IT-Börsenjahr 1996 - Rückblick und Ausblick

Dell stellte sogar den Erfolg von Intel in den Schatten

23.01.1997

Aktien haben im wahrsten Sinne des Wortes Hochkonjunktur. Eine Rekordmarke jagt die andere - zuerst der Dax (Deutscher Aktienindex) mit über 3000 Punkten, dann in den letzten Tagen auch der Dow-Jones-Index mit mehr als 6800 Zählern. Warum eigentlich, angesichts des vielerorts vorherrschenden Katzenjammers in Sachen Konjunkturbarometer und Arbeitsmarkt? Die Jagd nach Rekorden des Börsenjahres 1996 scheint sich jedenfalls an den internationalen Aktienmärkten auch 1997 fortzusetzen. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist zum einen die mehr als reichliche Versorgung der Wertpapiermärkte mit liquiden Mitteln. Vor allem die verhaltene Konjunkturentwicklung und das Fehlen einer drohenden Inflationsgefahr, nicht zuletzt aber die in den 70er und 80er Jahren weltweit verursachte Rekordverschuldung zwingen die Notenbanken rund um den Globus, über Gebühr liquide Mittel bereitzustellen. Dies geschieht sowohl über niedrige Leitzinsen als auch über umfangreiche Liquiditätsangebote der Notenbanken an die Geschäftsbanken.

Hinzu kommt in Europa das Problem des Maastricht-Vertrages. Ausgelöst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben sich die EU-Kernländer Stabilitätszielen verschrieben, die sie dazu zwingen, Ausgabendisziplin zu wahren. 1997 könnte die Bundesrepublik, wie es aussieht, erstmals seit einem Jahrzehnt eine höhere Summe in Form von fälligen Mark-Anleihen zurückzahlen, als sie zugleich an Neuschulden aufnimmt. Der Bund würde damit der Volkswirtschaft Liquidität zuführen und nicht - wie in der Vergangenheit regelmäßig der Fall - kapitalhungrigster Geldaufzehrer im Lande sein.

Die reduzierte Nachfrage des Staates nach Fremdfinanzierung wird auch in diesem Jahr dafür sorgen, daß zumindest in den EU-Ländern das Zinsniveau niedrig bleibt. Eigentlich eine erfreuliche Entwicklung - wären da nicht die negativen konjunkturellen Folgen (wenn die öffentliche Hand als Motor für mehr Nachfrage größtenteils ausfällt) sowie die Gefahr, daß nach der Einführung des Euro 1999 die jetzt aufgeschobenen Vorhaben umgesetzt werden.

Was dann natürlich zu einer um so stärkeren Nachfrage des Staates nach fremden Kapital führen würde. Salopp formuliert: Der Bund unternimmt genau das Richtige, aber zum völlig falschen Zeitpunkt und aus unzutreffenden Beweggründen.

Auch die anhaltend freundliche Entwicklung des Rentenmarktes bildet 1997 eine weitere Basis für ein fortgesetzt positives Geschehen an den Aktienmärkten. Dieser Zusammenhang ist im übrigen systemimmanent. Zum einen bedeuten niedrige Zinsen nachlassende Attraktivität von Anlagen in Anleihen, zum anderen führt ein niedriges Zinsnviveau zu geringeren Kapitalkosten und steigenden Gewinnen der Unternehmen.

Was hat nun aber das vergangene Jahr den börsennotierten IT-Firmen gebracht? Zunächst gilt: Der herausragende Börsenplatz für Technologiewerte waren auch 1996 die Vereinigten Staaten - eine in Zukunft vielleicht nicht mehr einfach als Binsenweisheit abzuqualifizierende Feststellung. Aber dazu später noch etwas mehr. Zu den "Top-Performern" des US-Aktienmarktes zählten in jedem Fall auch Empfehlungen der COMPUTERWOCHE. So wird die Hitliste der IT-Titel in den USA angeführt von Dell Computer mit einem Plus von über 200 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten. Die Optimierung des Direktvertriebs und die Fokussierung auf Großkunden tragen derzeit, wie in der COMPUTERWOCHE unlängst zu lesen war, zum Erfolg der US-Company bei. Überdurchschnittlich erfolgreich schnitt aber auch Intel mit einer Kurssteigerung von 131 Prozent ab. Die in einem Börsenspot der COMPUTERWOCHE zuletzt im Februar 1996 bei einem Kurs von 56 Dollar zum Kauf empfohlene Aktie dürfte nach Auffassung namhafter Wallstreet-Analysten auch in diesem Jahr zu den überdurchschnittlich starken IT-Titeln gehören.

Trotz des Preisverfalls bei Speicherchips hat es die Andrew-Grove-Company im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr geschafft, ihren Reingewinn fast um die Hälfte zu steigern. Bei einem Umsatz von 20,8 Milliarden Dollar konnte ein Gewinn nach Steuern von 5,15 Milliarden Dollar verbucht werden. Der Prozessorgigant plant Ende Mai einen Aktiensplit im Verhältnis zwei zu eins, so daß zumindest eine optische "Verbilligung" der derzeit sehr hoch bewerteten Notiz erfolgen wird. Weitere Renner unter den US-Technologiewerten waren 1996 unter anderem Microtouch Systems (plus 150 Prozent) und Compaq mit einem Kursgewinn von immerhin knapp 75 Prozent.

Zu den Flops in den USA entwickelten sich in erster Linie Softwaretitel. So verlor die Quarterdeck-Aktie 80 Prozent, das Papier von FTP Software büßte 73 Prozent und das von Spyglass 71 Prozent ein, relativ dicht gefolgt von Borland. Der Kurswert der krisengeschüttelten Company an der Börse verringerte sich um 60 Prozent. Auch der etablierte Anbieter von Online-Diensten, Compuserve, mußte in Sachen Aktienkurs mit 65 Prozent kräftig Federn lassen.

Im Hardwaresektor schnitt vor allem die Aktie von Digital Equipment mit einem Verlust von rund 30 Prozent alles andere als erfreulich ab. Zu den weltweiten Verlierern in diesem Marktsegment zählt aber insbesondere Olivetti mit einem Kurseinbruch per saldo von über 50 Prozent - das skandalträchtige Ende der Ära Carlo de Bendetti läßt grüßen! Zuletzt heftig ins Gerede gekommen ist auch das Papier der lange Zeit als Börsenliebling geltenden Computer Associates (CA) Inc., das nach einem die Analysten enttäuschenden und vor allem überraschenden Umsatzrückgang im letzten Quartal ein Kursrutsch von 20 Prozent ereilte.

Werfen wir zum Schluß noch einen Blick auf den deutschen Aktienmarkt. Das, wenn man so will, einzig reinrassige Technologiepapier unter den deutschen Standardwerten, SAP, konnte die erfreuliche Gesamtmarktentwicklung nicht mitmachen. Während 24 der 30 Dax-Aktien mit Kursgewinnen von bis zu 85 Prozent (BASF) glänzten, verlor das Papier der Walldorfer per saldo einen Prozentpunkt. Eine vermeintlich unzureichende Internet-Strategie, die Gespensterdebatte um die angebliche Entwicklung von R/4 sowie die Unruhe um den mittlerweile ausgeschiedenen Aufsichtsrat und SAP-Mitbegründer Hans-Werner Hector forderten Tribut. Trotzdem gilt der Titel weiterhin als Aktie mit Perspektive. Die Umstellung auf das Jahr 2000 sowie die Einführung des Euro werden nach Expertenmeinung SAP weiterhin überdurchschnittlich gutes Geschäft bringen.

Und vielleicht bekommt der Dax hierzulande in Sachen IT-Aktien bald Konkurrenz. Am 10. März 1997 soll nun jüngsten Angaben zufolge der mehrmals verschobene Start des "Neuen Marktes" erfolgen - dem High-Tech-Ableger der Deutschen Börse AG, der nach dem Wunsch seiner Initiatoren als weiteres Handelsforum an der Frankfurter Wertpapierbörse rasch zu einem Sammelbecken junger, wachstumsstarker IT-Firmen avancieren soll. Bereits in ein bis zwei Jahren ist nach dem gegenwärtigen Planungsstand vorgesehen, die "deutsche Nasdaq" mit bis dahin anvisierten rund 20 Titeln mit einem eigenen Index auszustatten.

Weiterer Ausblick für 1997: So lange der Rückenwind einer günstigen Zinsentwicklung anhält, dürfte trotz der Kurssteigerungen des vergangenen Jahres die Hausse an den Aktienmärkten weitergehen. Für den Anleger bedeutet dies, engagiert bleiben und weiter auf gewinnstarke Titel setzen. Eine alte Regel von Börsianern lautet: Die neuen Favoriten sind die alten Favoriten.

Newcomer mit Perspektive?

Wer sind die Netscapes und Yahoos von morgen? Ein Blick in die Kristallkugel des weltweiten IT-Börsengeschehens wäre sicherlich reizvoll, wenngleich kaum aussagekräftig. Belassen wir es daher bei der Vorstellung einiger Neuemessionen. Zum Beispiel die US-Software-Company Cybermedia (in Deutschland vor allem durch ihre PC-Support-Lösung "First Aid 95" bekannt), die am 23. Oktober 1996 an der Nasdaq Premiere feierte. Oder der Antiviren-Spezialist DR Solomons, der seit Ende November 1996 an der Nasdaq und Easdaq in Brüssel gehandelt wird. Ein ebenfalls interessanter Titel ist seit dem 2. Januar an der New York Stock Exchange präsent: Fünf Jahre nach der Übernahme durch AT&T wagte NCR als wieder eigenständiges Unternehmen das "Going Public" an der Wallstreet. Nicht zu vergessen die Aktie der in Frankfurt am Main ansässigen Digitale Telekabel (DTA) AG, die am 31. Dezember 1996 erstmalig am Nasdaq-Small-Cap-Market gelistet war, ohne vorher in Deutschland notiert zu sein./*Arnd Wolpers ist Geschäftsführer der Vermögensverwaltungsgesellschaft CMW GmbH in München