Treuepflicht, Fürsorgepflicht und Störung

Der Betriebsfrieden im Arbeitsrecht

03.07.2014
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Unter "Betriebsfrieden" wird die Summe aller jener Faktoren verstanden, die das Zusammenleben und Zusammenwirken der in einem Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ermöglichen, erleichtern oder erträglich machen sollen. Näheres von Werner Bürkle.

Immer wieder wird im Arbeitsrecht auf den Begriff des sogenannten Betriebsfriedens abgestellt. Eine gesetzliche Definition findet sich jedoch nirgendwo explizit. Es handelt sich daher um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff. Da es sich hier um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff handelt, ist zur Fixierung des Begriffes eine Wertung, insbesondere in der Praxis der Arbeitsgerichte notwendig.

Der sogenannte Betriebsfriede herrscht, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Der sogenannte Betriebsfriede herrscht, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com

Soweit hier von "Betrieb" die Rede ist, wird hier der kündigungsschutzrechtliche Betriebsbegriff verwendet, weil der Begriff des Betriebsfriedens meist im Zusammenhang mit verhaltensbedingten Kündigungsgründen eine Rolle spielt.

Gemeinhin wird unter Frieden die Abwesenheit von Krieg verstanden. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wird unter dem sog. "Betriebsfrieden" die Summe aller jener Faktoren verstanden, die unter Einschluss des Betriebsinhabers das Zusammenleben und Zusammenwirken der in einem Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ermöglichen, erleichtern oder auch nur erträglich machen sollen ( so in BAG, Urteil vom 09.12.1982 - 2 AZR 620/80 ). Im Bereich des Vertrauens und der gegenseitigen persönlichen Achtung der Vertragspartner im Betrieb kommen Verletzungen der Treuepflicht durch den Arbeitnehmer oder der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers eine maßgebliche Rolle zu; so zum Beispiel bei Unterschlagungen, Betrug, Tätlichkeiten, Drohungen oder groben Beleidigungen, die sich gegen den Vertragspartner richten.

Störungen im Unternehmensbereich

Unter Störungen im Unternehmensbereich versteht man dagegen Einwirkungen auf den Betriebsablauf, die durch außerbetriebliche Umstände wie zum Beispiel schlechte Witterung, Zerstörung betrieblicher Einrichtungen, Naturkatastrophen oder Brand eintreten. Diese Störungen im Unternehmensbereich haben angesichts der herrschenden Betriebsrisikolehre kaum eine praktische Bedeutung. Der Arbeitgeber darf nämlich das von ihm zu tragende Betriebsrisiko nicht durch außerordentliche Kündigungen auf den Arbeitnehmer abwälzen ( so schon BAG Urt. v. 28.09.1972 - 2 AZR 506/71 ).

Im Betriebsverfassungsgesetz 2001 ist in § 99 Absatz 2 Nummer 6 und § 104 Satz 1 BetrVG von einer Störung des Betriebsfriedens durch gesetzwidriges Verhalten, durch grobe Verletzung der in § 75 Absatz 1 [BetrVG] enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische und fremdenfeindliche Betätigung die Rede. Andere Störungen des Betriebsfriedens geraten dabei leicht in den Hintergrund. Insbesondere kann der Betriebsfrieden auch durch Schaffung eines von Anfeindungen und Verdächtigungen gekennzeichneten Betriebsklimas sogenanntes Mobbing oder auch Bossing gestört werden. Dies wird leider in der Praxis durch die Gerichte viel zu selten festgestellt, weil insoweit erhebliche Darlegungs- und Beweisprobleme der Betroffenen bestehen.

Die persönlichen Umstände beim gekündigten Arbeitnehmer gehören dagegen nicht zum Kündigungsgrund "Störung des Betriebsfriedens", sondern sind im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung für die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu beachten.

Einsichtsfähigkeit und Einfühlungsvermögen

Da es sich in allen diesen Fällen - fast ausnahmslos (von einigen psychopathologischen Fällen abgesehen) - um steuerbares Verhalten handelt, ist in allen diesen Fällen eine Abmahnung durch den oder die Vorgesetzten zur Rettung des Betriebsfriedens oder auch nur des Betriebsklimas geeignet und erforderlich. Dies erfordert von den Vorgesetzten in der Praxis jedoch mindestens eine gewisse Einsichtsfähigkeit beziehungsweise Einfühlungsvermögen, Sensibilisierung gegenüber den Belangen der Arbeitnehmer sowie in hohem Maße eine unbedingte Vorbildfunktion.

Weitere Informationen: Werner Bürkle, Rechtsanwalt und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V., www.mittelstands-anwaelte.de
Kontakt: Bahnhofstr. 8, 71364 Winnenden, Tel.: 07195 177043, E-Mail: info@kanzlei-buerkle.de, Internet: www.rechtsanwalt-buerkle-winnenden.de