re:publica'09

"Der Datenschutz befindet sich in einer tiefen Krise"

02.04.2009
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Was passiere, wenn das "Internet der Dinge und Dienste" zum Alltag werde und die Möglichkeiten zur Datenspeicherung und damit zum Datenmissbrauch weiter zunähmen, könne er noch nicht abschätzen. "Ich will die technische Entwicklung nicht aufhalten, aber ich verlange, dass wir sie so gestalten, dass auch in Zukunft ein wirksamer Datenschutz gewährleistet ist", warnte Schaar vor zu großer Technikbegeisterung ohne Rücksicht auf Verluste.

Patient Strafrecht

Oberstes Gebot sei die im Gesetz verankerte Umsetzung der Datensparsamkeit bei der Erhebung von Informationen. Nur, was unbedingt notwendig sei, dürfe erhoben und verwertet werden: "Wir brauchen verbindliche gesetzliche Vorgaben - eine offizielle Verpflichtung für diejenigen, die Datenverarbeitungssysteme betreiben." Diese sollten EU- oder besser weltweit einheitlich gestaltet und Verstöße konsequent sanktioniert werden. Besonders das Strafrecht kranke bei Datenschutzvergehen an allen Ecken und Enden - ihm sei aktuell beispielsweise unbegreiflich, dass die Staatsanwaltschaft noch kein Ermittlungsverfahren gegen die Deutsche Bahn wegen des Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis eingeleitet habe.

Die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden agierten oftmals als "zahnlose Tiger", die sich zwar viel wünschen dürften, jedoch selten Gehör finden würden. Eine von Schaars Kernforderungen ist in diesem Kontext die Untersagungsbefugnis für die Bundesdatenschützer. Verstöße gegen das BDSG sollten augenblicklich gestoppt werden dürfen, sobald die Behörde Kenntnis von ihnen erlange - "diese Kompetenz ist bis heute nicht gesetzlich geregelt und auch in der BDSG-Novellierung nicht integriert", stellte der Datenschützer fest.

Politische Sorglosigkeit

Darüber hinaus sei Transparenz für den Bürger bei der Datenerhebung unerlässlich - nur wer wisse, was mit den eigenen Daten geschehe, könne auch selbstständig über ihre Weiterverwendung entscheiden. Je komplexer die technischen Systeme jedoch seien, desto leichter sei diese Transparenz zu umgehen.

Des Weiteren müsse auch die Datensicherheit immer aufs Neue hervorgehoben werden. Schaar zeigte sich wütend über die technische Sorglosigkeit, mit der das Wirtschaftsministerium dieser Tage das Vorhaben der Online-Verarbeitung von Abwrackprämien-Anträgen in Angriff genommen hatte. "Hier wurde nicht das sichere Protokoll HTTPS zur Datenübertragung verwendet, sondern das herkömmliche und unsichere HTTP. Warum?" Ein kompetenterer Umgang politischer Entscheider mit der IT habe schließlich auch einen positiven Nebeneffekt auf die Bürger: "Datensicherheit fördert Vertrauen in die Informationstechnologie und schützt vor dem Missbrauch durch Dritte."

Zuletzt unterstrich Schaar die Bedeutung von IT-Bildung. "Der Computerführerschein allein genügt nicht - wir müssen gerade bei den jungen Menschen das Bewusstsein schaffen, mit ihren Daten so umzugehen, dass sich die Risiken, denen sie sich aussetzen, in Grenzen halten". Bisher sei auf diesem Gebiet jedoch nicht viel geschehen. Dabei würden sich Investitionen im Bildungssektor in einer digitalen Gesellschaft nachhaltig auszahlen.

Schaar beschloss seine Ausführungen mit einem gezielten Appell an die Blogosphäre sowie Politik und Unternehmen: "Wir brauchen eine Ethik der informationellen Selbstbestimmung, eine gemeinsame Grundlage zur Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft. Damit muss man nicht warten - damit kann man schon heute beginnen!"