Anwender betrachten Exchange Server als Kommunikations-Gateway

Dem Herausforderer fehlt noch das Potential zum Notes-Killer

08.03.1996

Glaubt man den Auguren der IDC, gehoert der Groupware-Markt auch in diesem Jahr wieder zu den staerksten Wachstumssegmenten. Die Marktforscher rechnen damit, dass 1996 weltweit etwa 15 Millionen neue Anwender an entsprechende Systeme angeschlossen werden. Insgesamt, so die Analysten, waechst die globale Zahl der Groupware-User von bescheidenen 20 Millionen im Jahre 1994 auf rund 250 Millionen im Jahre 1999.

Waehrend Lotus und Novell bisher den Markt praktisch unter sich aufteilten, bekommen die Oldies nun Konkurrenz aus dem Hause Bill Gates. Microsoft will seinen bereits vor zwei Jahren als Notes- Killer angekuendigten "Information Exchange Server" im zweiten Quartal endlich auf den Markt bringen. Im Gegensatz zu frueheren Ankuendigungen stehen die Chancen diesmal gut, dass der Erscheinungstermin auch eingehalten wird. Diese Hoffnung untermauern Microsoft-Aussagen, wonach der jetzt erschienene "Release Candidate 2" die letzte und endgueltige Testversion vor Produktionsbeginn sei.

Fraglich bleibt aber, ob das neue Produkt auf Anhieb eine breite Akzeptanz findet oder sich aehnlich wie NT in den ersten Jahren nur schleppend verkauft. Zudem hat der Neueinsteiger Exchange mit einem Makel zu kaempfen: Das Produkt erfuellt nicht die hochgesteckten Erwartungen in Sachen Workflow, die Microsoft vor zwei Jahren mit vollmundigen Mitteilungen geweckt hat. Waehrend Lotus mit dem Release 4 von "Notes" und Novell mit dem fuer Jahresmitte angekuendigten "Groupwise XTD" weiter ueber Groupware- Funktionen in Richtung Workflow marschieren, ist bei der Gates- Company nichts mehr davon zu hoeren. (Weitere Informationen zu den Funktionen der drei Systeme finden Sie in den Kaesten.)

Entsprechend abschaetzig laestern die Konkurrenten ueber das Microsoft-Produkt als "Messaging-Plattform", waehrend ihre Software angeblich bereits die Weihen des "Advanced Messaging & Groupware" erhalten hat oder sogar das "High-end Collaborative Computing" ermoeglicht. Allerdings laesst sich mit einer respektablen Anwendergemeinde im Hintergrund gut frohlocken. Denn die bereits heute vorhandenen 4,5 Millionen Notes-Anwender sowie die rund fuenf Millionen Groupwise-User (jeweils Firmenangaben) werden nicht von heute auf morgen zu einer neuen Kommunikationsplattform wechseln. Etliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass eine einmal gewaehlte Plattform im Schnitt vier Jahre lang eingesetzt wird, bis die Betreiber erstmals ein Upgrade oder einen Wechsel in Betracht ziehen.

Die Erkenntnisse der Analysten kann Martin Rose, Leiter EDV/MIS bei SAT 1, nur bestaetigen: "Solange Groupwise unsere Anforderungen erfuellt, sehe ich keinen Anlass, auf eines der anderen Produkte zu wechseln." Zudem spielt bei dem Mainzer Privatsender derzeit der Workflow-Aspekt kaum eine Rolle, da das Unternehmen eine relativ flache Hierarchie hat, in der zwar viele Fachabteilungen existieren, die in der Regel aber nur wenige Mitarbeiter umfassen.

Dementsprechend nutzen die Mainzer auch Groupwise. Ausser fuer ihre E-Mails verwenden die Mitarbeiter das Programm vor allem zum Datenaustausch ueber die 40 Server des Unternehmens.

Sollte dennoch einmal der Bedarf nach Workflow-Funktionalitaet vorhanden sein, kann der Sender mit dem Zusatz-Tool "Informs" auf die Groupwise-Plattform aufsetzen und muss nicht unbedingt zu Groupwise XTD migrieren, glaubt Norbert Bittner, der als Berater an der Einfuehrung von Groupwise mitarbeitete.

SAT 1 hatte zuvor schon "Wordperfect" und "Wordperfect Office" genutzt, kam also als klassischer Novell-Shop zu Groupwise. Ausschlaggebend fuer die Entscheidung waren aber auch bessere TCP/IP-Connectivity und groessere Sicherheit. Zudem fiel Notes aus dem Rennen, weil, wie Bittner berichtet, mehr Gateways fuer die Messaging-Plattform von Novell verfuegbar waren. Insgesamt bescheinigt der Berater Groupware eine gute Qualitaet und fuehrt die geringe Verbreitung in Deutschland auf das "miserable Marketing bei Novell in Duesseldorf" zurueck.

Angesprochen auf die moeglichen Alternativen von Microsoft und Lotus, sieht Bittner in dem Exchange Server eine interessante Perspektive, "die allerdings, wie bei SAT 1, fuer sich genommen keinen Sinn macht, wenn Sie dazu eigens NT neu in ein Netware-Netz integrieren muessen". Aber angesichts der Funktionalitaet von Notes werde es Microsoft sehr schwer haben.

Vor einem aehnlichen Problem steht auch die Lufthansa in Frankfurt, die derzeit ueber eine konzernweite Messaging-Plattform diskutiert. Die Fluglinie hat bisher im LAN-Bereich, von einer Abteilung abgesehen, hauptsaechlich Netware-Server im Einsatz. Bereits in dieser einen Abteilung bescherte das Zusammenspiel zwischen Novell- und NT-Servern extreme Probleme. So brachte die Installation einer ISDN-Karte in einem der NT-Server das komplette Novell-LAN mit 1000 Usern zum Absturz.

Angesichts solcher Erfahrungen bereitet Norbert Schwarzkopf, bei der Fluggesellschaft im Bereich strategische Informationsplanung taetig, der Gedanke, NT-basierte Exchange Server in die Novell- Landschaft integrieren zu muessen, Bauchschmerzen. Allerdings wird er um die unangenehme Aufgabe kaum herumkommen, da die meisten Mitarbeiter bereits Microsoft-Office-Pakete auf ihrem Desktop einsetzen und eine einheitliche Oberflaeche angestrebt wird. Notes kommt fuer die Frankfurter nicht in Frage, da seine andere Benutzeroberflaeche einen zu grossen Schulungsaufwand verursachen wuerde.

Gegen Groupwise spricht aus Sicht der Fluglinie entscheidend die MAPI-Implementierung, die laut Schwarzkopf nicht hundertprozentig kompatibel zu anderen Clients ist. Doch auch in Sachen Exchange ist in Frankfurt noch nicht das letzte Wort gesprochen: Die fuer Mai angekuendigte endgueltige Version muss erst noch in einem Testnetz ihre Faehigkeiten unter Beweis stellen.

Besonderen Wert legt Schwarzkopf dabei auf eine saubere X.400- Implementierung, da ueber diese Schnittstelle die weltweite E-Mail- Kommunikation der Fluglinie erfolgt. Von einem Gateway-Kandidaten erwartet der DV-Experte, dass er Umlaute automatisch konvertiert, den internationalen Zeichensatz beherrscht und den Benutzer vor der Verwendung ungueltiger Adressen warnt.

Konzernintern muss die neue Messaging-Plattform gewaehrleisten, dass an Mails angehaengte Textdokumente auch im formatierten Zustand beim Empfaenger ankommen und nicht unterwegs einfach in ASCII-Text umgewandelt werden. Angesichts solcher Probleme sehnt sich Schwarzkopf nach dem alten Buerosystem 5800 zurueck: "Dies hatte eine einfache Oberflaeche, und Mail war kein Thema, es wurde einfach gemacht." Einziger Wermutstropfen an dem System war sein Preis: 35000 bis 40000 Mark pro Arbeitsplatz. Entsprechend gering war seine Verbreitung.

Beim Automobilverband ADAC hingegen kommt ein Einsatz des Microsoft-Produkts vorerst nicht in Frage. Zwar will die Organisation, so Rainer Schulte-Zurhausen als Verantwortlicher fuer den PC-Einsatz, das Produkt testen, doch die Hardware- Anforderungen, die bei 32 MB RAM beginnen und in der Groessenordnung von 64 MB enden, empfindet er als zu hoch. Zudem muesse die Gates- Company in Sachen Groupware-Funktionalitaet noch deutlich nachbessern, um Notes 4.0 das Wasser reichen zu koennen: "Notes hat einen Entwicklungsvorsprung von etlichen Jahren, kein Wunder, dass Microsoft bei seinen Vergleichen mit dem Lotus-Produkt mittlerweile sehr kleinlaut ist."

Der ADAC setzt Notes momentan in der Luftrettung ein und nuetzt dabei auch die Workflow-Funktionen der Software. So werden nachts die Daten aus den zwoelf Rettungsstationen via Modem in der Muenchner Zentrale gesammelt, geprueft und dann zur Rechnungsstellung an das SAP-System weitergeleitet. Ebenso werden Dienstplaene, Bestellwesen etc. mit Notes realisiert. Waehrend das Rettungswesen - eine interne News-Datenbank zum Informationsabruf ist ebenfalls mit dem Lotus-Produkt verwirklicht - ueber das Mail- System von Notes kommuniziert, verwenden die restlichen 3000 PCs des Autoclubs MS-Mail, da dieses in Verbindung mit dem eingesetzten MS-Office ein einheitliches Look and feel gewaehrleistet.

Sogenannte Pull-Informationen verteilt ein DV-Schulungsanbieter ebenfalls mit Notes. Das Unternehmen, das als Partner aller drei Anbieter anonym bleiben will, haelt Schulungsunterlagen in Notes abrufbereit. Push-Informationen, also E-Mails, setzt der Dienstleister dagegen mit Groupwise ab, da dieses Produkt die bessere Anbindung von remoten Clients biete. Ebenso sind auf der Novell-Plattform auch kleinere Groupware-Features wie Terminverwaltung verwirklicht. Von der Nutzung der Workflow- Funktionalitaeten, die mit dem Aufsatz Informs realisierbar sind, schreckt momentan noch die komplizierte Implementierung ab. Sollte diese Funktion allerdings in Groupwise XTD vernueftig integriert sein, wird das Schulungsunternehmen unter Umstaenden umdenken.

Insgesamt ordnet das Institut Groupwise mit seinen moderaten Hardware-Anforderungen - im Gegensatz zu Novell - als Plattform fuer kleinere Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern ein. Als globales Kommunikations-Tool betrachtet man dagegen Notes und den Microsoft Exchange Server, dessen Betaversion im Test bereits laenger laeuft. Zwar werden auch hier die hohen Hardware- Anforderungen bemaengelt, dafuer aber die Einsatzmoeglichkeiten des Produkts als Gateway zur globalen Kommunikation geschaetzt.

Gerade die globale WAN-Connectivity wird bei der Jil Sander AG in Hamburg wohl das Pendel zugunsten von Lotus Notes ausschlagen lassen. Hier hat die neue IBM-Tochter gegenueber den Konkurrenten einen deutlichen Wettbewerbsvorsprung.

Der Herausforderer: MS Exchange Server

Bei Microsofts Exchange handelt es sich im Gegensatz zu den Konkurrenten um einen E-Mail-Server mit integrierten Groupware- Funktionalitaeten wie Terminplanung, Bulletin-Boards, Dokumentenverwaltung und Formulardesign. Von den urspruenglich angekuendigten Workflow-Features ist in dem jetzt verfuegbaren Release Candidate 2 nichts zu finden.

Sehr viel Wert legte Microsoft dagegen auf die Gateway- Eigenschaften des Kommunikations-Servers. Dazu stellt der Server einen universellen Posteingangskorb fuer den Zugriff auf alle Informationsquellen via MAPI bereit. Mobile User koennen auf den Server via PPP und RAS zugreifen. Um die Kommunikationskosten im mobilen Betrieb niedrig zu halten und ein Offline-Arbeiten zu ermoeglichen, erlaubt Exchange die lokale Replikation zur Synchronisation von Datenbestaenden.

Zur unternehmensuebergreifenden Connectivity unterstuetzt das Produkt das Protokoll X.400. Zudem wurde jetzt durch die Hintertuer mit dem Exchange Server erstmals bei Microsoft ein Directory Service eingefuehrt. Zur Anbindung an die Welt des Internet stehen SMTP und MIME, aber auch Uuencode/Uudecode zur Verfuegung. Zum Schutz der versandten Informationen gerade im Internet vor unberechtigtem Zugriff und Manipulation sind Verschluesselung und elektronische Unterschrift implementiert.

Damit die Nutzung von Exchange nicht auf die entsprechenden Clients unter Windows 3.x oder Windows 95, Windows NT und DOS beschraenkt bleibt, soll spaeter ein Exchange Web Connector erhaeltlich sein, so dass mit Web-Browsern auf den Server zugegriffen werden kann. Wie es bei Microsoft weiter heisst, sind Unternehmen damit in der Lage, Informationen fuer interne und externe Web-Benutzer zugaenglich zu machen - ohne doppelte Datenhaltung oder manuelle Konvertierung der Daten in das HTML- Format.

Zur Integration in vorhandene Netze unterstuetzt Exchange die Protokolle von Netware und Vines. Ebenso koennen Benutzereintraege im Batch-Betrieb nicht nur aus dem Windows NT Server, sondern auch aus der Netware-3.x-Bindery und den Netware-4.x-NDS heraus erfolgen. Bei der Migration von MS-Mail, Appletalk, Profs oder anderen Systemen auf Exchange sollen Systemumstellungs-Assistenten den Aufwand auf ein Minimum beschraenken.

Die Platzhirsche: Notes und Groupwise

Mit Exchange tritt Microsoft gegen zwei Produkte an, die bereits seit laengerem im Markt etabliert sind: Lotus Notes und Novell Groupwise. Im Gegensatz zu Microsoft ist Lotus mit Notes bereits dort, wo die Gates-Company urspruenglich hinwollte, naemlich im Bereich des Workflow-Computings. Wie die Konkurrenz unterstuetzt Notes in der aktuellen Version 4.0 die Transportprotokolle X.400, SMTP sowie MIME. Fuer mobile Benutzer bietet Notes ebenfalls Replikationsdienste sowie die Moeglichkeit der Datenbankverschluesselung auf dem Laptop.

Groupwise in der heutigen Version ist dagegen mehr eine Messaging- Plattform, die mit Zusatzprodukten wie Informs, Softsolutions oder MHS auf Workflow und Groupware-Funktionalitaet getrimmt werden kann. Dies soll sich mit dem fuer Mitte 1996 angekuendigten Groupwise XTD aendern. Dann werden die heutigen Zusatzprodukte naemlich ein integraler Bestandteil der Plattform sein. Des weiteren bietet die neue Version sich replizierende oeffentliche Ablagen und Conferencing-Tools fuer die Arbeit von Gruppen in Unternehmen. Server-seitig ist XTD als universelles Messaging- Backbone konzipiert. Als Transferprotokoll wird XTD MHS, X.400, SMTP sowie MIME unterstuetzen. Die Clients dagegen koennen mit Groupwise direkt ueber TCP/IP sowie IPX kommunizieren. Von entscheidender Bedeutung sind bei XTD die NDS von Netware 4.x. Durch die Nutzung der Verzeichnisdienste steht so naemlich ein X.500-konformes Adressbuch zur Verfuegung.

Darueber hinaus sind sowohl Notes als auch Groupwise hinsichtlich der Internet-Connectivity ueberarbeitet worden und stehen so den geplanten WWW-Erweiterungen von Microsoft fuer Exchange nicht nach.