Kooperationsvertrag zwischen der Uni Halle und der Cantor GmbH:

DDR Softwareprodukte für die Bundesrepublik

02.10.1987

LICH (dow) - Mit "Kolipop", einem Programm zur Organisation betrieblicher Abläufe unter Unix und MS-DOS nach der Komplexmethode der linearen Optimierung, startet die Cantor GmbH aus dem hessischen Lich bei Gießen den Vertrieb von Software-Produkten. die an der Universität Halle entwickelt werden. Die vorläufig auf vier Jahre begrenzte Kooperation zwischen 0st und West sichert dem Geschäftsführer des neugegründeten Softwarehauses, Bernd Wirsam, die alleinigen Vertriebsrechte.

Erfahrungen im Handel mit Ländern aus dem Ostblock hat Wirsam bereits durch seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Albat und Wirsam Software-Vertriebs GmbH, die dort

mehrere Kunden betreut. Die Kontakte für die Zusammenarbeit mit der Universität Halle knüpfte Wirsam auf der diesjährigen Hannover Messe CeBIT. Besonders viel unternehmerischen Mut; Softwareprodukte aus einem Ostblockland auf dem doch eher an Programmen aus europäischen oder amerikanischen Softwarehäusern orientierten Markt anzubieten, brauche man nicht, beantwortete der gelernte Diplomphysiker die Frage nach dem Risiko der Kooperation von Cantor.

Probleme in bezug auf die Wartung der Programme, mit denen er vor allem Kunden aus dem Mittelstand ansprechen will, sieht Wirsam nicht. Seiner Meinung nach leißt sich jederzeit ein "heißer Draht nach Halle" herstellen. Die Produkte der Datenverarbeiter am Zentrum für Software der Martin-Luther-Universität Halle, das unter der Leitung von Professor Wolfgang Lassmann steht, stünden keinesfalls hinter dem zurück, was westliche Konkurrenten zu bieten hätten. In Teilbereichen wie der Komplexmethode der Linearen Optimierung sei Lassmann der Weltspitze um zwei Jahre voraus.

Der Weltspitze um zwei Jahre voraus

Selbstbewußtsein dokumentiert auch Joachim Garscher, der in seiner Funktion als Stellvertretender Minister für Fach- und Hochschulwesen der DDR seinem neuen Geschäftspartner in Hessen einen Besuch abstattete. "Der Stand der Datenverarbeitung in der DDR entspricht dem, was wir uns vorgenommen haben.

Einschränkend fügte der Minister jedoch hinzu, daß die DDR infolge der Vereinbarungen des Coordinating Committees for East West Trade Policy (COCOM) bei Lieferungen von Großrechnern "nie besonders bevorteilt wurde". Seiner Meinung nach verhindert die COCOM-Liste "einen ganz natürlichen Welthandel". Gemeinsam mit anderen sozialistischen Ländern hoffe die DDR jedoch, das was gebraucht wird in etwa vier Jahren selber herstellen zu können. Derzeit entwickelt der Kader von Lassmann die Programme noch mit Hilfe von Siemens PCs. Die Zusammenarbeit mit einem westlichen Vertriebs-Partner begründet der, daß jede Hochschule einen Beitrag zur Erwirtschaftung von Devisen zu leisten habe.

Programmierleistungen deutlich billiger

Deutlich niedriger als normalerweise in der BRD, wo eine Stunde je nach Aufwand bis zu 250 Mark und mehr kosten kann, liegen die Preise für Programmierleistungen in der DDR und anderen Ostblockländern. Das wissen auch große Häuser. Bei eigenen Produktionspitzen geben sie zum Beispiel Aufträge nach Ungarn ab. Insider behaupten, die westlichen Auftraggeber schätzen vor allem die Pünktlichkeit ihrer Vertragspartner. Hinzu komme der Vorzug, daß einmal getroffene Preisvereinbarungen eingehalten würden, was besonders bei Kooperationen mit kleinen Softwarehäusern hier nicht immer der Fall sei. Wirksam zahlt für die Anpassung der von ihm vertriebenen Programme eigenen Angaben zufolge Tagessätze von etwa 600 bis 900 Mark.