Versicherungen registrieren Milliardenschäden an elektronischem Equipment

Datenschnittstellen sind bei Überspannungen gefährdet

23.03.1990

Der zweite Teil dieser Artikelserie ist dem Schutz vor Überspannungen auf Netz- und Datenleitungen gewidmet. Besonders berücksichtigt wurden dabei Konsequenzen, die sich aus dem kürzlich vorgelegten Normenentwurf DIN-VDE 0675, Teil 6, ergeben.

Weitgehenden Schutz gegen energiereiche Störungen auf dem Stromversorgungsnetz schafft ein mehrstufiges Schutzkonzept, das sich an die in DIN-VDE 0110 (4) im Rahmen der "Isolationskoordination für elektrische Betriebsmittel" definierten Überspannungskategorien anlehnt.

Die erste Stufe dieses Konzeptes des "selektiven Überspannungsschutzes" bezieht sich auf die Gebäudeeinspeisung. Dort, wo direkte Blitzeinschläge auf Mittel- oder Niederspannungsebene zu befürchten sind, daß heißt insbesondere in Gegenden, in denen die Energieverteilung noch über Freileitungen erfolgt, sollte am Hausanschlußkasten oder direkt hinter der Zähleinrichtung ein leistungsfähiger Überspannungsableiter mit direktem Anschluß zur Potentialausgleichs-Schiene installiert werden. Dieser Überspannungsableiter stellt den Blitzschutz-Potentialausgleich zwischen elektrischer Anlage und äußerem Blitzschutz her. Er muß in der Lage sein, die bei direkten Blitzeinschlägen auftretenden Strom-Scheitelwerte zerstörungsfrei abzuleiten.

Solche Hochenergie-Ableiter, die der Anforderungsklasse B nach Entwurf DIN-VDE 0675, Teil 6 (Gelbdruck), (5) entsprechen, sind zwar in der Lage, hohe Ströme abzuleiten, jedoch bleiben, durch die Installation bedingt (Impedanz der Ableitung), Restspannungen von bis zu 6 kV übrig. Dies ist für die meisten elektronischen Geräte zu viel.

Die verbleibende Überspannung muß in einer zweiten Stufe, auf der Unterverteilungsebene, weiter begrenzt werden. Solche Ableiter gemäß Anforderungsklasse C des erwähnten VDE-Entwurfes müssen Ableitströme von mindestens 5 kA vertragen. Sie begrenzen die auftretenden Überspannungen auf ein für die angeschlossene Elektronik im allgemeinen ungefährliches Maß. Besonders vorteilhaft sind Ableiter, die aus einem fest zu installierenden Sockelteil und einem auswechselbaren Steckerteil, der das Schutzelement enthält, bestehen. Wird das Schutzelement defekt, kann es bei diesen Geräten ohne Unterbrechung des Betriebsstromkreises ausgetauscht werden.

Trotzdem kann es nötig sein, noch eine dritte Schutzstufe unmittelbar in der Nähe des zu schützenden Gerätes zu installieren: Wenn wegen des Vorhandenseins einer Blitzschutzanlage Einkopplungen auf dem Weg von der Unterverteilung zum Schutzobjekt möglich sind sowie wenn geschützte und ungeschützte Leitungen aufgrund der Installationsgegebenheiten parallel geführt werden müssen und so ebenfalls Einkopplungen zu erwarten sind.

Solche Anforderungsklasse D des Normenentwurfs entsprechenden Schutzgeräte sind entweder als Schuko-Steckdosenadapter oder als überspannungsgeschützte Steckdosen für die Unter-Putz-Montage beziehungsweise zum Einbau in Kabelkanäle ausgeführt. Steckdosenadapter gibt es auch mit zusätzlichem HF-Filter. Alle derartigen Geräte sind für Ableitströme von mindestens 1,5 kA ausgelegt.

Ableiter, die direkt am Netz betriebene Varistoren enthalten, müssen mit einer thermischen Abtrennvorrichtung versehen sein, da diese Halbleiter-Bauelemente bei häufiger Belastung mit Stoßströmen erhöhten Leckstrom ziehen (6), der zum "Abfackeln" und damit zu einem Brand führen kann. Das Ansprechen der Abtrennvorrichtung muß eindeutig feststellbar sein.

Bei nahezu sämtlichen auf dem Markt befindlichen Ableitern, die der Kategorie B und C zuzuordnen sind, wird der Schutzstromkreis unterbrochen, während der Betriebsstromkreis unbeeinflußt bleibt. Der Ausfall wird optisch und/oder akustisch angezeigt und kann bei einigen Modellen auch ferngemeldet werden, was insbesondere bei großen Installationen vorteilhaft ist.

Bei Ableitern der Kategorie D gibt es zwei unterschiedliche Philosophien hinsichtlich der Abtrennvorrichtung:

Beim ersten Gerätetyp wird das Ansprechen der thermischen Schutzeinrichtung durch Unterbrechung des Betriebsstromkreises "gemeldet". Vorteil: Das zu schützende Gerät kann durch nachfolgende Überspannungen nicht mehr traktiert werden. Allerdings kann nicht immer eine Betriebsstromkreis-Unterbrechung geduldet werden, insbesondere dann, wenn es sich um ausfallsensible Geräte, beispielsweise um Festplattenlaufwerke handelt, denen keine weitere Schutzeinrichtungen, zum Beispiel eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, vorgeschaltet ist. Vor allem bei Geräten, die fest installiert werden, ist dieses im allgemeinen keine gute Lösung.

Beim zweiten Gerätetyp wird der Schutzstromkreis unterbrochen und der Betriebsstromkreis bleibt erhalten, genau wie bei den Ableitern der Kategorie B und C. In einem solchen Fall ist eine optische Ausfallanzeige unerläßlich, da nach dem Ansprechen der Abtrennvorrichtung der Überspannungsschutz verloren geht, das Schutzgerät also ausgetauscht werden muß.

Ein solches dreistufiges Schutzkonzept für die Niederspannungsinstallation in Gebäuden mit schutzwürdiger Elektronik stellt den derzeitigen Stand der Technik auf diesem Gebiet dar. Doch einiges ist beim Einsatz von Überspannungsableitern mit direkt am Netz betriebenen Varistoren, also ohne Zwischenschaltung einer Funkenstrecke, unbedingt zu beachten:

Werden in einer elektrischen Anlage, die mit derartigen Ableitern ausgestattet ist, Isolationsspannungs-Messungen durchgeführt, so wird die dabei eingespeiste Spannung, zum Beispiel die eines Kurbelinduktors, begrenzt, so daß es zu Fehlmessungen kommen kann. In einem solchen Fall sind vorher alle Ableiter abzuklemmen, beziehungsweise die Schutzelemente von steckbaren Geräten herauszuziehen. Ein entsprechender Hinweis für an der Verbraucheranlage Arbeitende sollte in allen betreffenden Verteilungen angebracht werden.

Ein weiteres Problem ist die bereits erwähnte Alterung der Varistoren (6). Während der Leckstrom eines Varistors bei Auslieferung im IA-Bereich liegt, steigt er durch starke oder häufige Stoßströme auf Werte im mA-Bereich. Dies kann zu einem Auslösen von FI-Schaltern führen, bevor die thermische Sicherung des Ableiters angesprochen hat, insbesondere dann, wenn viele Ableiter in einer Installation vorhanden sind, die Leckströme sich also addieren. Auch dieser Umstand sollte über einen entsprechenden Hinweis an jeder Verteilung bekannt gemacht werden. Die Hersteller müßten Meßgeräte anbieten, mit denen man auf einfache Weise den Zustand eines Varistors überprüfen kann.

Nicht nur die Netzstromversorgung ist gegenüber der Einkopplung von Überspannungen sensibel. Im hohen Maße sind die Datenein- und ausgänge von Datenendgeräten (Rechner, Bildschirme, Drucker, etc.) und Datenübertragungseinrichtungen (Modems), bedingt durch ihren geringen Störspannungsabstand, gefährdet.

Ein erster Schritt, um die Einkopplung von Überspannungen und anderer Störungen (Brumm, Hochfrequenz, etc.) zu verhindern, ist neben der Vermeidung großer Installationsschleifen die Verwendung von geeignetem Kabelmaterial. Nicht nur aus Gründen des passiven Schutzes gegen die Einkopplung von Störungen, sondern auch wegen der günstigen Auswirkungen für den aktiven Störschutz zur Abstrahlung von Störungen ist die Verwendung von doppelt geschirmten Leitungen zu empfehlen. Dabei ist der äußere Schirm aus Gründen des Blitz- und Überspannungsschutzes beidseitig auf kürzestem Wege mit der Schutzerde zu verbinden (7), während der innere Schirm einseitig geerdet werden sollte.

Nicht immer sind Schirmungsmaßnahmen alleine ausreichend. Darüber hinaus sind speziell auf die Erfordernisse der verwendeten Datenübertragungsnorm zugeschnittene Schutzgeräte, die von verschiedenen Herstellern angeboten werden, einzusetzen. Zu beachten ist dabei, daß jedes Schutzgerät, bedingt durch parasitäre Kapazitäten der verwendeten Bauteile, das zu übertragende Signal dämpft, also eine Verringerung der maximal nutzbaren Übertragungsstrecke bewirkt, oder eine Übertragung gar gänzlich unmöglich macht. Mit dem Gerätehersteller ist gegebenenfalls abzuklären, ob das ins Auge gefaßte Schutzgerät verwendet werden kann. Oft wird man um Versuche nicht herumkommen.

Der neurolgische Punkt: die Zentraleinheit

Während Peripheriegeräte häufig so preiswert geworden sind, daß man abwägen muß, ob der Einsatz von Schutzgeräten, die fast den Wert des zu schützenden Objektes erreichen, wirtschaftlich vertretbar ist, stellt sich diese Frage bei dem "Herz einer EDV", bei der Zentraleinheit, nicht. Fällt sie aus, ist unter Umständen der ganze Betrieb lahmgelegt. In der Zentraleinheit läuft eine Vielzahl ankommender und abgehender Datenleitungen zusammen.

Besonders günstig ist daher der Einsatz von Schutzgeräten die gleichzeitig auch als Datenverteiler dienen und eine hohe Packungsdichte aufweisen. Oder auch solcher die sich in Datenverteilerschränke - natürlich nur bei Berücksichtigung der Installationsvorschriften für Überspannungsschutz-Einrichtungen - einbauen lassen.

Kombischutzeinrichtungen besonders günstig

Der Anschluß für die Ableitung an den Schutzgeräten ist auf dem kürzesten Wege mit dem Schutzerde-Anschluß des zu schützenden Gerätes zu verbinden, damit nicht an der Impedanz der Verbindungsleitung ein Spannungsabfall auftritt, der die Schutzwirkung reduziert. Werden sowohl Netz- als auch Datenleitungs-Schutzgeräte verwendet, so sind, damit keine Potentialdifferenzen zwischen den jeweiligen Bezugspotentialen auftreten, deren Ableitungen untereinander und mit der Schutzerde des zu schützenden Gerätes ebenfalls auf kürzestem Wege zu verbinden (8) (9).

Als besonders günstig haben sich speziell bei Peripheriegeräten sogenannte Kombischutzeinrichtungen, die Schutzschaltungen für Netz- und Datenleitungen enthalten, herausgestellt. Bei ihnen sind die entsprechenden Ableitungsanschlüsse und die Schutzerde intern auf kürzestem Wege miteinander verbunden, so daß Probleme mit impedanzbehafteten Ableitungen nicht bestehen.

Überspannungsschutz ist nicht alles

Überspannungsableiter dienen lediglich dem Hardwareschutz der betreffenden Geräte. Sie können nicht verhindern, daß ein geschütztes Gerät bei Auftreten eines Störereignisses "abstürzt", also in einen undefinierten Betriebszustand gerät oder Daten bei der Übertragung verfälscht werden. Daher ist es unter Umständen notwendig, weitere Maßnahmen zur Beseitigung der Reststörungen zu treffen, beziehungsweise auf der Datenseite durch geeignete Datenübertragungs-Protokolle Fehler zu erkennen und gegebenfalls zu korrigieren. Der letzte Teil dieser Artikelserie wird sich schließlich mit oszillierenden Transienten, HF-Störungen, mit dem elektrischem Rauschen, elektrostatischen Entladungen und Netzstörungen beschäftigen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem Thema "Unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV)" und deren Eigenheiten gewidmet.

(wird fortgesetzt)

*Gerd Scholl ist Inhaber der Scholl Sicherheitstechnik in 5908 Neunkirchen

Literatur :

(1) Dr. vom Berge (Elektra), "Elektronikschäden aus der Sicht eines Versicherungsunternehmens", Telenorma-Störschutz-Symposium in Hamburg am 1.1.1989.

(2) DIN-VDE 0185, Teil 1: "Blitzschutzanlagen - Allgemeines zu Errichtung", Teil 2: "Errichten besonderer Anlagen".

(3) W. Meissen, "Überspannungen in Niederspannungsnetzen", ETZ, Bd. 104 (1983), Heft 7/8.

(4) DIN- VDE 0110, Teile 1 und 2, "Isolationskoordination für elektrische Betriebsmittel in Niederspannungsanlagen", VDE Verlag, Berlin und Offenbach .

(5) Entwurf (Gelbdruck) DIN VDE 0675, Teil 6, "Überspannungsableiter zur Verwendung in Wechselstromnetzen mit Nennspannungen zwischen 100 V und 1000 V", VDE-Verlag, Berlin und Offenbach.

(6) K. Scheibe, "Über das Älterungsverhalten von Varistoren", 19. Blitzschutzkonferenz (1988), Graz, Tagungsband.

(7) H. Remde, "Funktionsweise von Kabelschirmen in der Leittechnik", Vortrag auf der EMV '88, abgedruckt in Tagungsband, Hüthig-Verlag, Heidelberg.

(8) Elektra-Schaden-lnfo, Gefährdung elektronischer Anlagen durch Überspannungen", Elektra-Versicherung, Frankfurt/Main.

(9) E. Reitz, "Elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten", Vortrag auf dem Störschutz-Symposium der Firma Telenorma in Hamburg am 1.1.1989.

(10) H. Pelz, "Elektromagnetische Störeinwirkungen auf elektronische Geräte", Regelungstechnische Praxis, Heft 9/84 und 10184.

(11) VDI/VDE 2190, Blatt 3. (12) F. Schneider (FTZ), "Netzspannungsausfälle und -einbrüche", ETZ Band 107 (1986), Heft 2 und 4, VDE Verlag, Berlin und Offenbach .

Bildquellennachweis:

Foto I Werksfoto Dehn u. Söhne, Neumark/Oberpf.

Foto 2 Werksfoto OBO-Bettermann, Menden

Foto 3 Werksfoto Phoenix Contact, Blomberg/Lippe

Foto 4 u. 5 Werksfoto Citel Deutschland. Düsseldorf .