Imponierende DV-Projekte für die bayerischen Gerichte

Der Computer krempelt die Justiz um

04.04.1976

MÜNCHEN-Rationalisierung der Arbeit bei den Konkursgerichten, automatische Erhöhung der Unterhaltszahlungen für uneheliche Kinder und "Scheidungswaisen", computerisierte Beitreibung von Geldstrafen und ein elektronisches Grundbuch - das sind die wichtigsten EDV-Anwendungen in der bayerischen Justiz. Zwei davon - Unterhalts- und Grundbuchprojekt - sollen bald bundesweite Bedeutung erlangen: Bayern arbeitet daran im Auftrag der Bund/Länder-Kommission für Datenverarbeitung in der Justiz. Staatssekretär Dr. Alfred Seidl stellte die Anwendungen jetzt bei einer Pressekonferenz in München vor und konnte dabei stolz erklären: "Bayern hat unter den Bundesländern auf diesem Gebiet die führende Stellung."

Konkurs per DV

7000 bis 7500 Arbeitsstunden-Gegenwert rund 90 000 Mark - sind von Ende 1973 bis Anfang 1976 bei 149 Konkursverfahren in München durch DV-Einsatz gespart worden: Das Verfahren, das allen bayerischen Gerichten inzwischen zur Verfügung steht, erlaubt die automatische Erstellung der Konkurstabellen, der Mahnschreiben, der Namens- und Schlußverzeichnisse und der Fehlerlisten.

Mehr Geld für die Unehelichen

Rund 880 000 Mark in jedem zweiten Jahr will die bayerische Regierung durch "Automatisierung des Verfahrens zur Festsetzung des Regelunterhalts" sparen. Die sogenannten "Regelbedarfssätze" - das ist der Unterhalt, der für uneheliche Kinder zu zahlen ist - werden im Abstand von zwei Jahren von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung neu festgesetzt. Dann rollt jedesmal eine Lawine von 40 000 bis 50 000 Anträgen - zumeist über die Jugendämter - auf die bayerischen Gerichte zu (und natürlich in ähnlichen Größenordnungen auf alle anderen).

Sie müssen die Anträge prüfen und neue Titel über die erhöhten Alimente ausfertigen. Im Jahresdurchschnitt sind mit diesen Arbeiten - es fallen ja auch noch laufend Neu-Anträge und Änderungen an - 50 bis 60 Bedienstete allein in Bayerns Justiz beschäftigt. Künftig sollen die Antragsformulare automatisch ausgedruckt werden, die der Anspruchsberechtigte nur noch t unterschreiben und zurückschicken j muß. Ebenfalls automatisch wird danach der Schuldner benachrichtigt und der neue Titel ausgedruckt. "Das ist jetzt schon ein ganz schematisiertes Verfahren - es eignet sich besonders gut für die Übernahme auf DV" hieß es bei der Pressekonferenz. Im Herbst 1976 soll es einsatzbereit sein.

Beitreibung von Strafen

Ein Folgeprojekt ist schon in Arbeit: Bayern hat einen Gesetzentwurf | eingebracht, wonach die Unterhaltszahlungen für eheliche Kinder ("Scheidungswaisen") ebenfalls per Verordnung turnusmäßig an die Lebenshaltungskosten angepaßt werden sollen - dann kann man die Beträge ebenfalls automatisch heraufsetzen.

Wer beispielsweise seine Alimente nicht zahlt, bei dem soll die Justiz-DV ab 1977 gleich automatisch die Geldstrafe kassieren: Die "automatisierte Beitreibung von Vermögensstrafen" soll, beginnend am 1. Januar 1977 bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht München I, stufenweise in Bayern eingeführt werden Bei jährlich rund 160 000 Verfahren hofft man - auf das ganze Land berechnet - jährlich 700 000 Mark zu sparen. Kostenrechnungen, Mahnungen, Vollstreckungsformulare, Ratenbewilligungsbeschlüsse und Statistiken sollen vom Computer ausgedruckt werden. Ziele: " Optimale Gesetzesverwirklichung durch konsequente, gleichmäßig schnelle Vollstreckung der Strafen."

Ihren Bescheiden wird die Justizbehörde eine vorgedruckte Zahlkarte beilegen, damit auch das Inkasso mittel Klarschriftbelegleser rationalisiert werden kann.

Kataster wird billiger

Größtes Projekt ist die Automatisierung des Grundbuchwesens und die Integration mit dem ebenfalls zu coumputerisierenden Liegenschaftskataster. Allein in Bayern hatten die für die Grundbücher zuständigen Amtsgerichte in den letzten Jahren jeweils zwischen 2,5 und 3 Millionen Grundbucheintragungen zu erledigen. Bei 11,9 Millionen Flurstücken, 2,3 Millionen "Grundbuchbeständen" und 4 Millionen Grundstückseigentümern sind die erhofften Einsparungen enorm: Auf Kostenbasis I973 errechnete man allein 14 Millionen Mark Personalkosten (der Aufwand für rund 500 Bearnte und Angestellte) als mögliche jährliche Ersparnis bei den bayrischen Justizbehörden - dazu kommen noch die Sachkosten-Einsparungen bei der Justiz und weniger Kosten bei anderen Dienststellen wie den Vermessungsämtern. Eine genaue Kosten-Nutzen- Analyse für das gesamte Bundesgebiet soll Ende 1976 fertig sein.

Grundbuch ab 78/79

Beginnend ab I978/79 soll das EDV-Grundbuch -man rechnet mit einer Dauer von zehn Jahren für die vollständige Übernahme - eingeführt werden. Die gesamten Daten werden dann nur noch auf Platten gespeichert über Bildschirme eingegeben und abgefragt. Dieselbe Datenbank wird von vornherein auch den "verbalen Inhalt" des Liegenschaftskatasters aufnehmen - die Übernahme der technischen Daten aus dem Kataster, samt der Möglichkeit der grafischen Ausgabe übel Plotter, wird als zweite Stufe bereits vorbereitet. Für das EDV-Grundbuch ist Bayern, für das EJRV-Kataster Niedersachsen federführend. Die Lösung soll einheitlich im ganzen Bundesgebiet eingeführt werden - Problem gibt es bisher nur in Nordrhein Westfalen, wo die Kommunen die Kataster führen und sich noch nicht m der integrierten Lösung befreunden konnten. Die Grundstücksdatenbanker lassen sich nämlich rationell nur in regionalen Mehrzweck-Gebietsrechenzentren führen.

Notar mit Terminal

Terminals mit Direktzugriff sollen eines Tages nicht nur in Gerichten und bei Kataster - sowie Vermessungsämtern stehen - jeder Notar wird die Möglichkeit haben, sieh einen Bildschirm in die Kanzlei zu stellen. Darüber hinaus soll die Datenbank auch Flurbereinigungsverfahren erleichtern, Unterlagen für Raum- und Bauplanungen oder Statistik liefern und -die Verhandlungen mit den Finanzbehörden laufen schon - die Steuererhebung vereinfachen.

Auf absehbare Zeit wird die Justiz allerdings noch mit extremen Gegensätzen leben müssen: Während einerseits die Bildschirme fürs EDV-Grundbuch schon erprobt werden, müssen auf den Gerichten mit aller Sorgen die Grundbuchschreibmaschinen gepflegt werden - die Produktion dieser aus den 50er Jahren stammenden Sonderkonstruktionen ist längst eingestellt. Und für die Grund-Aktien gilt immer noch: sie müssen ewiglich auf bewahrt werden - im Original.