Datex-M als Verlegenheitsloesung auf dem Weg zu ATM Der "Notnagel" feiert ersten Geburtstag im Alltagsbetrieb

19.05.1995

MUENCHEN (gh) - Amerika ist noch auf dem Weg zum Information- Highway, Deutschland hat ihn laengst. Mit diesem Slogan gehen bekanntlich die Marketiers der Deutschen Telekom gerne hausieren, und neben dem ISDN ist dabei vor allem von Datex-M die Rede. Der Hochgeschwindigkeits-Service des Bonner Carriers feierte vor kurzem seinen ersten Geburtstag; die Zukunft ist allerdings ungewiss - zu hohe Preise und die immer naeher rueckende ATM- Standardisierung lassen gruessen.

Wie so oft im Leben regierte auch in Sachen Datex-M-Geburtshilfe mehr oder weniger Koenig Zufall. Jedenfalls wuerden die deutschen Anwender aller Voraussicht nach noch heute auf einen aeusserst schnellen und flaechendeckenden WAN-Dienst zur LAN-zu-LAN- Verbindung und damit auf ATM warten, wenn nicht findige Telekom- Ingenieure Ende der achtziger Jahre eine im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechende Entdeckung gemacht haetten: DQDB (Distributed Queue Dual Bus), ein von einer kleinen australischen Softwareschmiede entwickeltes, der ATM-Technik sehr aehnliches Bus- System, das damals einen unschaetzbaren Vorteil hatte - es war fertig.

Wer die Gepflogenheiten des deutschen Telecom-Marktes kennt, wundert sich auch nicht ueber den weiteren Fortgang der Geschichte. Flugs waren mit Siemens und Alcatel zwei Hersteller gefunden, die den Australiern die Lizenz abkauften und die Sache in die eigenen Haende nahmen. Das Ergebnis ist mittlerweile bekannt. 1991 startete die Telekom mit entsprechender Vermittlungstechnik ihrer beiden Haus- und Hoflieferanten (im wesentlichen sind dies die Alcatel- beziehungsweise Siemens-Systeme "1190" und "EWSM") die Versuchsphase des neuen Dienstes, und seit April 1994 befindet sich Datex-M ("M" steht fuer Multi Megabyte) im Regelbetrieb. Begonnen wurde mit zwoelf Zugaengen in zwoelf deutschen Grossstaedten; ein Jahr spaeter kann die Datex-M-Kundschaft bereits auf rund 140 Knoten in 50 Staedten zugreifen.

Ein flaechendeckendes ATM-Netz steckt noch in den Kinderschuhen, zudem krankt es beim kuenftigen Breitband-Hoffnungstraeger (neben bereits funktionierenden, allerdings proprietaeren LAN-Loesungen) immer noch bei der Standardisierung im WAN-Bereich. Kein Wunder also, dass man neuerdings, zumindest bei den Datex-M-Produkt- Managern, fuer Telekom-Verhaeltnisse geradezu erstaunliche Auskuenfte erhaelt. Derzeit koenne man im Rahmen des ATM-Pilotversuches nur virtuelle Pfade schalten, heisst es da; es fehle an allem, insbesondere am Netz-Management, und ueberhaupt: Bis der ATM- Service stabil laeuft, werden noch zwei oder drei Jahre vergehen.

Und fast im gleichen Atemzug wird der nach hoher Bandbreite gierenden Geschaeftsklientel Datex-M schmackhaft gemacht - mit Features, die sich in der Tat sehen lassen koennen.

Besonders gilt dies fuer die Charakteristik von Datex-M als verbindungslosem End-to-end-Service, also der Moeglichkeit der Kopplung konventioneller LAN-Topologien mit Breitband- Uebertragungstechnik.

Ins Technische uebersetzt bedeutet dies: Bei frei waehlbaren Zugangsgeschwindigkeiten an die Datex-M-Knoten von 64 Kbit/s bis 34 Mbit/s (siehe auch Lexikothek) koennen komplette LAN- Installationen, Grossrechner, PCs sowie Workstations miteinander verbunden werden, wobei LAN-typische Merkmale wie burstartige Verkehrsstruktur, paketorientierte Vermittlung und Connectionless- Uebertragung zum Tragen kommen.

Das, wenn man so will, Rueckgrat von Datex-M auf Transport- protokollebene ist der weltweit erste und derzeit einzige standardisierte Breitbanddatenuebertragungsdienst SMDS (Switched Multimegabit Data Service), was gleichzeitig den "internationalen Anschluss" garantiert. Datex-M als Dienstleistung, DQDB als dahinterstehende Uebertragungstechnik (die sich, wann auch immer, gegen ATM austauschen laesst) und SMDS beziehungsweise SDH als Transportprotokoll sowie Kupfer und natuerlich vor allem Glasfaser als Uebertragungsmedium heisst also das Paket, das die Telekom derzeit fuer ihre nach Bandbreite suchende Kundschaft zu schnueren versucht.

Denn dass das Anforderungsprofil der meisten Grossanwender mittlerweile einen flaechendeckenden Hochgeschwindigkeitsdienst zwingend notwendig macht, ist unbestritten. Standortuebergreifende Kommunikation, "Flaschenhals" beim Uebergang von der schnellen LAN- Geschwindigkeit (10 oder 16 Mbit/s) in den bis dato meist vorsintflutlich langsamen WAN-Bereich (in der Regel maximal 2 Mbit/s), doppelte Datenhaltung und vieles mehr druecken hier auf den Schuh - Realisierbarkeit von Multimedia-Anwendungen, Rechenzentrums-Backup und Verbindung kuenftiger ATM-Backbones lassen sich hingegen im Leistungskatalog von Datex-M nachlesen.

Bleibt die Frage, ob das Ganze bezahlbar ist, und hier fangen auch bei Datex-M die Probleme an. Trotz einer seit Anfang des Jahres vorliegenden Preisliste muessen sich die Anwender immer noch im Dschungel eines Tarifwirrwarrs zwischen Anschlussvolumen, monatlichem Freivolumen und der Definition des Anschlussbereiches, also der Strecke zum naechstgelegenen Datex-M-Knoten, orientieren - alles in preislichen Dimensionen, die auch in dieser Frage eine Verwandtschaft zum kuenftigen ATM-Service der Telekom erkennen lassen. (Ein ausfuehrlicher Artikel ueber die Datex-M-Tarifierung folgt in einer der naechsten Ausgaben).

Anwender monieren einige technische Unstimmigkeiten

Ungeloest sind aber auch noch eine Reihe technischer Fragen, die die mittlerweile elf an das Datex-M-Netz angeschlossenen Grossunternehmen (darunter die Verlage Axel Springer und Burda, die Deutsche Postbank AG und die Porsche AG) beschaeftigen. So ist dort offensichtlich vor allem die nur unter sehr grossen Schwierigkeiten moegliche Integration von TK-Nebenstelleanlagen ein Thema. Gleichzeitig korrespondiert, wie erste Anwenderberichte zeigen, das Adressschema von Datex-M in vielen Faellen nicht mit der internen Router-Software des Kunden - wie generell die Anschlussvoraussetzungen nicht eindeutig definiert zu sein scheinen. All dies soll laut Telekom ueberprueft werden - und auch sehr zuegig, denn die Bereitstellung des Datex-M-Anschlusses seitens des Bonner Ex-Postunternehmens war, wie die Anwender ebenfalls monieren, nicht immer termingerecht.