Der betörende Glanz der Dummheit

12.08.1988

Paul Caspers Geschäftsführer der Samna GmbH München zuvor 3? Jahre Leiter des

Benutzerservice-Zentrums eines großen deutschen Chemiekonzerns

Daß eine DV-Schule wegen des bloßen Angebots eines OS/2-Kurses ins Kreuzfeuer der COMPUTERWOCHE gerät (CW vom 22. Juli 1988: "DV-Schule erklärt OS/2 zum Berufsstandard"), ist mir schleierhaft. Der CW-Rundumschlag macht indes klar: Die Bedürfnisse der Anwender, was eine klare PC-Installationspolitik betrifft, kennt heute noch keiner genau.

Was ist eigentlich geschehen in der PC-Welt? Jahrelang haben IBM-hörige DV-Manager in deutschen Großunternehmen auf Basis eines verinnerlichten Paradigmas der totalen Vernetzung und Integration in einer fernen Zukunft und aus irrationaler Angst vor künftigen Inkompatibilitäten beharrlich auf den "Industriestandard" des "Marktführers" gepocht.

Hunderte und tausende der schon immer etwas langsameren, dafür aber wesentlich teureren Kisten des Herstellers mit den drei Buchstaben wurden im Zuge von nur noch als "Zwangsmaßnahmen" zu betitelnden Aktionen beschafft, nachdem eigens dafür ins Leben gerufene "Standardisierungsgremien wider den Wildwuchs" nach endlosen Diskussionen die vorab festgelegte Strategie schriftlich fixiert und abgesegnet hatten.

Vielfach geschah dies gegen den massiven Widerstand der solchermaßen vergewaltigten Endbenutzer und Benutzerservice-Mitarbeiter. Renommierten Kompatiblenherstellern mit leistungsstärkeren und billigeren PCs gab man ebensowenig eine Chance wie etwa den aufgrund ihrer Bedienerfreundlichkeit häufig von der Fachabteilung favorisierten Apple-Maschinen (die findet man übrigens deshalb so selten in Schulungskatalogen, weil hier kaum eine eigene Schulung notwendig ist!).

Die DV-Prominenz gab Millionenbeträge zuviel aus für das eintönige Grau des Marktführers im Hinblick auf die proklamierte Vision der allumfassenden Einheitlichkeit.

Das eherne Fernziel war die totale Kommunikation im Jahre 2000. Ein typischer "Prisoner's-Dilemma-Effekt": Wenn man das tut, was alle anderen tun, kann man nie spektakuläre Fehlentscheidungen treffen, der hochbezahlte Arbeitsplatz ist einem in jedem Falle sicher. Daß man dabei nur gerade so schlecht ist wie alle anderen, stört einen dabei wenig. Man befindet sich ja in guter Gesellschaft.

Wenn man aber als einziger das Bessere tut, setzt sich dieses eventuell doch nicht durch, und man befindet sich automatisch auf der Verliererstraße. Also erst einmal überlegen, was wohl alle anderen machen werden!

Für die ungeliebten "DV-Machenschaften" aufgeschlossener Fachabteilungen erfand man zu jener Zeit sogar ein besonderes, mehr oder weniger diffamierendes Vokabular: Von "Wildwuchsverursachern" war die Rede, und mit "Enduser" betitelte man in vornehmer Distanz Leute, die für die Arbeit mit dem Computer nicht die für notwendig empfundene Qualifikation eines anerkannten Computerstudiums vorzuweisen hatten. Dabei waren damals die milde belächelten PC-Anwender mit ihren "Spielzeugen" den DV-Zentralisten und ihren eingefahrenen Denkschablonen in puncto PC-Einsatzmöglichkeiten bisweilen um Jahre voraus.

Die Fachabteilungen waren und sind der Schrittmacher für die gesamte sogenannte "Individuelle DV" und damit auch für den Einsatz von PCs. Und damit rühren sie natürlich auch gewaltig am althergebrachten "Besitzstand" der DV-Cliquen in ihren Elfenbeintürmen. Aber gerade in der Endbenutzerdatenverarbeitung

verbirgt sich ein wesentlicher Teil der Schlagkraft einer modernen Unternehmens-DV.

Der Marktführer selbst hat mit seinem "großen Knall" vom

2. April 1987 einen dicken Strich durch die Rechnung der Informations-Manager gemacht. Mit nie dagewesenem Engagement und Aufwand wurde die PS/2-Serie und damit zugleich das Out der alten Maschinen angekündigt. Im selben Atemzug versprach man mit SAA eine einheitliche Architektur (Durchgängigkeit aller Anwendungen vom PS/2 bis zur größten 30xx-Mainframe) für alle IBM-Maschinen (im Jahre 2000; Anm. des Verfassers). Die Zeitungen hatten über Monate hinweg ihr gefundenes Fressen.

Obwohl - zumindest nach den strengen Maßstäben der Standardisierungsgremien in den DV-Abteilungen deutscher Großunternehmen - absolut inkompatibel, wurde PS/2 sofort mit Wohlwollen von den am 2. April 1987 gut bewirteten DV-Leitern aufgenommen.

Ein auch nur annähernd so "inkompatibler Kompatibler" hätte niemals auch nur den Hauch einer Chance besessen.

"Noch nie habe man die IBM so (!) aggressiv gesehen" (da muß man doch Angst haben, wenn man da auch nur einen Nicht-PS/2-Rechner einkauft!).

Daß OS/2 (die Begriffe BS/2 und PS/2 haben sowieso nur zu einer nachhaltigen Begriffsverwirrung in den Köpfen der oberen Hierarchien geführt) noch gar nicht verfügbar war, viel Speicher und damit Geld schlucken würde, Multitasking-Anforderungen seitens der von der Benutzerfreundlichkeit des Singletasking-Systems MS-DOS schon nicht verwöhnten Endbenutzer noch gar nicht definiert waren, OS/2-Software (bis heute) nicht verfügbar sein würde, all das störte die DV-Leitung nicht.

Zweifel kamen noch nicht einmal auf, als man etwas verspätet bemerkte, daß einige PS/2-Varianten selbst nicht ins OS/2-SAA-Konzept integrierbar beziehungsweise die restlichen Modelle nicht lieferbar sind. Obwohl ansonsten auffällig konservativ - 100prozentig kompatible Produkte wurden bisher jahrelang auf Herz und Nieren getestet und dann mit regelmäßiger Sicherheit abgelehnt - gelang nunmehr in den deutschen Großunternehmen mit enormer unternehmerischer Zielstrebigkeit ein Bravourstück: PS/2 war innerhalb weniger Wochen landauf, landab der allseits proklamierte Standard.

Die Aufschreie vieler - hier ausnahmsweise einmal etwas zurückhalten - der Benutzerserviceleute - überhörte man geflissentlich.

Diese hatten vielmehr jetzt dem geplagten Anwender mit Engelszungen zu erklären, warum es fortan vier verschiedene Diskettenformate in einer Abteilung gäbe, die alten Zusatzkarten und Bildschirme nicht mehr verwendbar wären, und in einem Zimmer drei verschiedene Tastaturen stehen müßten. Und das alles bei Benutzung der vorhandenen, immer noch gleichen Beschränkungen unterliegenden MS-DOS-Anwendungssoftware. Wahrlich eine hochgradig brisante Gratwanderung, selbst für diplomatisch hochtalentierte Benutzerservicemanager! Waren sie es doch, die im Auftrag höchster Instanz jahrelang als Verfechter der vielgepriesenen Vorteile der Einheitlichkeit einzutreten hatten.

Fazit also, und das kann man allenthalben feststellen: Dem PC-Markt haftet inzwischen etwas von der dümmlichen Eigendynamik des Showbusiness an.

Schon lange nicht mehr setzen sich allein die besten Produkte durch, oder Lösungen wie sie die vielen Endanwender in den Großunternehmen wirklich brauchen.

Ein Heer von selbsternannten Experten, Beratern, Marktkennern und Zeitungsschreibern fungiert als Trendsetter, riesige PR-Kampagnen vernebeln dem verwirrten Endkunden die Sinne, und die primär auf Arbeitsplatzsicherung fixierten DV-Bosse sind von diesem vermeintlichen Glanze geblendet und huldigen in ihrem Mangel an Detailkenntnis den absurdesten Prognosen. Hauptsache es findet sich irgendwo eine ausreichend prominente Lobby.

Wenn man von dieser ganzen Borniertheit absieht, was ist denn nun wirklich passiert im PC-Markt (und das war bereits am 2. April 1987 absehbar)? Microsoft kündigte ein neues Multitasking-Betriebssystem namens OS/2 an. Dieses Betriebssystem sprengt die alten MS-DOS-Grenzen und ist auf allen 80286/386-Maschinen implementierbar. Die IBM nennt das gleiche Betriebssystem in Europa BS/2. Zugleich kündigt sie eine inkompatible Personalcomputerserie PS/2 mit neuartiger Mikrokanalarchitektur an. Die Chancen dafür, daß sich OS/2 durchsetzen wird, standen damals wie heute sehr gut.

Bis allerdings ein komplexes Betriebssystem wie OS/2 mit all seinen Zusatzkomponenten (Presentationmanager, DB-Manager...) verfügbar ist, bis die "Protected-Mode "-Applikationen, die die Vorzüge des Systems erst zur Geltung bringen, entwickelt sind, und bis es sich für den Anwender rentiert, deswegen einen PC mit 4 bis 8 MB RAM auszustatten und mit OS/2 zu fahren (kostet ja nicht unerheblich Cash), gehen notgedrungenermaßen einige Jahre ins Land.

Zusätzlich wird ja auch das alte MS-DOS in Zukunft seine (weit verbesserten) Dienste leisten und für viele Anwendungstypen durchaus adäquat sein. Die Chancen für OS/2 stehen trotzdem gut, weil Softwarehäuser und Kunden ein gewisses Vertrauen in die Potenz des Herstellers haben und OS/2 auf allen 80x86-Maschinen zum Einsatz gelangen kann. OS/2 eröffnet damit einer Flut neuer und wahrscheinlich atemberaubender Anwendungen die Tür und wird in absehbarer Zeit wohl einen wahren Innovationsschub im Softwarebereich auslösen. Etwas unsicherer steht's da wohl eher um die Zukunft von PS/2 (das ja heute durchweg mit dem guten alten MS-DOS betrieben wird). In den USA werden alte PCs, vermutlich im Hinblick auf Absatzprobleme beim Kauf eines PS/2, von der IBM in Zahlung genommen. Nur der Markt in Europa scheint gut zu florieren (hier gibt's ja auch eine besondere Spezies von DV-Managern,

vergleiche oben).

Vielleicht baut IBM auch in zwei Jahren eine MS/3-Serie (Manager System 3) mit 1?-Zoll-Diskettenformat, die sich durch ein Maximum an Inkompatibilität auszeichnet, aber diesmal speziell und exklusiv für den deutschen Markt produziert wird?

Trauriges Ergebnis: Im PC-Markt werden Produkte mit inhaltsleerem PR-Aufwand und durch die Aktivitäten eines Heeres von "Meinungsmachern" hochgepuscht. DV-Verantwortliche betrachten weniger die konkreten Anforderungen ans Produkt und dessen Leistungen, sondern geben sich Spekulationen über das zu erwartende Verhalten der Mehrheit hin. Dadurch kommt's zu einem "Lemminge-Effekt": Je größer Glanz und Glimmer eines Produkts, um so eher eine Entscheidung für das Produkt - egal, was es kann oder nicht kann! Natürlich gut getarnt hinter einer undurchdringlichen Mauer von anspruchsvollen (Schein-)Argumenten. Eine erstaunliche Parallele zu den Gesetzen des Kunst- und Musikmarktes. Wer's nicht glaubt, dem sei Esther Vilars neues Buch zur Lektüre anempfohlen.