Netzwerk-Topologie: Stern, Masche, Ring:

Den Verbindungsarten sind keine Grenzen gesetzt

22.02.1980

Bei den Anwendern ist deutlich ein Interesse an einer vergleichenden Betrachtung der Vernetzungskonzepte (siehe Kasten) und dem Normungsvorschlag für Open Systems Architecture (OSA) der International Standardization Organisation (ISO) zu erkennen. Dieser Sachverhalt zeigte sich auch beim letzten Gl-Workshop im Dezember 1979 in Berlin, bei der ein Anwender eine Gegenüberstellung von ISO, SNA, PIX und Transdata vornahm (Übersicht A). Im ISO-Normungsvorschlag wird gegenwärtig eine Unterteilung des Referenz-Modells in sieben Ebenen vorgeschlagen, wobei die höherwertigen Ebenen noch Gegenstand ein-gehender Diskussionen sind.

In dem folgenden Klassifikationsschema (Übersicht B) ist die Anzahl der Ebenen nicht berücksichtigt, da die Aufteilung in eine bestimmte Anzahl von Schichten nicht automatisch deren Realisierung entspricht. Denn die Implementierung von Funktionen zweier Ebenen (n+1) kann durchaus in einem Programmodul erfolgen, wobei nur die funktionelle Transparenz der verschiedenen Beschreibungsebenen (n) und (n+1) gegeben sein muß.

Von besonderer Bedeutung für ein Schichtenmodell ist die Notwendigkeit der minimalen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Schichten und die minimalen Voraussetzungen über die Zuordnung von Funktionen auf physische Systemkomponenten.

Allgemeines Klassifikationsschema für verteilte Systeme

Die gegenwärtigen Innovationen in der Datenverarbeitung zeigen ihre Auswirkungen deutlich auf dem Gebiet der Datenkommunikation. Die Anwender sehen sich meist mit einer Vielzahl von technologischen Einzelheiten konfrontiert, deren Zuordnung und Bewertung nicht einfach ist. Wir haben deshalb ein allgemeines Klassifikationsschema für verteilte Systeme erstellt, das dem Anwender die Möglichkeit gibt, sowohl realisierte Rechnernetze als auch Vernetzungskonzepte einander zuzuordnen und vergleichend zu bewerten.

Graphentheoretische Zuordnung

Mit der Graphentheorie lassen sich verteilte Systeme als eine zusammenhängende Menge endlicher Graphen darstellen. Die Knoten (KN) entsprechen den Verarbeitungs-, Verteilungs- oder Entscheidungsfunktionen, während die Kanten (KA) den Kommunikations- oder Transportfunktionen (KF) entsprechen. Die Bewertung der Kanten entspricht den Kapazitäten oder Belastungen. In Abbildung 1 ist der allgemeine Graph eines verteilten Systems dargestellt.

Die Verarbeitungs- und Kommunikationsfunktionen (VF beziehungsweise KF) können in verteilten Systemen logisch oder physisch sowohl in einer Systemkomponente vorhanden als auch auf mehrere Komponenten aufgeteilt sein. Sind Verarbeitungs- und Kommunikationsfunktionen in einer Komponente zusammengefaßt, bezeichnen wir dies als

"one-level network". Ein "two-level network" hingegen besteht aus einem Netzkern, der die Transportfunktionen ausführt, und einer Netzaußenwelt", die sämtliche Verarbeitungsfunktionen (einschließlich der Ein/Ausgaben) wahrnimmt. In Abbildung 2 ist das one-level und in Abbildung 3 das two-level network dargestellt.

Netztopologien

Von besonderer Bedeutung für die Anwendungen ist eine Zuordnung von Rechnernetzen aufgrund der Netztopologie Die Anordnung der Systemkomponenten hat einen großen Einfluß auf eine Netzkonzeption, die Auswirkungen bis zur Benutzer-schnittstelle zeigen kann, zumindest unter dem Aspekt einer Rechnernetzverwaltung gesehen. Natürlich werden an einer Anwenderprogrammschnittstelle nur Datenstrukturen mit den darauf arbeitenden Operationen übergeben, und damit ist dem Anwender das "eigentliche", geographisch verteilte System unsichtbar. Dennoch wird ein Anwender mit Eigenschaften der Topologie konfrontiert, wie zum Beispiel im Falle eines sternförmigen Verbunds, wo bei Ausfall der sternförmig ausgeführten Kommunikationsfunktion praktisch ein Netzbetrieb nicht mehr möglich ist.

Kommunizieren die sternförmig angeordneten Systemkomponenten mit einem im Mittelpunkt angeordneten autonomen Rechner als Verarbeitungssystem, im folgenden Hostrechner (HR) genannt, so bezeichnen wir dies als sternförmige Topologie, die in Abbildung 4 dargestellt ist.

Bei einem verteilten System mit sternförmiger Topologie obliegt dem zentral angeordneten Hostrechner die Überwachung des gesamten Rechnernetzes. Dies bedeutet, daß Benutzer ausschließlich mit Erlaubnis des Hostsystems und unter Inanspruchnahme des Systems selbst miteinander kommunizieren können. Diese Netzvariante erlaubt ein einfaches Kontrollieren des Netzes und ist im Mittelwert auch sehr geschwindigkeitseffizient bezüglich des Nachrichtentransportes. Allerdings führt ein Ausfall des zentral angeordneten Hostrechners praktisch zum Ausfall des Gesamtsystems. Die Anschlußmöglichkeiten an das im Kommunikationsmittelpunkt angeordnete Hostsystem sind begrenzt, was zweifellos eine Einschränkung der Systemerweiterbarkeit bedeutet.

Kommunizieren die Systemkomponenten in einer hierarchischen Anordnung, so bezeichnen wir dies als hierarchische Topologie. Die Aufteilung in hierarchische Ebenen betreffen sowohl Kommunikationsfunktionen als auch Verarbeitungsfunktionen Zum Beispiel werden auf der obersten Ebene (N) der Hierarchie mit Kontrollfunktionen der Einsatz aller Systemkomponenten geplant. Auf der darunterliegenden Ebene (N-1) erfolgt mit der Zustandsermittlung und Koordination einzelner Systemkomponenten die eigentliche Überwachung des Netzes. Mit den darunterliegenden Ebenen N-2, ---, N-M) kann dann von Systemkomponenten mit geringerem Leistungsumfang das Eintreffen von Ereignissen aufgezeichnet und unmittelbar an die nächsthöhere Ebene weitergeleitet werden. Diese Topologie eignet sich damit zur Steuerung und Überwachung von "Realtime"- und "Process Control"-Anwendungen. Die hierarchische Netztopologie ist in Abbildung 5 dargestellt.

Entspricht die Anordnung von Kommunikationsfunktionen einem Ring, so bezeichnen wir die Systemstruktur als ringförmige Topologie. Systemkomponenten kommunizieren nicht "direkt" miteinander, was auch für die Kommunikation mit einem lokalen Hostsystem gilt. Diese Topologieart findet besonders dann Anwendung, wenn die Entfernungen zwischen einem Hostsystem (meist in einer hervorgehobenen Master-Funktion) und den örtlich abgesetzten Systemkomponenten nicht zu groß sind.

Die Informationen zirkulieren in einem Ring, wobei die jeweils spezifische Systemkomponente die Information aufgrund eines übereinstimmenden Vergleichs der symbolischen Zieladresse aufnimmt. Die ringförmige Kommunikation läßt sich durch sehr schnelle Kanäle zeitoptimal auslegen. Die ringförmige Topologie ist in Abbildung 6 dargestellt.

Sind die Kommunikationsfunktionen der Systemkomponenten zu einem beliebigen Netz verbunden, so bezeichnen wir diese Variante als vermaschte Netztopologie. Entsprechend der Vermaschungsqualität unterscheiden wir zwischen einer teilweisen oder vollständig vermaschten Netztopologie, wobei der Grad der Vermaschung der Redundanz des Netzes entspricht.

Ein verteiltes System mit vermaschter Netztopologie bietet im Fehlerfall eine signifikant größere Sicherheit (reliability) gegen einen Ausfall des Gesamtsystems. Mit der vorhandenen Redundanz an Kommunikations- und Verarbeitungsfunktionen bedeutet der Ausfall von einzelnen Systemkomponenten im allgemeinen nicht den Ausfall des gesamten Systems. Damit sind die Systemkomponenten nicht nur logisch sondern auch physisch mit mindestens einer Nachbarkomponente verbunden. Dieser hohen Betriebssicherheit des Gesamtsystems steht der entsprechende Aufwand für eine maximale Vernetzung der Systemkomponenten gegenüber. Andererseits erhöhen die zusätzlichen Übertragswege den gesamten Durchsatz des Rechnernetzes.

Die vermaschte Netztopologie genügt einer der wesentlichen Forderungen für allgemeine verteilte Systeme, nämlich der dynamischen Erweiterbarkeit des Systems. So lassen sich als Untermengen lokale Subsysteme bilden, die lokale Überwachungs-, Verarbeitungs- und Kommunikationsfunktionen auch relativ selbständig ausführen können. Diese lokalen Funktionen sind integraler Bestandteil der globalen Überwachungs-, Verarbeitungs- und Kommunikationsfunktionen. Für einen Anwender bedeutet dies, daß er zum Beispiel mit örtlich abgesetzten intelligenten Subsystemen über lokale Kommunikationsfunktionen das Datenbanksystem seines Hostrechners ansprechen oder einen netzweiten Zugriff auf beliebig vorhandene Datenbanksysteme vornehmen kann. Abbildung 7 zeigt eine vermaschte Netztopologie.

Verbundqualität

Bei der Klassifikation nach einer Verbundqualität von Systemen, lassen sich Last-, Funktions- und Ressourceverbund unterscheiden. Bei einem Lastverbund möchte man unterschiedliche Spitzenbelastungszeiten geographisch entfernter Systeme kompensieren. Voraussetzung für diese Verbundqualität ist also das Vorhandensein einer hinreichend großen Zeitdifferenz im Arbeitsablauf zwischen den am Ausgleich beteiligten Systemkomponenten.

Während ein Lastverbund möglichst für vereinigungsverträgliche Systemkomponenten konzipiert ist, impliziert ein Funktionsverbund grundsätzlich heterogene Systemkomponenten. Während die Zuordnung von Anwenderprozessen und Verarbeitungsfunktion beim Lastverbund von der jeweiligen Systemauslastung abhängig ist, wird beim Funktionsverbund die Zuordnung von Anwenderprozessen zur Verarbeitungskomponente ausschließlich funktionsspezifisch vorgenommen. Bei einem Funktionsverbund lassen sich komplexe organisatorische Aufgaben in Funktionsklassen zerlegen, die dann autonom von den funktionsspezifischen Komponenten eines verteilten Systems bearbeitet werden.

Sind Systemkomponenten zum Zwecke einer gemeinsamen Betriebs-mittelbenutzung verbunden, so bezeichnen wir diese Verbundqualität als Ressourceverbund. Betriebsmittel (resources) sind zum Beispiel spezielle Plotter oder andere externe Geräte-einheiten sowie spezielle Compiler oder andere Programme.

Für zukunftsorientierte Anwendungen ist der Einsatz verteilter Systeme mit einem Informationsverbund besonders interessant, bei dem Benutzer netzweit den Zugriff auf Datenbanksysteme (Data Base Systems), Frage-Antwort-Systeme (Question Answering Systems), Dokument-Retrieval-Systeme (Document Retrieval Systems), Management-Informations-Systeme (Management Informations Systems) sowie Methoden- und Modellbanksysteme (Methods- und Model Base Systems) haben.

Vereinigungsverträglichkeit

Verteilte Systeme lassen sich auch aufgrund der Vereinigungsverträglichkeit ihrer Systemkomponenten klassifizieren Ist die Menge der vernetzten Systemkomponenten vereinigungsverträglich, was einer völligen Kompatibilität aller Komponenten entspricht, so bezeichnen wir dies als homogenes verteiltes System. Homogene Rechnernetze lassen sich zwar zunächst mit einem geringeren Aufwand implementieren, sind für den Anwender aber insofern problematisch, als ein ursprünglich homogenes Netz im Laufe der Zeit durch Modifikationen an Hardware- und Softwarekomponenten heterogen werden kann.

Allgemein verteilte Systeme bestehen aus vermaschten heterogenen Systemkomponenten, die physisch nicht vereinigungsverträglich sind. Systeme dieses Typs bezeichnen wir als heterogene verteilte Systeme. Funktionsorientierte Anwendungen und die Möglichkeit eines Konzeptes für offene Systeme, bei der ein Anwender nach seinen Vorstellungen die für ihn optimale Systemkomponenten in ein verteiltes System einbringen kann, implizieren heterogene Rechnernetze Die Heterogenität bezieht sich hierbei auf die Interaktionen aller Hardware- und Softwarekomponenten des Netzes.

Dr. Johann K. Wild ist Leiter des Bereichs "Advanced Systems" bei der NCR GmbH, Augsburg, und Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Berlin

Quelle: Vortragsdokumentation zum 3. Fachkongreß für Daten- und Textkommunikation "Online 80" in Düsseldorf (4. bis 6. Februar 1980)