Trotz vieler Probleme hat SET beste Chancen

Den Zahlungssystemen fehlt noch die Initialzündung

26.02.1999
CW-Bericht, Frank Niemann Web-Shops schießen wie Pilze aus dem Boden, doch die Internet-Zahlungssysteme verharren hierzulande in einem Dämmerschlaf. Vor allem die Banken müßten aktiver auf Web-Käufer zugehen und ihnen Systeme wie Secure Electronic Transactions (SET), Cybercash oder Ecash näherbringen.

Ohne Kreditkarte läuft international gesehen nichts im Internet. Deshalb haben auch hierzulande Online-Händler starkes Interesse, ihren Kunden eine sichere Methode anzubieten, um Kartentransaktionen über ungesicherte Netze wie das Internet abzuwickeln.

Eigentlich hätte deshalb der internationale Standard Secure Electronic Transactions (SET) schon längst zu einem Siegeszug im Online-Handel ansetzen können, doch nach wie vor steckt Sand im Getriebe. "SET kommt in zwei bis drei Monaten - und das schon seit zwei Jahren", beklagen Experten. Wie zäh SET vom Fleck kommt, beweist die Installation bei der SGZ-Bank in Frankfurt am Main. Die Verantwortlichen benötigten im Rahmen eines Pilotprojekts etwa fünf Monate, bis der zum Verarbeiten von SET-Transaktionen erforderlichen Payment-Server in den Web-Shop eines Firmenkunden eingebunden war. Auch nach den Erfahrungen des Otto-Versands ist die Integration des Zahlungssystems in bestehende IT-Lösungen aufwendig, noch dazu, wenn, wie bei Otto, Mainframes im Spiel sind.

Mittlerweile hat sich zumindest für den Online-Händler in Sachen SET einiges verbessert. So schafft es die auf E-Commerce spezialisierte Karlsruher Firma Asknet laut eigenen Angaben, die Zahlungsfunktion innerhalb von ein bis drei Tagen in einen Online-Shop einzubinden. Dabei, so Asknet-Geschäftsführer Dietmar Waudig, komme es allerdings darauf an, ob der Kunde einen selbstgestrickten Internet-Laden betreibt oder sich für eine Standardlösung von Intershop oder IBM entschieden hat. Der Shop von der Stange bereitet im allgemeinen weniger Probleme. Zudem werden die genannten Hersteller demnächst Payment-Server mit ihren Produkten ausliefern. Asknet stattete bisher fünf Internet-Händler mit SET aus. "Bis Ende 1999 werden 100 bis 150 Web-Shops SET anbieten", gibt sich Waudig optimistisch. Dabei müssen sich die Firmen den Payment-Server nicht ins Haus stellen, sondern können ihn bei einem Dienstleister mieten.

Doch die Händleranbindung ist nicht der einzige Hemmschuh. Wichtig für die Verbreitung von Zahlungssystemen ist das Engagement der Banken. Damit Surfer per SET bezahlen können, benötigt deren PC eine "Wallet" (elektronische Geldbörse), wobei diese Bezeichnung irreführend ist, da in Wirklichkeit kein Geld, sondern lediglich Kreditkartendaten in diesem Programm gespeichert werden. Zur Zeit jedoch steckt die Online-Branche in Deutschland in einem Henne-Ei-Dilemma. Die Kreditinstitute wollen offenbar nur dann weiter in SET investieren, wenn genügend Web-Shop-Betreiber danach verlangen. Die Internet-Händler wiederum springen nur auf ein Bezahlverfahren an, wenn genügend Online-Käufer mit Wallets ausgestattet sind.

Es wäre aber die Aufgabe der Finanzwelt, das surfende Volk mit Bezahlsoftware zu versorgen. Doch die agiert bisher eher verhalten- zum Nachteil der Internet-Wirtschaft. Dabei hätten die Bankenbei ihren Kunden einen Vertrauensvorschuß und könnten die Online-Anwender von der Zuverlässigkeit der Zahlungssysteme überzeugen. Daß die Kreditinstitute in der Lage sind, computergestützte Endkundensysteme flächendeckend einzuführen, haben sie bereits beim Home-Banking bewiesen.

Nicht alle Banken verschlafen den Trend. Seit Oktober 1998 vertreiben die an die SGZ-Bank angegliederten Kreditinstitute SET-Wallets an ihre Kunden.

Bis dato tun sich viele PC-Anwender jedoch schwer mit dem Einrichten des das 4 bis 6 MB umfassenden Programms. Beim SET-Pilotprojekt der SGZ-Bank waren die Hälfte der 1000 "Versuchskaninchen" nicht in der Lage, das Client-Programm aufzuspielen und einzurichten. Zudem leidet die Software nach wie vor an Kinderkrankheiten. "Die Wallets laufen immer noch nicht stabil genug", beschwert sich Markus Huber, Abteilungsleiter Electronic Commerce bei der SGZ-Bank.

Doch die Web-Surfer müssen offenbar erst noch von den Vorzügen der Wallet-basierten Bezahlsysteme überzeugt werden. Wie sehr sich Anwender dagegen sträuben, bekamen die Betreiber des Web-Servers von SOS Kinderdorf zu spüren. Die Site nimmt Spenden über das Internet entgegen, wobei der hilfsbereite Surfer entweder mit SSL per Kreditkarte bezahlen kann oder das Geld über Cybercash-Lastschriftverfahren abbuchen läßt. 95 Prozent bevorzugten die Secure-Sockets-Layer- (SSL-)Variante des Dienstleisters Telecash,für die der User keine Wallet benötigt. Nur fünf Prozent nutzten Cybercash, bei dem zuvor eine elektronische Geldbörse installiertwerden muß.

Hinter Cybercash, dem Bezahlsystem des gleichnamigen Anbieters, stehen neun deutsche Banken, darunter die Dresdner Bank,Commerzbank sowie die HypoVereinsbank. Cybercash basiert wie SET und Ecash auf einer Wallet. Im Gegensatz zu den anderen Verfahrenläßt es dem Käufer die Wahl, ob er Rechnungen mit dem digitalen Äquivalent einer Währung (Cybercoins), per Lastschrift oder per Kreditkarte begleichen möchte. Die Händleranbindung des Cybercash-Systems gestaltet sich dabei oft genauso zäh wie bei SET. Nach den Erfahrungen von Mario Zenker, Produkt-Manager beim Cybercash-Systemhaus Virbus AG aus Leipzig, dauert die Einführung bis zu zwei Monaten, obwohl der Hersteller hierfür lediglich zehn Tage veranschlagt.

Eher zu den Exoten unter den Zahlungssystemen zählen Verfahren wie beispielsweise Ecash. Die Deutsche Bank experimentiert als einziges hiesiges Kreditinstitut schon seit Herbst 1997 mit dieser Methode. Dabei begleicht der Web-User Beträge mit elektronischen Münzen, die er zuvor mit realem Geld erworben hat. Inwieweit sich die Technik überhaupt durchsetzen kann, hängt an einem seidenen Faden, denn der Hersteller Digicash hat in den USA gemäß Chapter 11 Gläubigerschutz beantragt.

Auch die bereits in vielen "normalen" Geschäften in Deutschland akzeptierte Geldkarte eignet sich für das Internet. Ebenfalls nur hierzulande vertreten ist das Home Banking Computer Interface (HBCI), das einzige System, mit dem Kunden Überweisungen ausstellen können. Doch das reichhaltige Angebot kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zahlungssysteme noch in den Kinderschuhen stecken. Bei Cybercash etwa kann mit nur 23 aktiven Händlern in Deutschland nicht von einem Massenmarkt die Rede sein.Die Geldkarte läßt sich bisher noch nicht im Web nutzen, da der Zentrale Kreditausschuß (ZKA) die entsprechenden Kartenleser noch nicht zertifiziert hat und die anfängliche HBCI-Euphorie verflogen ist.

Angesichts der breiten Akzeptanz der Kreditkarte müßte SET eigentlich zum Standard für die Bezahlung im Internet avancieren. Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis SET sich durchsetzt?Schwer zu sagen, denn trotz Standardisierung durch die Setco http://www.setco.org ist SET nicht gleich SET. Die Hersteller haben teilweise nicht miteinander kompatible Produkte entwickelt. Wenn aber diese Hürde einmal genommen ist, dürfte die Bezahlmethode langfristig dominieren, da sie Rückendeckung nichtnur von namhaften Herstellern, sondern auch von vielen europäischen Kreditinstituten erhält.

Technik

Zur Abwicklung von SET-Transaktionen benötigt der Surfer eine SET-Wallet, die er auf seinem PC installieren muß. Zudem braucht er ein Zertifikat sowie eine für SET zugelassene Kreditkarte. Beim Verkäufer muß ein Payment-Server eingerichtet sein. Dritter im Bunde ist das Clearinghouse, zum Beispiel eine Bank oder eine Kreditkartengesellschaft, die ein Payment-Gateway betreibt. Europaweit existieren zur Zeit 41 solche Gateways, weltweit sindes 56, wobei nur vier davon in den USA stehen.

Eine Wallet benötigen auch Cybercash-Anwender. Das Online-Geschäftwird mit dem Cash-Register ausgestattet. Hierzulande bieten neun Lizenzbanken die Bezahlfunktion an. Das Clearing übernimmt in Deutschland die Cybercash GmbH. Darüber hinaus erfüllen die Niederlassungen in Japan, Großbritannien, Kanada sowie in den USA diese Aufgabe.

Eine Sonderstellung nimmt das Ecash-Verfahren von Digicash ein.Hier benötigen Kunde und Händler eine elektronische Geldbörse, in der die Ecash-Münzen gespeichert sind. Der Shop-Betreiber benötigt ein Konto bei der Deutschen Bank, dem alleinigen Anbieter dieses Verfahrens in Deutschland.

Deutsche mögen Rechnungen

Weltweit gesehen kaufen Online-Einkäufer am liebsten mit der Kreditkarte ein, wobei die Transaktionen entweder gar nicht oder oft nur mit 40 Bit per Sockets Layer (SSL) verschlüsselt werden. Ausnahmen sind beispielsweise Lösungen wie die von Brokat Systeme, bei denen ein Java-Applet für eine mit 128 Bit codierten Datenverkehr sorgt. Doch viele Anwender haben zu Recht Bauchschmerzen, ihre Kreditkartennummer einzutippen, da sich nicht feststellen läßt, ob ein vertrauenswürdiger Händler oder ein Kreditkartenbetrüger am anderen Ende sitzt. Ein Großteil der Web-Shops in Deutschland schicken nicht zuletzt deshalb ihren Kunden noch Rechnungen oder lassen sie per Nachnahme berappen. Bei Online-Geschäften zwischen Firmen greifen die beteiligten Unternehmen häufig auf das elektronische Lastschriftverfahren zurück.

SET liegt vorn

Angesichts der potentiellen Anwender hat SET die besten Voraussetzungen, zumindest in Europa das führende Internet-Zahlungssystem zu werden. Nach Angaben von Europay International, Dienstleister für Zahlungssysteme mit Sitz in Belgien, nutzen zurZeit etwa 205 Millionen Europäer eine Kreditkarte. Sie lösen damit jährlich sieben Milliarden Transaktionen aus und setzen insgesamt rund 1,27 Billionen Mark (650 Milliarden Euro) um. Dementsprechend optimistisch blickte Sören Sasse, Manager für Chip-Services bei Europay International S.A., während des Cash-World-Kongresses, veranstaltet vom Institute for International Research in Frankfurt am Main, in die Zukunft. Laut Sasse gibt es derzeit 41 Finanzdienstleister in 16 europäischen Ländern, die ein SET-Payment-Gateway installiert haben und bei 194 Händlern sind SET-Kreditkarten willkommen. Bis Ende dieses Jahres, so hofft Europay, sollen allein in Deutschland 100000 Karteninhaber bei 500 Online-Shops mit SET-fähigen Karten einkaufen können.

Zudem wird ein Großteil der Online-Käufer wohl eher geneigt sein, mit ihrer Kreditkarte zu zahlen, als mit elektronischen Münzen, wie bei Ecash. Cybercash bietet zwar drei Bezahlverfahren, doch angesichts der im Vergleich viel größeren SET-Lobby dürfte auch diese Variante eher ein Nischendasein führen. Der Hersteller hat zwar versprochen, auch SET ins Produktportfolio aufzunehmen, doch bisher ist noch nichts konkretes geschehen.

Stärkster Konkurrent für die Kreditkarte ist die ebenfalls weitverbreitete Geldkarte, doch dies nur theoretisch, da der Segen des Zentralen Kreditausschusses noch aussteht. Wann dies geschehen wird, läßt sich nicht voraussagen. SET ist jedoch nicht der Weisheit letzter Schluß: Experten fordern bereits, die Geldkarte ebenfalls in das Transaktionsverfahren zu integrieren.