Vaxcluster-Konzept stößt an seine Grenzen:

DECs neuer Rechner erbringt 3090-Leistung

06.11.1987

MAYNARD (CWN) - Mitten in IBMs Mainframe-Herz zielt ein neuer DEC-Vorstoß. Wie aus einem der COMPUTERWORLD zugespielten internen Memo des Branchenzweiten hervorgeht, plant dieser die Einführung eines eng gekoppelten Vierprozessor-Systems auf Basis der High-End-Maschine VAX 8700.

Dieses System soll in Verbindung mit einem neuen Release des DEC-eigenen Betriebssystems VMS das Leistungsspektrum des Unternehmens gegenüber der Zweiprozessormaschine VAX 8800 nahezu verdoppeln. Gleichzeitig will Digital mit der Konstruktion Beschwerden aus den Reihen der Anwender begegnen. Sie hatten über Leistungseinbußen bei der Einbindung mehrerer Zentraleinheiten in DECs Vaxcluster Klage geführt.

Die neue Maschine soll, ebenso wie die überarbeitete Betriebssystemversion, entweder Anfang Dezember auf dem Treffen der DEC-User in Anaheim/Kalifornien oder Ende Januar der Öffentlichkeit vorgestellt werden, verlautete aus dem Unternehmen nahestehenden Kreisen. Das neue VAX-System wurde zusammen mit einigen weiteren bisher nicht gezeigten Produkten bereits auf der Decworld'87 in Boston einem Kreis handverlesener Besucher vorgeführt.

Derzeit bemüht sich die Marketingabteilung von DEC, das Produkt Großkunden schmackhaft zu machen. Gerade in dieser Kundenschicht besteht nämlich ein Bedarf nach höherer Rechenleistung zu einem Preis unter demjenigen lose gekoppelter Vaxcluster-Konfigurationen. In der Zielgruppe befinden sich sowohl traditionelle DEC-Kunden mit CPU-intensiven technischen und wissenschaftlichen Anwendungen als auch solche aus dem kommerziellen Sektor, die bisher eher auf IBMs Großrechner abonniert waren,

DEC hat mit den Typen VAX 8974 und 8978 schon Konfigurationen mit vier und acht Prozessoren im Programm. Während diese jedoch als Vaxcluster lose miteinander gekoppelt sind, ist bei dem jetzt erwarteten System mit enger Kopplung über einen gemeinsamen Speicher zu rechnen. Auch die Zentraleinheiten der VAX 8800 und 8350 sind auf diese Weise miteinander verbunden. Im Gegensatz zum bisherigen Master-Slave-Konzept arbeitet der neue Rechner jedoch mit gleichberechtigten CPUs.

Diese Kombination aus speichergekoppelter Architektur und symmetrischen Prozessoren, betrieben unter der VMS-Version 5.0, könnte mit dazu beitragen das von Marktbeobachtern konstatierte Defizit DECs im Hochleistungssektor abzubauen. Nach Schätzungen von Fachleuten können der bisher verfolgte Vaxcluster-Approach und das Master-Slave-Konzept dazu führen, daß das Leistungspotential der Anlage nur zu weniger als 60 Prozent genutzt wird. Bei diesem Konzept ist nämlich eine CPU für das gesamte Systemmanagement zuständig, während eine andere unter Umständen gar nicht ausgelastet ist.

Über die Preisgestaltung des neuen Systems war noch nichts zu erfahren. Bleibt DEC allerdings bei seinem Schema für die 8700 und 8800, so ist mit ungefähr 1,4 Millionen Dollar zu rechnen.

Aus dem eingangs erwähnten DEC-Papier geht außerdem hervor, daß der Neuling zirka die 18- bis 22-fache Leistung erbringt wie die VAX-11/780. Letztere galt mit ihrem Durchsatz von 1 Mips lange Zeit als Vergleichsbasis für Rechenleistungen. Eine 22-Mips-VAX wäre dann etwa gegen die Mitte der Mainframe-Serie 3090 von DECs Hauptkonkurrenten IBM plaziert.

Ein anderer Mitbewerber von Digital Equipment, der Supermini-Hersteller Prime Computer, hat in diesem Jahr bereits das Doppelprozessorsystem 6550 mit einer vergleichbaren Leistung angekündigt. Beobachter vertraten bei dessen Vorstellung die Ansicht, aufgrund der unterschiedlichen Definition der Einheit "Mips" bei IBM einerseits und Prime und DEC andererseits sollten die beiden letzteren ihre Leistungsangaben halbieren. Ansonsten sei ein wirklicher Vergleich nicht möglich.