gar nur 30 "digitale" Fernsprechkanäle - hat sich bisher nicht durchgesetzt.

Beurteilt man aus heutiger Sicht die Zukunft der Digital-Nachrichtentechnik, so sind folgende Tendenzen erkennbar:

þIn der Vermittlungstechnik werden sich, zunächst im Fernnetz, Digitalvermittlungen immer mehr durchsetzen. Dafür sind Digital-Fernlinien notwendig; für eine kurzfristige Lösung bieten sich Analoglinien mit Transmultiplexern an (4).

þAnwendungsspezifische integrierte Schaltkreise für die Komunikationstechnik, kundenspezifische großintegrierte Schaltkreise, häufig in Form von Matrixbausteinen, und Mikroprozessoren finden immer mehr Eingang in die Geräte.

þDigitalsysteme mittlerer und später auch großer Kapazität werden auf Koaxialkabeln, Lichtwellenleitern und Richtfunkverbindungen zum Einsatz kommen.

þWeder Digital-Übertragungseinrichtungen zwischen Analog-Vermittlungen noch Digital-Vermittlungen in einer Umgebung von Analog-Übertragungstechnik sind für den Start der Digital-Übermittlung günstig. Ziel der Einführungsstrategie einer Digital-Übermittlungstechnik wird es daher sein, ein dem Analognetz überlagertes Digitalnetz zu schaffen (5). Dieses soll mit dem Analognetz möglichst wenig verknüpft sein, um Aufwand für Schnittstellen einzusparen.

Noch länger analog

Insgesamt gesehen wird die Einführung von Digital-Fernsprechvermittlungen und schließlich auch von neuen Diensten die Digital-Übertragungstechnik erheblich vorantreiben. Das Fernsprechnetz wird jedoch für lange Zeit ein Netz mit nebeneinander bestehender Analog- und Digitaltechnik bleiben - dies um so mehr, als das Netz, entsprechend dem wachsenden Bedarf, in nächster Zukunft noch in Analogtechnik weiter ausgebaut werden muß.

Zunehmend attraktiv

Den Teilnehmer berührt die Frage Analog- oder Digitalnetz zunächst wenig; er möchte kostengünstig und bequem telefonieren. Neue Leistungsmerkmale, wie sie programmgesteuerte Vermittlungen und ein Digitalsignalkanal bieten, sowie neue Dienste werden jedoch auch für den Teilnehmer zunehmend attraktiv. Hier liegen Aufgabe und Chance der Digital -Nachrichtentechnik .

*Dr.-lng. Rudolf Herz, Siemens AG, Bereich Weitverkehrssysteme, München.

Literatur:

(1) Bauch, H.; Herz R.: Entwicklungstendenzen der Digital-Übertragungstechnik. Siemens-Z 48 (1974) Beiheft "Nachrichten- Übertragung" S. 262 bis 269

(2) Kunze, H.: Möglichkeiten für den Übergang auf ein digitales Fernsprechnetz NTG-Fachber. 64 (1978) S 29 bis 35

(3) Draeger, R J.; Kersten, R.; Schweizer, L.:Begriffe der Digital-Übertragungstechnik. telcom report 2 (1979) Beiheft ,"Digital-Übertragungtechnik " S 176 bis 191

(4) International Conference on Comunication 1978 Sessions 39, TDM/FM Transmultiplexers, S 39.1 bis 39.5.3.

(5) Simpson, W. G.: Transmission network planing for the digital era. NTG-Fachber. 64 (1978} S 22 bis 28

Der Beitrag ist ungekürzt im telcom report 2 (1979) Beiheft "Digital-Übertragungstechnik", herausgegeben von der Siemens AG, erschinen.