Der CIO: Zuerst Leader, dann Technologe

14.05.2001
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Angesichts der wachsenden Abhängigkeit des Geschäfts von der Informationstechnik kommt dem Chief Information Officer (CIO) eine wichtige Aufgabe zu - die aber oft nur unklar definiert ist. Mit der Studie "The CIO Desk Reference" * will das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Meta Group diese Lücke füllen. Demnach muss ein erfolgreicher CIO dreierlei sein: Technologietreiber, Transformations-Agent, vor allem aber Führer im Sinne von Vordenker und Motivator.

Das Geschäft beinahe jedes Unternehmens verändert sich heute schneller als je zuvor. Die Informationstechnik ist einerseits verantwortlich für die Geschwindigkeit, mit der sich die Veränderungen vollziehen; andererseits ermöglicht sie es den Unternehmen, das erforderliche Tempo mitzugehen. Allerdings sind sowohl die Informationstechnik als auch der IT-Leiter alter Prägung mit dieser Aufgabe überfordert. So weit die Einführung der Meta Group in das CIO-Handbuch. Die dort zusammengefassten Thesen und Erläuterungen resultieren größtenteils aus einem dreitägigen Intensiv-Workshop mit der Bezeichnung "CIO Boot Camp", zu dem das Beratungsunternehmen seine Kunden regelmäßig einlädt. Dort wurden unter anderem vier Aufgabenfelder identifiziert, auf denen ein CIO moderner Prägung tätig werden muss. * Die Studie Als Handbuch für den Chief Information Officer (CIO) konzipiert, besteht die Studie "The CIO Desk Reference" des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Meta Group aus 20 Einzeluntersuchungen. Das mehr als 200 Seiten starke Werk fasst also Ergebnisse zu vielen strategischen IT-Themen zusammen: Sie reichen von der Jobbeschreibung des CIO und der Wechselbeziehung zwischen Geschäft und IT über Programm-Management, IT-Infrastruktur, Sourcing, Kundenorientierung und Human-Capital-Management bis zur IT-Situation bei Fusionen und Übernahmen. Interessenten können die Gesamtstudie bei der Münchner Niederlassung der Meta Group anfordern.Sie kostet 10000 Mark.

Die vier Aufgabenfelder eines CIO Zum einen hat der oberste IT-Manager sicherzustellen, dass sich Infrastruktur und Prozessarchitektur leicht an die Veränderungen des Umfelds und damit des Geschäfts anpassen lassen. Das ist keine leichte Aufgabe; die Unternehmensführungen stehen Investitionen in diesen Bereichen erfahrungsgemäß ablehnend gegenüber, weil sich deren Wert nicht unmittelbar erschließt und ein Return on Investment nur schwer zu berechnen ist. Folglich müssen die IT-Verantwortlichen das Management mühsam davon überzeugen, dass eine vernünftige Infrastruktur keineswegs nur einen Kostenfaktor bildet, sondern - als Basis für beliebige neue Anwendungen - sozusagen eine "Umsatzgenerierungsmaschine" darstellt. Die zweite Hauptaufgabe des CIO besteht laut Meta Group darin, dem Unternehmen die Möglichkeiten einer "Wertkettenabstraktion" zu eröffnen. Was die Analysten unter diesem Begriff verstehen, verdeutlichen sie am Beispiel des Online-Buchladens Amazon: Ein solches Unternehmen zieht ein Gutteil seiner Flexibilität daraus, dass es auf einer hohen Abstraktionsstufe aufsetzt, statt sich in den Niederungen schwer veränderbarer Prozesse wie der physischen Produktion zu verlieren. Drittens obliegt es dem CIO, so die Studie weiter, den Wert der Technik im allgemeinen Bewusstsein der Unternehmensangehörigen zu verankern. Notwendige Bedingungen hierfür seien ein entsprechendes Verständnis auf Seiten der Unternehmensführung, eine technikfreundliche Unternehmenskultur und ein Planungsprozess, der die richtigen, also die wettbewerbsentscheidenden Informationen berücksichtigt. Auf einer solchen Grundlage könne der CIO seine IT-Mitarbeiter motivieren, rechtzeitig das Richtige zu tun. Last, but not least muss der oberste IT-Manager die Informationstechnik von einer technischen in eine geschäftlichen Disziplin überführen. Diesen Vorgang macht die Meta Group anhand einer Matrixstruktur anschaulich, die sie "Credibility/Dependency Window" (C/D Window) getauft hat. Werkzeug für die IT-interne Entwicklungsplanung Für die Wahrnehmung der unternehmensinternen Informationstechnik durch das Linien-Management haben die in die Untersuchung einbezogenen IT-Manager zwei Kriterien ausgemacht: zum einen den Grad, bis zu dem sich die Business-Verantwortlichen ihrer Abhängigkeit (englisch: Dependency) von Information und Informationstechnik bewusst sind, zum anderen das Maß an "Glaubwürdigkeit" (Credibility), das sie der IT zubilligen. Unter dem Begriff Credibility versteht die Meta Group die Fähigkeit der IT-Organisation, von den Anwendern gewünschte Funktionen innerhalb des vereinbarten Zeit- und Kostenrahmens zu liefern und die Erwartungen, wann immer möglich, zu übertreffen. Diese beiden Indikatoren bilden die Basis für das C/D-Window-Modell.

  Das C/D-Window:

Drei Viertel aller IT-Organisationen begnügen sich damit, das Unternehmensgeschäft lediglich zu unterstützen. 

Es ähnelt dem "magischen Viereck", das die Gartner Group zur Illustration ihrer Anbieterbewertungen verwendet. In diesem Fall handelt es sich jedoch um ein Werkzeug für die IT-interne Entwicklungsplanung. Nach Ansicht der Analysten soll es die üblichen, angesichts immer kürzerer Geschäftszyklen überholten Fünf- bis 20-Jahres-Planungen ersetzen können. Die beiden Achsen der C/D-Window-Matrix messen zum einen die IT-"Kosten", die mit wachsender Bedeutung der IT als "Investitionen" definiert werden, zum anderen die "Effizienz" (Fähigkeit, die Dinge richtig zu erledigen) beziehungsweise - mit zunehmender Glaubwürdigkeit - die "Effektivität" (Fähigkeit, die richtigen Dinge zu erledigen) der Informationstechnik. Anhand der jeweiligen Wertepaare lässt sich jede Unternehmens-IT einem von vier Quadranten zuordnen. Unten links befinden sich die Organisationen, deren Ziel vor allem darin besteht, die Geschäfte des Unternehmens möglichst kostengünstig zu unterstützen, also mit geringen Mitteln die bestmögliche Qualität zu liefern und so das Vertrauen der Anwender und Manager zu gewinnen. In den betreffenden Unternehmen hat die Informationstechnik eine geringe Wertigkeit, entsprechend wenig wird ihr zugetraut. Dieser Gruppe gehören nach den Erkenntnissen der Meta Group immer noch sieben von zehn IT-Abteilungen in den 2000 weltweit größten Unternehmen an. Die Transformation des Geschäfts In zwei von zehn der "Global 2000" misst sich die Informationstechnik jedoch bereits an höheren Maßstäben: Sie verhält sich wie eine Geschäftseinheit, bietet ihren internen Kunden ein abgestuftes Leistungsportfolio an und nötigt ihnen damit Respekt ab. Allerdings weiß die Klientel dieser - dem rechten unteren Quadranten des C/D Window zugeordneten - IT-Organisationen den Stellenwert der durch die IT erbrachten Dienstleistungen noch nicht richtig einzuordnen. Das ändert sich erst, wenn ein Unternehmen in das obere rechte Viereck aufsteigt, wo es die volle Bedeutung der Informationstechnik für sein Business erkannt hat und bereit ist, eine angemessene Summe darin zu investieren. Der CIO arbeitet hier an der Transformation des Geschäfts durch die Technik. Dementsprechend wird er seinen Aufgabenbereich nicht nur wie ein Business organisieren, sondern tatsächlich als ein Geschäft betreiben. Erst wenn er sich als Business-Verantwortlicher begreift, kann er mit seiner IT-Organisation auch innovative Produkte, Services und Fähigkeiten entwickeln. Die zuletzt beschriebenen Charakteristika treffen laut Meta Group bislang nur auf fünf Prozent der IT-Bereiche zu - darunter jedoch viele der von "Top-CIOs" geführten. Den Meistern ihrer Zunft sei gemeinsam, dass sie das Unternehmen eher führen als nur unterstützen, dass sie ihre Abteilung mit den anderen Geschäftseinheiten in Einklang bringen und dass sie die notwendige Technik bereitstellen, mit deren Hilfe sich das Business verändern lässt. Manager zu sein reicht nicht aus Dass die Grenzen zwischen Geschäft und IT verschwimmen, demonstriert die Studie an einem Beispiel: Zu den heißesten Themen, in die eine IT-Organisation heute involviert sei, gehöre die E-Commerce-Strategie des Unternehmens. Allerdings habe von den Unternehmen, die sich dieses Schlagwort auf die Fahnen schrieben, nicht weniger als jedes zweite überhaupt keinen Plan dafür - in erster Linie deshalb, weil die meisten selbst nicht wüssten, wohin ihr Weg sie führe. Unter diesen Umständen ist es für den CIO schwierig, so wissen die Meta-Group-Analysten, eine E-Commerce-Strategie zu formulieren. Genau das aber erwarteten die Business-Manager zumeist von ihm. Ihrer Ansicht nach sei E-Commerce eine technische Angelegenheit, obwohl es dabei eigentlich um die Entwicklung einer Geschäftsstrategie gehe. Und deshalb komme es immer wieder vor, dass der Plan für diese Business-Strategie tatsächlich vom CIO verfasst werde. Anhand solcher konkrekter Fälle untermauert die Meta-Group-Studie die These: Für einen erfolgreichen CIO reicht es heutzutage nicht mehr, eine effektive IT-Organisation auf die Beine zu stellen. Während er in der Vergangenheit ausschließlich als Manager handeln konnte, müsse er heute Führungsverantwortung übernehmen. Die Frage, was die IT denn eigentlich daran hindere, dem Unternehmensgeschäft ein neues Gesicht zu geben, beantwortete die überwältigende Mehrzahl, genauer: 97 Prozent, der befragten IT-Verantwortlichen mit dem Mangel an Führungskompetenz innerhalb der IT-Organisation. Nicht einmal jeder fünfte gab an, dass das Unternehmen, in dem er beschäftigt ist, die Führungseigenschaften seiner Mitarbeiter aktiv fördere. 45 Prozent beobachten in dieser Beziehung einen gravierenden Mangel bei ihrem jeweiligen Arbeitgeber. Führungskompetenz ist gefragt Führungsqualitäten bei den IT-Verantwortlichen seien wenig gefragt und deshalb auch nicht ausgeprägt, solange das Unternehmen die Informationstechnik nicht als Geschäftsdisziplin begreife, sondern sie als unproduktiven Bereich betrachte und unter ständige argwöhnische Beobachtung stelle. Business-Manager, die keine Vorstellung von der täglichen Arbeit eines CIO haben, werden ihn wohl kaum mit derselben Elle messen wie ihresgleichen. Doch je weiter sich die IT-Organisation dem "Transformations"-Quadranten des C/D Window annähert, desto deutlicher wird sie als "produktiv" wahrgenommen, und desto mehr Bedeutung erhält die Führungskompetenz ihres Leiters.

In den kommenden Jahren wird sich der CIO, so die Meta Group, vor allem mit der Integration von Geschäftsstrategie, operationalem Betrieb und Informationstechnik beschäftigen. Vor diesem Hintergrund werde "Leadership" für ihn zum wichtigsten Thema überhaupt - wichtiger als beispielsweise die Frage, wie die zunehmende technische Komplexität zu handhaben sei. "Wir werden immer mehr CIOs beobachten, die erstens Führer sind, zweitens Technologen und alles andere zuletzt", prognostizieren die Marktbeobachter. Sieben Typische Verhaltensweisen Die neue Rolle des CIO ist für die Meta Group durch sieben typische Verhaltensweisen gekennzeichnet: 1. Der CIO muss sich daran gewöhnen, jeden Sachverhalt so schnell wie möglich zu recherchieren, um Probleme kreativ lösen zu können. Wenn er die dazu notwendigen Prozesse noch nicht entwickelt hat, tut er gut daran, das so bald wie möglich nachzuholen. 2. Er sollte in der Lage sein, die richtigen Fragen zu formulieren, um Fakten oder Stellungnahmen von anderen zu erhalten; dazu gehört allerdings auch, den anderen zuzuhören. 3. Die Prinzipien der Logik, Wissenschaft und Mathematik sollten ihm vertraut sein; er muss logisch argumentieren können, um Systeme und Prozesse verständlich, also letztlich verbesserungsfähig zu machen. 4. Zudem sollte der CIO über die Gabe verfügen, andere zu überzeugen, Marketing zu betreiben und seine Ideen zu "verkaufen". Er muss über wichtige Angelegenheiten referieren können, um seine Zuhörer zu informieren und zu instruieren. 5. Unterschiedliche Ansichten und Interessen hat er gegeneinander abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen. Nur so lassen sich gemeinsame Ziele und angemessene Lösungen finden. 6. Der Wille und die Fähigkeit, Wissen an andere weiterzugeben, sind für seine Position unverzichtbar. Gleichzeitig muss er die Schwächen seiner Mitarbeiter ansprechen und ihnen helfen, sie zu überwinden. 7. Zu guter Letzt sollte der CIO fähig sein, Einzelteile zu einem ordentlichen, funktionierenden und strukturierten Ganzen zusammenzufügen - und dabei möglichweise mit ganz unterschiedlichen Dingen auf einmal zu jonglieren. Statt sich hinter den Informationen zu verstecken, muss er sie unter seine Kontrolle bringen. Die angestrebte Führungsrolle stellt demnach Anforderungen an den CIO, die über die üblichen Qualifikationen eines Chefinformatikers weit hinausgehen: Laut Meta Group muss er eine Vision von einem informationsgetriebenen Business entwerfen, an die er selbst glaubt und deren Verwirklichung er leidenschaftlich vorantreibt. Dafür sollte er auch bereit sein, geschäftliche und persönliche Risiken einzugehen. Wenn nötig, müsse der CIO auch einmal aufstehen und "nein" sagen. Wollten beispielsweise die Geschäftseinheiten ein Service-Level-Agreement modifizieren, so sei der CIO aufgerufen, die damit verbundenen Kosten deutlich zu machen und die Verantwortung an die Verursacher zurückzugeben. Die Zeiten, in denen die IT ungeachtet der um sie herum passierenden Veränderungen irgendwie ihren Job erledigt habe, gehörten der Vergangenheit an. Das Entgegenkommen eines CIO, der seine Führungsrolle richtig ausfüllen wolle, müsse Grenzen haben. Um den Wandel seiner Stellung im Unternehmen zu vollziehen, könnte der Zeitpunkt für den CIO kaum günstiger sein, betonen die Meta-Group-Analysten. In der Vergangenheit hätten sich die IT-Leiter vorrangig um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze gesorgt. Heute hingegen erhielten gute IT-Spezialisten ständig Angebote für neue Jobs, in denen sie Erfolge mit einer Einstellung erzielen könnten, mit der sie in ihrer gegenwärtigen Position vielleicht noch auf Widerstände stießen. CIO-Stellenbeschreibung Nach der Definition der Meta Group ist der CIO dafür verantwortlich, eine Vision zu entwickeln und - darauf aufbauend - die Richtung zu weisen, der ein Unternehmen folgen muss, wenn es seine technischen und geschäftlichen Ziele erreichen will. Vor diesem Hintergrund hat die Rolle, die der oberste IT-Chef innerhalb der Organisation spielt, also die Frage, an wen er berichtet und welche Beziehungen er benötigt, mehr Bedeutung als die verfügbaren IT-Werkzeuge oder -Plattformen. Die Meta-Group-Studie enthält ausführliche "Job Descriptions" für die Position des Chief Information Officer sowie der nachgeordneten IT-Manager - einschließlich der entsprechenden, wenn auch nur für die USA ausgearbeiteten Gehaltsübersichten. Diese Stellenbeschreibungen können als Blaupause für unternehmensspezifische Rollendefinitionen dienen. Demnach besteht die Aufgabe des CIO unter anderem darin, - eine Strategie für das Technik-, Wissens- und Informations-Management des Unternehmens zu entwickeln, - Lösungen für komplexe Geschäftsprobleme zu finden, die Einfallsreichtum und Erneuerungskraft erfordern, - Business- und Technikteams zusammenzustellen und zu betreuen, deren Projekte die angestrebten strategischen Ziele erreichen, - "Best practices" für die gesamte Organisation zu identifizieren, weiterzugeben und unternehmensweit einzuführen, - technische Unternehmensstandards zu definieren, mit denen sich Kompatibilität und Integration gewährleisten lassen, - Werte, Visionen sowie Sinn und Zweck der IT eindeutig zu halten, - die Kommunikation zwischen allen IT-Gruppen und der Kundschaft anzuregen sowie - ein möglichst hohes Maß an Kundenvertrauen zu erzielen und zu pflegen.