Unternehmen haben Wert der Handbücher noch nicht erkannt

Der Anwender braucht ein effizientes Nachschlagewerk

21.02.1992

Gut gegliederte Nachschlagewerke erfüllen den Anspruch der Benutzer nach schnellem und unkomplizierten Auffinden von Informationen weit- aus besser als Einführungshandbücher.

Dieses ist das Ergebnis einer Untersuchung an der Fachhochschule Nordostniedersachsen in Lüneburg.

Im heutigen Informationszeitalter und der damit verbundenen Reizüberflutung stellen Verbraucher zunehmend höhere Anforderungen an Benutzerhandbücher. Festzustellen ist eine erhöhte Leseunlust der Benutzer von Softwareprodukten. Die Forderung nach qualitativ hochwertigen Benutzerhandbüchern hat an Aktualität nicht verloren.

Im Gegenteil, die ständig steigende Anzahl von herstellerunabhängigen Benutzerhandbüchern in den Fachabteilungen der Buchhandlungen beweist, daß die Benutzer mehr denn je dazu bereit sind, für gute Handbücher zusätzliches Geld zu investieren. Es stellt sich indes die Frage, ob diese Bücher wirklich besser sind.

Für die Softwarehersteller sollte es längst kein Geheimnis mehr sein, daß sich ein qualitativ hochwertiges Benutzerhandbuch als wirksames Marketing-Instrument einsetzen läßt. Dennoch zeigte das mangelnde Interesse der Hersteller, die Untersuchung hierzu zu unterstützen, den immer noch niedrigen Stellenwert, den einige Unternehmen diesem Thema zukommen lassen.

Der Test wurde mit dem integrierten Softwarepaket Open Access II von der Firma SPI durchgeführt. Das herstellerabhängige kombinierte Einführungs- und Nachschlagewerk der Firma SPI wurde mit drei herstellerunabhängigen Benutzerhandbüchern verglichen.

Von diesen Handbüchern waren zwei ebenfalls kombinierte Einführungs- und Nachschlagewerke, das dritte eine reine Einführung in das Softwareprodukt Open Access II. Bei der Auswahl der Handbücher war die Verkaufshäufigkeit ausschlaggebend.

Ausgewählt wurden:

1. Manfred Kratzl, Open Acess II, Markt + Technik (1987).

2. Johannes Baumann, Stefanie Patzer und Jürgen Schweigert, Integriertes Paket Open Access, Rowohlt (1988).

3. Karlheinz Korbmacher, Open Access II für Anwender, Hofacker (1987).

4. Software Products International, Open Access II, München (1986).

Testaufgaben nicht selbständig gelöst

Leitlinie der Untersuchung war die DIN-Norm 66230 und die Güte- und Prüfbestimmungen für Software der Gütegemeinschaft Software e. V., die ihren Niederschlag in der DIN-Norm 66 285 finden. Daraus resultierten folgende Fragestellungen:

- Ist die angebotene Information fehlerfrei und vollständig?

- Findet der Benutzer die notwendigen Informationen in einem angemessenen Zeitraum?

- Ist die Dokumentation ansprechend gestaltet?

- Wie verständlich ist der Text?

Um die Fragen eins bis drei zu beantworten wurde jedes Handbuch von acht unterschiedlichen Testpersonen bearbeitet.

Alle 32 Testpersonen hatten dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Sie bestand aus drei Teilen:

- Bewältigung einer, praktischen Aufgabe mit der Software Open Access II: Die praktische Aufgabe simulierte eine Arbeit, die täglich in einem Büro anfallen könnte.

Die Funktionsweise des Programms wurde dem Arbeitnehmer aus Zeitmangel nur sehr dürftig erklärt. Als Hilfestellung zur Lösung seiner Aufgabe wurde ihm ein Handbuch zur Verfügung gestellt. Wenn der Arbeitnehmer die Aufgabe nach Ablauf einer Stunde nicht lösen konnte, wurde ihm von seinem Kollegen eine Hilfestellung gewährt.

- Ausfüllen eines Fragebogens zur Beurteilung des Handbuches: Die Testpersonen sollten die Gestaltung des Handbuches beurteilen.

- Behaltenstest: Einzelne Teile der praktischen Aufgabe wurden noch einmal theoretisch abgefragt.

Die Testpersonen hatten einen unterschiedlichen Bildungsstand, dadurch wurde gewährleistet daß alle potientiellen Benutzerhandbuch-Gruppen beziehungsweise Benutzerhandbuch-Käufer abgedeckt wurden.

Keine der Testpersonen hatte vor diesem Test schon einmal mit der Software gearbeitet. Der Testablauf wurde anhand eines Beobachtungsbogens protokolliert.

Die Verständlichkeit des Textes wurde mit Hilfe von zwei unterschiedlichen Analyseverfahren überprüft. Die Testergebnisse und die daraus resultierenden Antworten auf die oben vorgestellten Fragestellungen ergaben für drei Handbücher ein recht einheitliches Bild.

Wenn von den Testteilnehmern die Informationen, welche sie zur Lösung einer bestimmten Aufgabe benötigten, in dem Handbuch gefunden wurde, waren sie auch in der Lage, die Aufgabe zu lösen.

Das Auffinden der Informationen bereitete den Testteilnehmern die größte Schwierigkeit. Kaum eine der Testpersonen, unabhängig davon, mit welchem Handbuch sie gearbeitet haben, konnte die Testaufgabe selbständig lösen.

Die ermittelte Fehleranzahl der Testpersonen resultierte nicht aus Fehlern der Autoren, sie ist vielmehr auf die allgemeine Leseunlust der Benutzer zurückzuführen. Die Menge an Informationen, die erst gelesen werden muß, oder das ständige Herumblättern im Handbuch aufgrund vieler Querverweise, bevor ein einfacher Befehl gefunden und verarbeitet werden kann, veranlaßte die meisten Testpersonen zunächst dazu, ganz auf das Handbuch zu verzichten.

Durch das Probieren ohne Handbuch ergaben sich die meisten Fehler. Auf die daraufhin erscheinenden Fehlermeldungen des Programms wurde in den Handbüchern eine Antwort gesucht, aber nicht gefunden, denn die Fehlermeldungen, wie nach DIN-Norm 66 230 gefordert, sind in den Handbüchern nicht erklärt.

Die Testpersonen, welche die praktische Aufgabe mit dem herstellerabhängigen SPI-Handbuch bearbeiteten, benötigten die längste Zeit, die Testfragen zu beantworten.

Dieses liegt an der Aufmachung der gefundenen Informationen. Während die herstellerunabhängigen Benutzerhandbücher die sehr gewöhnungsbedürfige und deswegen häufig kritisierte Benutzerführung der Software Open Access ll auffangen, trägt das SPI-Handbuch eher noch zu Verwirrung bei, als das es hilft.

Gestaltung der Handbücher läßt zu wünschen übrig

Die Ergebnisse der Behaltensprüfung zeigten, daß die meisten Testteilnehmer sich lediglich Bruchstücke der Lösung merken konnten. Dennoch konnte festgestellt werden, daß hier große Unterschiede bestehen (siehe Abbildung).

Das reine Einführungshandbuch von Baumann mußte bei diesen Teilen des Testes unberücksichtigt bleiben, da sich herausstellte, daß wichtige Informationen zur Bearbeitung der praktischen Aufgabe fehlten, obwohl die Testaufgaben so konzipiert waren, daß nur grundlegende Funktionen des Programms abgefragt wurden.

Das Ergebnis der Untersuchung hat ergeben, daß die Gestaltung bei allen vier Handbüchern noch verbessert werden könnte. Dabei sollte im Vordergrund stehen, den Benutzern zeitraubendes Lesen von Informationen, die ihn nicht interessieren, zu ersparen.

Ein Vorschlag ist zum Beispiel das Einführen von Symbolen, die helfen, besonders wichtige Punkte schnell zu finden. Insbesondere sollte auch mehr Gewicht auf eine vernünftige und zielgruppenorientierte Gliederung gelegt werden. Denn diese erleichtert das Auffinden von Informationen.

Umständliche Suche für das Glossar

Wichtige Qualitätsmerkmale, wie Glossare, Zusammenfassungen, Abkürzungsverzeichnisse und Hinweise auf weiterführende Literatur, sind auch in den herstellerunabhängigen Handbüchern nicht zu finden.

Das SPI-Handbuch besitzt zwar gute Ansätze, diese sind aber schlecht realisiert worden. Das Glossar ist erst nach umständlichen Suchaktionen zu finden. Zusammenfassungen sind manchmal, aber nicht immer vorhanden.

Die Analysen in bezug auf die Verständlichkeit der Texte fielen sehr positiv aus. Die Sätze sind kurz gefaßt worden. Durch die Untersuchung der Abstraktheit beziehungsweise Konkretheit der Texte wurde die Aussage der leichten Verständlichkeit der Texte unterstrichen.

Technische Autoren sollten bei dem Verfassen eines Benutzerhandbuches zusätzlich bedenken, daß der interessierte Anwender das Lesen von Benutzerhandbüchern als lästige Begleiterscheinung betrachtet. Dem schnellen Auffinden der gesuchten Information muß deshalb eine ebenso große Bedeutung zugemessen werden wie der Verständlichkeit des Textes.

Ableitend aus den Untersuchungsergebnissen kann bestätigt werden, daß Software ein hohes Maß an Selbstbeschreibungsfähigkeit besitzen muß. Das Benutzerhandbuch sollte in weiten Teilen online über die Benutzerstation präsentiert werden. Aufgrund des Platzmangels wird für umfangreiche Erläuterungen das Benutzerhandbuch als Nachschlagewerk zu Rate gezogen.

Einführungs- beziehungsweise Lerndisketten ermöglichen einen spielerischen Einstieg in die Software und vermeiden das Lesen von Benutzerhandbüchern. Reine Einführungshandbücher sind aufgrund der Leseunlust der Benutzer ziemlich überflüssig. Die Testergebnisse der zwei als Einführungs- und Nachschlagewerke kombinierten herstellerunabhängigen Handbücher belegen, daß die Informationen zwar eher umgesetzt werden konnten, das Auffinden der Informationen jedoch bei allen Handbüchern ein Problem darstellte.

Insgesamt sind die getesteten herstellerunabhängigen Handbücher nicht unbedingt als besser zu bezeichnen.

Dipl.-Wirtschaftsinform. Dagmar Jentz ist bei der Wohn-Data GmbH in Hamburg für die Erstellung von Handbüchern zuständig. Professor Heinz-Dieter Knöll lehrt am Fachbereich Wirtschaft der FH Nordostniedersachsen das Fach Wirtschaftsinformatik.