GSF setzt auf privates X.25-Nebenstellennetz

Datenpaket-Vermittlungsrechner verbinden heterogene Systeme

27.07.1990

X.25 erlangt als herstellerunabhängiges Standard-Protokoll zunehmend Bedeutung für die integrierte Kommunikation. Private Datenpaket-Vermittlungsrechner übernehmen heute die Brückenfunktion in heterogenen DV Strukturen und liefern die Basis für die Realisierung multifunktionaler Arbeitsplätze. Walter W. Ammann, Alois Morhart und Gerhard Hanöfner * beschreiben ihre Konzepte und Erfahrungen aus einem umfangreichen X.25-Projekt.

Die breit gefächerte Forschungszielsetzung der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) impliziert eine heterogene DV-Versorgungsstruktur, in der die Datenkommunikation eine überaus wichtige Brückenfunktion einnimmt. Sie basiert auf den folgenden drei Säulen:

1) Herstellernetze:

- Transdata in Verbindung mit Siemens 7571/BS2000,

- SNA in Verbindung mit IBM 4381-2/VM-CMS und

- Decnet in Verbindung mit mehreren VAX/VMS-Rechnern

2) X.25-Nebenstellennetz mit Datus DPV 5810:

- Unterstützung multifunktionaler DV-Arbeitsplätze,

(Geräte-Sharing (zum Beispiel Drucker, Plotter),

- Weitverkehrs-Kommunikation (WAN), Deutsches Forschungsnetz (DFN) sowie

- Transportstrecke für Decnet und Transdata

3) Local Area Network (LAN) auf 802.3-Ethernet:

- acht-adriges Glasfaser-Backbone, Gebäudeverbindung,

- Erste Realisierungsstufe: Decnet-Anwendungen.

Die Herstellernetze Transdata, SNA und Decnet sind historisch in der GSF gewachsen und unterstützen schwerpunktmäßig den Aufbau der Datenendgeräte-Infrastrukturen . Weitere Aufgaben liegen teilweise auch im Bereich der Weitverkehrs-Kommunikation. Die Funktionalität dieser Netze ist jedoch begrenzt auf die Welt des jeweiligen Herstellers.

Vor diesem Hintergrund erkannten wir frühzeitig die Notwendigkeit, die systembedingten Gräben zwischen den Herstellernetzen zu überbrücken. Hierfür schien uns das X.25-Protokoll nach seiner Durchsetzung im Markt als Standard und der Einführung eines leistungsfähigen Datex-P-Dienstes durch die Deutsche Bundespost eine tragfähige Basis bieten zu können.

Eine differenzierte Marktanalyse bestätigte im folgenden diesen Planungsansatz: Jeder Hersteller von in der GSF eingesetzten Rechnersystemen bot eine X.25-Schnittstelle mit den entsprechenden funktionalen Anbindungen an.

Unter Nutzung der Umsetzungsdienste "asynchron auf X.25" (PAD = Package Assembly and Disassembly) war deshalb mit nur geringem Aufwand die Unterstützung eines einheitlichen multifunktionalen DV-Arbeitsplatzes mit Zugriff auf die unterschiedlichen Rechner ressourcen realisierbar.

Kurze Einführungszeiten

Darüber hinaus zeigte sich, daß es mit der Verfügbarkeit moderner Datenpaket-Vermittlungsrechner möglich ist, ein leistungsfähiges X.25-Nebenstellennetz aufzubauen. In diesem kann der Kommunikationspartner im Netz dann direkt mit einem einfachen nummerngestützten Wählverfahren angesprochen werden.

Die Vorteile bei Verwendung des X.25-Protokolls sahen wir vor allem darin, daß es keinen Bruch zwischen der Inhouse- und der Weitverkehrs-Kommunikation gibt Jede interne Kommunikationslösung läßt sich ohne großen Mehraufwand auch als Weitverkehrs-Lösung und umgekehrt einsetzen - eine Tatsache, die sich später im praktischen Einsatz des Nebenstellennetzes in Verbindung mit Datex-P sehr positiv bemerkbar machen sollte.

Insgesamt zogen wir die Schlußfolgerung, daß wir über X.25 einen wesentlichen Beitrag zur herstellerunabhängigen DV-Kommunikation leisten konnten. Als besonders geeignet erschien uns dabei der Bereich unterhalb der Hochgeschwindigkeits-Anforderungen (LAN) für die Breitenanwendung bis 48 Kbit/s.

Positiv beeinflußt wurde diese Entscheidung zusätzlich durch die kurzen Einführungszeiten, die geringen Kosten und die Nutzungsmöglichkeiten vorhandener Telefonkabel-Infrastrukturen beim Einsatz einer X.25-Lösung.

Realisierung des Nebenstellennetzes

Das X.25-Nebenstellennetz der GSF ist ausgelegt auf 99 Nebenstellennummern. Die angeschlossenen Rechnersysteme sind dabei über eine zweistellige Subadresse direkt vom Datex-P-Netz aus erreichbar. Innerhalb des Nebenstellennetzes ist die Anschlußadressierung ebenfalls zweistellig und identisch mit dem Datex-P-Subadressen-Schema.

Als zentralen Datenpaket-Vermittlungsrechner setzen wir das System Datus DPV 5810 ein. An diesen privaten Netzknoten sind über X.25-Schnittstellen rechnerseitig die Systeme Siemens 7571/BS2000/Transdata und mehrere VAX/VMS/Decnet-Rechner angeschlossen. Die Koppelung der IBM 4381-2/VM-CMS/SNA über X.25 an den DPV 5810 ist geplant.

Die Nutzung des Datex-P-Anschlusses von diesen Rechenanlagen aus geschieht auf unterschiedlichen Ebenen:

1. Sowohl Decnet als auch Transdata nutzen Datex-P als Transportservice in der Weitverkehrs-Kommunikation. So greift zum Beispiel das in Braunschweig gelegene GSF-Institut für Tieflagerung über die Datex-P-Verbindung auf der Ebene von Transdata auf die Dienste des im Rechenzentrum der GSF in Neuherberg installierten BS2000-Systems zu. Ebenso werden die lokalen Decnet-Netze in Neuherberg und Braunschweig über Datex-P miteinander verbunden. Der zentrale Datenpaket-Vermittlungsrechner DPV 5810 übernimmt hierbei die lokale Vermittlung in Neuherberg.

2. Zeilenorientierte Datensichtgeräte, bereits selbst X.25-fähig oder asynchron eingebunden über einen Post- beziehungsweise Inhouse-PAD, können unmittelbar die Dialogfunktionen der BS2000- oder der VAX-Rechner nutzen.

3. Jede an die Siemens- und DEC-Systeme angeschlossene Datensichtstation erhält den Dialogzugang zu sämtlichen über das X.25-Nebenstellennetz und/oder das Datex-P-Netz erreichbaren Rechneranlagen. Sowohl im BS2000 als auch unter VAX-VMS sind hierzu die entsprechenden Software-PAD-Funktionen (X.29) verfügbar, mit denen sich der Rechner in Richtung X.25-Anschluß wie ein Datenendgeräte-Anschluß verhält, welcher wiederum rechnerintern von den an ihn angeschlossenen Datensichtgeräten angewählt werden kann. Mit dieser Technik wird der Zugang zum X.25-Nebenstellen-/Datex-P-Netz um rund 200 DV-Arbeitsplätze erweitert.

Eine weitere Dimension der Funktionalität für die Breitenanwendung wird durch die Nutzung integrierter PAD-Einheiten des DPV 5810 eröffnet. Asynchrone Datenendgeräte können hierüber - ähnlich wie beim Post-PAD, an der Datex-P-gestützten Kommunikation teilnehmen. Zusätzlich zu den Funktionen eines Post-PAD bietet die Inhouse-Variante auch Anschlußmöglichkeiten für Hosts mit asynchronen Schnittstellen.

Bisheriger Nutzen und Erfahrungen

Entscheidend ist dabei, daß jetzt in der Übertragungskette "PAD - X.25-Netzknoten - PAD" asynchrone Datenströme über die X.25-Netze transparent und wahlweise vermittelbar sind. Gleichzeitig eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, diese Eigenschaft mit bereits bei der GSF eingeführten Techniken, nämlich asynchrone Datensichtgeräte beziehungsweise PCs mit asynchronen Bildschirmemulationen über Protokollkonverter an unsere Großrechenanlagen anzuschließen, zu verbinden.

Der Vorteil einer derartigen Lösung liegt auf der Hand: Mit einem einzigen asynchronen Datensichtgerät (GSF-Standard: VT100) oder einem PC (als "multifunktionalem" Endgerät) hat der Anwender Zugriff auf die unterschiedlichsten, an X.25-Netze angeschlossenen Rechnersysteme.

Wählt der Benutzer nun von einem PC mit VT100-Emulation über den DPV 5810 einen Protokollkonverter-Eingang am Großrechner an, so wird die Dialogumgebung dieser Rechenanlage (9750 für BS2000, 3278 für VM/CMS) auf dem PC-Bildschirm erzeugt.

Der Leistungsumfang dieser multifunktionalen Datenendgeräte (PCs unter MS-DOS) wird durch Filetransfer-Lizenzprogramme von Conware, abgestimmt auf deren Protokollkonverter CC196 am BS2000, und von der Yale-Universität für den Protokollkonverter 7171 (IBM ) unter VM/CMS erweitert. Eine vom GSF-Rechenzentrum entwickelte komfortable Benutzeroberfläche zur menügesteuerten Rechnerauswahl vervollständigt diese Lösung.

Trotz der noch nicht abgeschlossenen Einführungsphase des X.25-Nebenstellennetzes mit integrierten PADs sind bereits 16 Anschlüsse mit VT100-Datensichtgeräten beziehungsweise PCs mit VT100-Emulation ausgestattet. Außerdem sind an einem PAD, das in einer Fachabteilung aufgestellt und mit dem DPV 5810 verbunden ist, bereits sechs PCs als multifunktionale Arbeitsplätze angeschlossen .

In dieser Abteilung werden auch zukunftsweisende Entwicklungen für das Ausgabegeräte-Sharing über X.25/PAD durchgeführt: So wird ein an einem PAD asynchron angeschlossener Drucker als gemeinsames Ausgabegerät für die im X.25-Nebenstellennetz eingebundenen PCs verwendet. Es ist heute bereits möglich, mit dieser Entwicklung zum Beispiel Briefe aus dem Ausland über internationale X.25-Netze und Datex-P auf diesem Drucker auszugeben.

Begünstigt durch die Systemarchitektur des DPV 5810 und durch geeignete organisatorische Maßnahmen konnten die bisher notwendige Entwicklungsaktivitäten ohne Störung des Routinebetriebes des X.25-Nebenstellennetzes durchgeführt werden.