Workgroup-Computing und Client-Server-Anwendung (Teil 3)

Debis entwickelt innovatives

26.04.1991

Pilotprojekt mit Groupware Notes

Im ersten Teil dieser dreiteiligen Artikelserie hatte Wolfgang Finke das Thema Workgroup-Computing von der historischen Seite erörtert und Groupware-Konzepte in komplexen Organisationen dargelegt. Im zweiten Teil erklärte er das Systemkonzept des Groupware-Produkts "Notes" von Lotus, zeigte Anwendungsbeispiele auf und referierte über den Ei bei US-Großanwendern, Ferner beschrieb er die Notes-Planungsphase bei Debis. Im dritten und letzten Teil beschreibt Debis Finke, wie mit dem Pilotprojekt Notes im Debis Systemhaus Workgroup-Computing verwirklicht wird.

Das Reservoir der mit Computerleistung im Debis Systemhaus prinzipiell unterstützbaren kooperativen Arbeitsprozesse erschien fast unerschöpflich. Für die Entscheidung über die (Teil-)Automatisierung einzelner Prozesse auf Basis eines Workgroup-Konzeptes wurden im Pilotprojekt die folgenden Kriterienkategorien verwendet:

- strategische Bedeutung,

- Nutzenpotential der Aufgabe,

- Eignung des ausgewählten Workgroup-Basiskonzeptes für die Automatisierung der Aufgabe,

- Kosten-Nutzen-Relation.

Auf der Basis dieser Kriterien wurden Applikationen/Workgroups für die Realisierung im Pilotprojekt formuliert:

Bei horizontalen Anwendungen waren dies

- Korrespondenz- und Adreß-Management,

- Debis SH-Folien- und Lageplandatenbank,

- Projektkoordination, Meeting-Management,

- Führungskräfte-Newsletter,

- Reuters-Newswire;

Workgroup-Anwendungen installierte man für

- Office-Workgroup (nur horizontale Applikationen),

- Controlling-Workgroup (Bedarfsaufträge),

- Rechenzentrums-Workgroup (Regionalisierungsprojekte, konzernweite Dokumentation der Telekommunikations-Leitungen),

- Vertriebs-Workgroup (Vertriebssteuerung, Kontakt-Management).

Die jeweiligen Notes-Anwendungen wurden den Endanwendern gebündelt verfügbar gemacht. Das heißt beispielsweise, daß die Rechenzentrums-Workgroups neben der Regionalisierungsanwendung auch Zugang zu horizontalen Anwendungen wie etwa der OH-Foliendatenbank erhielten.

Um die für viele Workgroup-Mitglieder neue Bedienerumgebung in der Einstiegsphase nicht zu überfragten, wurde als einzige zusätzliche Büroautomations-Anwendung im Rahmen des Pilotprojektes Tabellenkalkulation unterstützt.

Die Erprobung der systemtechnischen Charakteristika des Groupware-Systems erfolgte in folgenden Teilprojekten:

- Fax-Integration,

- Host-Mail-Integration (Anschluß an die konzerninternen E-Mail-Systeme),

- Notes-Novell-Test,

- Notes-LAN-Server-Test,

- Remote-LAN-Integration (Einsatz von Bridges),

- Test Büroapplikationen (Test von Ergänzungsmodulen für die Büroautomation).

Die systemtechnischen Segmente des Pilotprojektes wurden in Laborinstallationen und nicht unmittelbar in den Endanwenderumgebungen getestet.

Von Anfang an bestand Konsens darüber, daß Workgroup-Computing einen endanwenderzentrierten Designansatz der Anwendungen erfordert. Die Workgroups absolvierten deshalb zweitägige Workshops, auf denen die Mitglieder die Leistungsmerkmale von Lotus Notes kennenlernten.

Im Verlauf der Diskussion um die Schwerpunkte der Workgroup-Arbeitsprozesse und um ihre Priorisierung durch die Workgroup-Mitglieder entstand anschließend - parallel zu der laufenden Diskussion - der Rahmen einer Notes-Work-group-Applikation.

Im Anschluß an das Treffen verfeinerten die Anwendungsdesigner der Projektgruppe die Applikationen im Zusammenspiel mit Workgroup-Mitgliedern weiter. Der Zeiteinsatz hierfür war erheblich, ebenso die Ansprüche an die Qualität der Anwendungen. Beispielsweise implementierten wir für alle Anwendungen ein elektronisches Bedienerhandbuch (Online-Hilfe) mit den Notes-eigenen Hypertext-Möglichkeiten.

Aufgrund der Komplexität des Projektes und des von der Geschäftsführung gesetzten engen Zeitrahmens (zirka drei Monate) waren besondere Organisationsmaßnahmen erforderlich.

Die Projektgruppe entschloß sich unter anderem dazu, Notes für den Informationsaustausch innerhalb der Projektgruppe und die gemeinsame Haltung von Informationsbanken einzusetzen (zum Beispiel Infrastruktur-Dokumentation bezüglich der Standorte, Problemdatenbank).

Zusätzlich wurde zur Vereinfachung der Koordination ein Rollenschema für die im Pilotprojekt wahrzunehmenden Aufgaben erarbeitet. Es umfaßte unter anderem die Rollen Workgroup-Sprecher (Vertreter der Endnutzer), lokaler technischer Support und Co-Designer.

Aus dem Bestand der momentan vorliegenden sieben Notes-Anwendungen sollen nachfolgend die Regionalisierungs- und die Korrespondenz-Management-Applikation vorgestellt werden. Sie vermitteln einen ersten Eindruck von Notes als Werkzeug für die professionelle Anwendungsentwicklung.

Da Mitarbeiter die Anwendungen erstellten, die fast alle zum Lager der Profidesigner zählen, wurden die programmiertechnischen Möglichkeiten des Werkzeugs weitgehend ausgeschöpft (zum Beispiel Implementation von formularorientierten Organisationsabläufen mit mehrfachen elektronischen Unterschriften). Typische, unmittelbar durch Endanwender erstellte Notes-Anwendungen dürften wesentlich einfacher strukturiert sein.

Die Entwicklung dieser Anwendung zielt auf die Unterstützung leitender Mitarbeiter im Rahmen der Umstrukturierung (Regionalisierung) von zirka 40 Rechenzentren in Deutschland.

Insbesondere sollen die Teilbereiche Projektdokumentation sowie Projektplanung und -ablaufverfolgung unterstützt werden. Vorteile der Notes-Anwendung kommen insbesondere in den folgenden Bereichen zum Tragen:

- Die Erfassung von Kennziffern und Projektaktivitäten ist für alle Regionen und Standorte standardisiert.

- Die verwendeten Formulare haben Checklisten-Charakter.

- Aktuelle Informationen stehen allen Standorten zur Verfügung.

Ähnlich wie in klassischen Projekt-Management-Systemen werden Aufgabenkomplexe über mehrere Stufen auf Aktivitäten heruntergebrachten. Neu ist hingegen die Vielfalt der Informationen, die das System verwalten kann (bis hin zur Farbgrafik). Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die Struktur der verwalteten Informationen, (Stammblatt, Ist-Analyse, Terminplan etc.). Eines der Dokumente (Regionalisierungskonzeption) ist aufgeklappt und als zweites Fenster im Vordergrund sichtbar.

Abbildung 2 zeigt einen Blick auf die Terminplanungskomponente des Systems mit der Zuordnung von Verantwortlichkeiten und dem Status der Aktivitäten. Wie der heruntergeklappte Menüpunkt "Compose" zeigt, werden die Informationen über eine größere Anzahl von Formularen eingegeben und verwaltet (zum Beispiel Stammblatt, Ist-Analyse von Hardware).

Diese Formulare können neben Textinformationen auch Grafik-, Daten- und Schlagwortfelder enthalten. Insgesamt sind momentan zirka 3000 Felder definiert, die über Rechenoperationen in den Sichten (zum Beispiel Gruppen-Summierung in den Spalten der Views) einer flexiblen Auswertung am Bildschirm zugänglich sind.

Die Informationsbestände des Systems erweitern sich kontinuierlich durch die Eingaben an den beteiligten Standorten. Der Regionalisierungsprozeß wird auf diese Weise automatisch dokumentiert, und die beteiligten Führungskräfte der einzelnen Debis-Standorte können sich Informationen jederzeit zugänglich machen.

Momentan übernehmen die Standorte München und Friedrichshafen eine Vorreiterrolle. Später hinzukommende Standorte können auf das im System dokumentierte Wissen aufbauen.

Erfahrungen, die an den Vorreiter-Standorten im Projektverlauf gemacht wurden, sind auf diese Weise mehrfach verwertbar.

Erhebliche Zeit- und Kostenersparnisse könnten die Folge sein. Zusätzlich unterstützt das System effizient den Aufbau informeller Kommunikationskanäle.

Abbildung 3 zeigt einen Überblick über den anwendungsspezifischen Teil der Bedienerhilfen (elektronisches Benutzer handbuch). Über das Anklicken der Hyperlink-Symbole vor den Stichworten werden die entsprechenden Hilfedokumente angezeigt (Vordergrund-Fenster in Abbildung 3).

Aufgrund der einfachen Möglichkeit, Farbgrafiken (Bildschirmabzüge, Screen-Shots) in den Hilfstexten unterzubringen, kann ein anschauliches Hilfesystem implementiert werden. Im Gegensatz zu der zusätzlich von Notes bereitgestellten systeminternen Hilfefunktion sind die anwendungsspezifischen Hilfstexte nicht kontextsensitiv.

Diese Notes-Anwendung geht erheblich über das Erstellen von Korrespondenz und das Führen einer elektronischen Briefablage hinaus. Sie zielt auf die umfassende Computerunterstützung des Korrespondenz- und Adreßmanagements in geographisch verteilten Büroumgebungen hin. Folgende Funktionsschwerpunkte sind bisher implementiert:

- Adreßverwaltung (eng verzahnt mit dem Modul zur Korrespondenzerstellung),

- Erstellung von Faxen, Kurzmitteilungen, elektronischer und Papierpost,

- Abbildung des Zusammenspiels zwischen Autor und Sekretariat bei der Schriftguterstellung,

- Wiedervorlageverfahren,

- nicht-reversibles "Einfrieren" eines Textdokuments,

- Langfrist-Archivierung und Auslagerung aus der aktiven Notes-Datenbank,

- Integration eines Fax-Gateways für abzuschickende Faxe.

Integration der Arbeitsabläufe

Ein wesentlicher Vorteil der Anwendung ist die Integration der Arbeitsabläufe über mehrere vernetzte Arbeitsplätze hinweg und die leistungsfähigen elektronischen Ablage- und Retrieval-Möglichkeiten. Das Schriftgut kann nach Benutzergruppen und Vertraulichkeitsstufen verwaltet werden.

Im Debis-Pilotprojekt wird die Anwendung unter anderem dazu eingesetzt, zwei an unterschiedlichen Standorten (Stuttgart, Friedrichshafen) befindliche Sekretariate der Geschäftsführung ständig auf einem einheitlichen Informationsstand bezüglich Adressen und Schriftverkehr zu halten.

Das Konzept dieser Anwendung basiert auf Vorarbeiten, die an der Hochschule St. Gallen/Schweiz (Lehrstuhl Nastansky) geleistet wurden. Als Besonderheit ist die Verwendung der DB-konzerneigenen Schriftart "Corporate" sowohl am Bildschirm als auch im Papierausdruck vorgesehen.

Auf den Einzel-Arbeitsplatz bezogen, bringt die Anwendung zum einen einen Zuwachs an Komfort: Nach dem Anklicken einer Adresse wird diese - eventuell unter Verwendung einer persönlichen Anrede - in das Briefformular eingeschleust. Zum anderen sind zusätzliche Angaben für den Erstellungsablauf (zum Beispiel nächster Bearbeiter, zurück zur Korrektur) oder die Wiedervorlage einzufügen.

Abbildung 4 zeigt den Ausschnitt eines Briefformulars mit einer Status- "Checkbox", in der der Bediener den Status des Schriftstücks durch Anklicken kennzeichnen beziehungsweise es für jegliche weitere Bearbeitung sperren kann. Das aufgeklappte "Compose"-Menü gibt einen Überblick über die im System verwendeten Formulare.

Abbildung 5 zeigt eine Sicht auf die Korrespondenz-Datenbank, die nach Adressaten geordnet ist. Gleichzeitig ist im Vordergrund-Fenster ein Briefdokument aufgeklappt. Aufgrund der umfassenden Retrieval-Möglichkeiten wird das Wiederauffinden von elektronisch gespeicherten Schriftstücken auch in großen Beständen und auch aus verteilten Standorten wesentlich erleichtert. Das System ist zusätzlich in der Lage, Referenzen auf Eingangspost zu verwalten.

Orientierung auf dem Workgroup-Ansatz

Die Debis Systemhaus GmbH befindet sich momentan in einer stürmischen Aufbauphase: Laufend müssen neue Unternehmensteile eingegliedert werden, neue Organisationsabläufe sind zu implementieren und dezentral stationierte Mitarbeiter müssen im Rahmen komplexer Projekte koordiniert werden. Nach einer fast 30jährigen Entwicklungszeit besitzen Groupware-Produkte jetzt die Reife, Unternehmen in einer derartigen Situation effizient zu unterstützen.

Im Anschluß an eine Vorstudie und Nutzwertanalyse im Sommer 1990 wurde der Geschäftsführung ein umfassendes Pilotprojekt mit dem Produkt Lotus Notes vorgeschlagen. Im Rahmen dieses Projektes entstanden in den vergangenen Monaten eine Reihe von Workgroup-Computing-Konzepten zusammen mit Endanwendern. Die bisherigen Projektergebnisse sind beeindruckend und deuten auf eine stärkere Umorientierung bei der zukünftigen Gestaltung von Büroinformationssystemen in Richtung auf den Workgroup-Ansatz hin.