Wirtschaftliche und politische Kräfte konzentrieren sich auf ein "Silicon Valley North":

Den kanadischen Markt müssen die Kanadier noch erobern

03.06.1983

MÜNCHEN (CW) - Auch für die kanadiche DV-Industrie haben sich

1982 viele Erwartungen nicht erfüllt. Die Branche verzeichnete teilweise

Umsatzrückgänge bis zu 30 Prozent, was an der Substanz der Unternehmen zehrte, und auch eine Konsolidierung des Exportgeschäftes führte überwiegend auf dem Sektor der freien Händler zu wirtschaftlichen

Schwierigkeiten. Die in Nordamerika häufig mit Risikokapital durchgeführten Entwicklungen und Innovationen nahmen 1982 deutlich ab oder wurden bei kleineren Firmen auf das Notwendige beschränkt. Noch zu Beginn des Jahres 1982 rechnete man in Kreisen der Industrie mit einem kontinuierlichen Wachstum der DV-Branche. Die zur Jahresmitte kritisch werdende Situation wurde durch viele Firmen des sogenannten "High Technology"-Sektors mit einer Expansion des Eigenkapitals überbrückt. Damit wurde im wesentlichen die Möglichkeit geschaffen, am erwarteten Aufschwung im laufenden Jahr 1983 teilzuhaben und die Durststrecke zu überwinden. Nach Auffassung von E. Welling, zuständig für die Elektronikindustrie bei der Manufacturer's Association of Canada agiert man zur Zeit in Industriekreisen weiterhin noch vorsichtig. Viele der Verantwortlichen hoffen, sich auf eine "konzertierte" Aktion einigen zu können.

Die Industrielobby spricht von einem langen Winter, der hinter der kanadischen DV-Industrie liegt. Die vorhandenen positiven Indikatoren so Welling weiter, werden nur dann zu einem neuen

DV-Frühling führen wenn sich Industrie und Regierung bei einem anstehenden Meeting des Conference Boards (unter Leitung des Ministers für Forschung und Technologie, Donald Johnston) auf eine "konzertierte" Aktion verständigen können. Die DV- und Elektronikindustrie fordert in ihrem Maßnahmenkatalog auch Steuererleichterungen für die industrielle Forschung und Entwicklung.

Regieruns unterstützt industrienahe Forschung

Die Landesregierung von Ontario hat bereits vor geraumer Zeit industrienahe Forschungszentren geplant und eingerichtet. Von den derzeit sechs vorgesehenen Einrichtungen sind bislang drei realisiert worden:

Im Oktober 1982 entstand ein Zentrum für die Entwicklung und Anwendung der "Silicon-Chip-Technology" in Ottawa. Im Februar 1983 folgten das CAD/CAM-Zentrum in Cambridge und das Robot-Zentrum in Peterborough.

Außer der Unterstützung von Forschung und Entwicklung will man mit diesen Einrichtungen Schwierigkeiten im Strukturwandel der Industrie abhelfen und langfristig das Problem der Arbeitslosigkeit bekämpfen. Vor allem die Mikroelektronik soll dazu beitragen, die kanadische Industrie unabhängiger von fremden Entwicklungen zu machen.

Diese Strategie wird jedoch nicht nur positiv gesehen. So erschien die kanadische Tageszeitung "Globe and Mail" im Januar 1983 mit dem Titel "The Chip Killing Jobs and Creating Peasants".

Zukunftsorientierte Innovationen, die mit Hilfe der Forschungszentren ermöglicht werden sollen, sind natürlich notwendig. Die hierfür bereitgestellten Mittel belaufen sich auf 120 Millionen Kanadische Dollar (240 Millionen Mark). Als Hardware des Zentrums in Ottawa wurde bereits eine DEC-VAX 11/780 installiert. Die

"aids design"-Softwareprogramme schließen die Produkte Tegas, Texsin, Spice und Mosaid ein.

Für die Mikro-Chip-Entwicklung besteht die Prognose, daß Neuentwicklungen, die bislang rund ein Jahr gedauert haben und eine Investition von bis zu zwei Millionen Dollar oder mehr bedeuten, in Zukunft wesentlich weniger kosten werden. Bis zu hundert verschiedene Chip-Typen sollen das Ergebnis sein.

Den so dokumentierten politischen "good will" nimmt die Industrie mit großem Interesse auf und trägt bereits dazu bei, das angestrebte "Silicon Valley North" zu kreieren. Im Laufe der letzten Jahre stieg die Firmenansiedlung in diesem Gebiet von 200 High-Technology-Firmen auf nahezu 300 Firmen an. Der größte Teil dieser Unternehmen rechnet sich zur DV-Industrie. Für CAD/CAM-Anwendungen sieht die Evans Research Corp. Toronto bis 1987 eine Vervierfachung des Marktpotentials in Kanada auf etwa 500 Millionen Dollar im Verhältnis zu Ende '82.

Die Digital Equipment of Canada Ltd. konnte ihre Wachstumsraten auch im vergangenen Jahr weiter steigern. Nach eigenen Angaben setzte DEC im vergangenen Jahr mehr als 295 Millionen Kanadische Dollar (knapp 600 Millionen Mark) in Kanada um und beschäftigt derzeit mehr als 1800 Mitarbeiter. DEC führte 1982 drei neue Mikro-Produkte aus kanadischer Produktion ein: DEC-Mate II, Rainbow 100 sowie Professional 325 und 350.

Kooperation mit IBM verspricht Milliardenumsatz

Die Control Data Canada hat im letzten Jahr in Kanada hergestellte Computersysteme im Wert von 200 Millionen Mark in über 40 Länder exportiert.

Das Unternehmen hat 1982 mehr als 20 Millionen Mark in Forschung und Entwicklung investiert.

Den wesentlichen Anteil am kanadischen Desktop-Markt beherrschen Unternehmen wie Apple, Commodore, IBM und Radio Shack. Jedoch sind auch kanadische Firmen wie Nelma (Persona) und Dynalogic (Hyperion) dabei, wichtige Teile des kanadischen Marktes zu erobern.

Eine der interessantesten Kooperationen im Jahr 1982 war die Vereinbarung zwischen der IBM und dem kanadischen Telekommunikationshersteller Mitel über Entwicklung und Vertrieb von kombinierten Vermittlungseinrichtungen. Nach Auffassung von Michael Cowpland, Präsident der Mitel Corp., wird diese Verbindung Mitel bis Mitte der 80er Jahre auf einen Umsatz von rund einer Milliarde Kanadische Dollar bringen. Die Vermittlungs- und Datenübertragungstechnologie für Telefon- und Computer-Kommunikation soll durch Mitels SC-2000-System (Kapazität 150 bis

10 000 Daten- und Telefonanschlüsse) in nächster Zukunft marktreif sein.

Mit der Textverarbeitung gewachsen

Ein Unternehmen, das von der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession im Jahr 1982 nach eigenen Angaben nichts verspürte, ist die AES Data. Das Unternehmen wurde 1974 gegründet. Noch 1975 zählte das Unternehmen mit einem Umsatz von vier Millionen Dollar zu den Kleinbetrieben und entwickelte sich zu einem der großen Häuser in der Textverarbeitung. Der jährliche Umsatz beläuft sich auf 200 Millionen Kanadische Dollar (1982).

Neu ist die Etablierung eines eigenen AES-Vertriebsnetzes in der Bundesrepublik, von der sich die Muttergesellschaft in Montreal eine verstärkte Expansion in Europa verspricht. AES hofft, dadurch seine Marktposition in Deutschland stabilisieren zu können und wird dieses

Jahr Zweigstellen in München, Mannheim, Düsseldorf, Bonn, Köln, Hamburg und Stuttgart eröffnen.

Die kanadische Philips-Tochter Micom, 1975 von Stephen Dorsey gegründet, befaßt sich in erster Linie mit Büroautomatisation. In einem Zeitraum von acht Jahren entwickelte sich das Unternehmen von fünf Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,7 Millionen Dollar zu einem weltweit tätigen Unternehmen mit mehr als 1500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 250 Millionen Dollar (1982).

Nordamerikanischer Btx-Standard

Northern Telecom (N. T.) Ltd. ist der Hauptlieferant von nachrichtentechnischen Einrichtungen in Kanada. Das Unternehmen zählt ebenfalls zu den bedeutendsten Herstellern von Endgeräten mit den unterschiedlichsten Funktionen und Datenfernverarbeitungsanlagen.

Northern Telecom unterhält derzeit 50 Herstellungsbetriebe in Nordamerika. Mit acht firmeneigenen Forschungseinrichtungen (unter anderem die Bell-Northern-Research Ltd.) und 2500 Beschäftigten gilt

N. T. als größtes privates Industrieforschungsinstitut in Kanada. Man sieht auch dort die Grenzgebiete zwischen Computer- und Nachrichtentechnik als eine der Schwerpunktaufgaben.

Der Jahreswirtschaftsbericht des Unternehmens weist 1982 knapp 34 500 Mitarbeiter und ein Umsatzplus von 18 Prozent auf über drei Milliarden Dollar aus. Der Geschäftsbereich "Electronic Office Systems" mit einer schwächeren Zuwachsrate von 4,9 Prozent auf jetzt 287,7 Millionen Dollar läßt eine verstärkte Entwicklung zwischen der DV und Nachrichtentechnik erwarten. Natürlich ist Kanadas "Telidon"-Technologie ein wesentlicher Teil auch seiner Computerindustrie.

Ein neuer Bildschirmtext-Standard, der von Kanada und den USA anerkannt wurde, ist bereits in Kraft. Nach diesem "North American Presentation Level Protocol Syntax (NAPLPS)" fertigen alle kanadischen Telidon-Hersteller.

Die wichtigsten Telidon-Zulieferanten Norpak und Systemshouse haben gerade einen Vertrag mit einem der größten japanischen Handelshäuser Mitsui & Co. unterzeichnet, um Telidon gemeinsam in Asien auf den Markt zu bringen.

Deutsch-kanadische Kooperation

Abkommen über die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen Regierungen dienen in vielen Fällen nicht der von der Industrie erwarteten Belebung der Geschäftstätigkeit. Neue Aktivitäten zeichnen sich jedoch ab, wenn Ende Mai '83 das erste Pilotprojekt zur Förderung des branchen- und grenzüberschreitenden Technologietransfers beginnt, das zwischen dem Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) und den kanadischen Wirtschaftsförderungseinrichtungen vereinbart wurde, um die wirtschaftlich-technischen Beziehungen auch für einen großen Teil der Industrie interessant zu gestalten.

Die Federführung für diesen ersten und einzigen Feldversuch mit einem Land außerhalb der EG obliegt der Innovations- und Technologieberatungsstelle (ITB) der Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt und der kanadischen Botschaft in Bonn. Das Projektziel soll die Zusammenarbeit durch Innovationsangebote und -gesuche nach Patenten, Lizenzen und wissenschaftlich-technischem Wissen in den beteiligten Ländern unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten fördern und entwickeln.

Der Kunde ist König

Die Devise nach der sich die kanadische Industrie richten muß, hat sich stark verändert - heute heißt es: "You're the buyer; what would you like?" Dieses Motto laßt für die Zukunft der kanadischen

DV-Produktion eine interessante Entwicklung erwarten. Fünf Milliarden Dollar Exportanteil zum Ende des Jahrzehnts; 50 000 neue Arbeitsplätze und 200 000 Zulieferer ist das erstrebte Ziel für das Ende der 80er Jahre. Silicon Valley North - eine Region - ein Land mit dem auch in Zukunft verstärkt zu rechnen ist.

Nach Ansicht der Evans Research Corporation, Toronto, wird 1983 für den Mainframe-Computer-Markt in Kanada ein relativ schlechtes Jahr werden. Ein jährlicher Zuwachs von 25 Prozent, wie er in den letzten Jahren zu beobachten war, wird nicht wieder vor Ende dieses Jahrzehnts erwartet. Evans rechnet 1983 mit einem Zuwachs in dieser Branche von 14-Prozent - von 5,7 Milliarden Dollar auf 6,5 Milliarden Dollar.

Andererseits wird der Zuwachs für Personal Computer

(75 Prozent im Jahr 1982) auch 1983 wieder als bedeutend eingeschätzt. Eine Anstiegsrate von 50 bis 70 Prozent auf 300 Millionen Dollar oder mehr wird vorausgesagt.

Die Umsätze auf dem kanadischen Mikrocomputermarkt, einschließlich Personals, werden bis 1985 voraussichtlich eine Milliarde Dollar erreichen. Von den 16-Bit-Apparaten wird erwartet, daß sie sich einen bedeutenden Anteil des "Mini-Computer"-Marktes verschaffen werden; "Minis" in den Preisklassen von 50 000 bis 200 000 Dollar werden auch weiterhin eine hohe Zuwachsrate verzeichnen (20 bis 25 Prozent jährlich).

Flaute für Stand-alones

Auf dem Textverarbeitungssektor sieht man für "Stand-alones" eine Flaute voraus - Zahlen, die womöglich sogar unter das Niveau von 1982 sinken - aufgrund des rapiden Anstiegs der Verkäufe von Personal Computern. Die Nachfrage für "multiusers" und Cluster-Systeme wird aller Voraussicht nach um zehn bis 15 Prozent steigen.

Die Steigerung der Inanspruchnahme von Computer-Service-Unternehmen wird dieses Jahr bei etwa 15 Prozent liegen, also niedriger als im Vorjahr sein. Kanadische Service-Agenturen werden voraussichtlich empfindlich getroffen werden von den Preissenkungen der Hardware was zum Ergebnis hat, daß marginale Benutzer sich dem Gebrauch von eigenen Computern zuwenden werden.

Vorsichtiger Optimismus

Kanada wird die allgemeine Rezession in absehbarer Zeit überwinden können. Diese Ansicht vertritt zumindest der Conference Board of Canada, ein Wirtschaftsforschungsinstitut. Nach dem Anstieg der Verbrauchermeßzahlen ist demnach in den oberen Etagen der Unternehmen vorsichtiger Optimismus zu erkennen. Die Investitionsneigung bleibe aber weiterhin schwach - trotz Senkung des Diskontsatzes unter die Zehn Prozent-Marke (9,2 Prozent Ende Mai).